Bürgerkrieg in Myanmar: Die Junta könnte fallen
In Myanmar kämpfen Rebell:innengruppen erfolgreich gegen die Militärjunta. Im Hintergrund toben jedoch bereits Machtkämpfe um die Zukunft des Landes.
Die Region Rakhine ist derzeit der wichtigste Bürgerkriegsschauplatz in Myanmar. Die Rebellenmiliz Arakan Army (AA) hat in Rakhine bereits zehn der siebzehn Townships eingenommen. Zuletzt eroberten die Rebell:innen Mitte Mai die Stadt Buthidaung und ihre Umgebung.
«Zeugenaussagen, Satellitenbilder sowie Onlinevideos und Fotos deuten darauf hin, dass die Stadt grösstenteils niedergebrannt ist», sagte Liz Throssell, Sprecherin der Uno-Menschenrechtskommission in Genf, am 24. Mai. Fast zwei Wochen nach dem Fall Buthidaungs sei aber immer noch unklar, wer für die Brandschatzung und die Vertreibung von 45 000 Menschen verantwortlich sei – die AA oder die Armee Myanmars. Throssell: «Unser Büro überprüft die erhaltenen Informationen dazu.»
Das Militär Myanmars hat eine lange Tradition der Taktik der verbrannten Erde. Laut der nichtstaatlichen Organisation Data for Myanmar wurden seit dem Militärputsch im Februar 2021 bis Ende März 2024 im ganzen Land bei Rache- und Vergeltungsaktionen fast 84 000 Häuser niedergebrannt.
Rakhine ist eine für Myanmar zentrale Region. Hier sind aufgrund des Zugangs zum Indischen Ozean grosse Infrastrukturvorhaben des chinesischen Megaprojekts «Neue Seidenstrasse» geplant. Sollte Rakhine fallen, könnte dies laut politischen Beobachter:innen das Ende der Junta einläuten.
Ein vergessener Krieg
Der Bürgerkrieg ist damit in eine entscheidende Phase getreten. Ein Konflikt, der in diesen vom Krieg gegen die Ukraine und dem Nahostkonflikt beherrschten Zeiten zu den vergessenen Krisen gehört. Dabei heisst es in einer aktuellen Analyse des Vereins German Solidarity Myanmar (GSM): «Das Land ist der Schauplatz der schwersten humanitären Krise in der strategisch wichtigen Indopazifikregion.» Nach dem Militärputsch, der 2021 den demokratischen Aufbruch des Landes beendete, stehe Myanmar nun exemplarisch für den Aufstieg von autoritären Regimes und die weltweiten Krisen.
«Myanmar ist ein Hotspot für Trends», schreibt GSM, «die vom Klimawandel und dem Verlust der biologischen Vielfalt bis zum religiösen Extremismus, von Flüchtlingsbewegungen bis zum internationalen Drogenhandel reichen.» Im Gegensatz zu den Konflikten in Syrien, im Jemen und im Sudan führe die Widerstandsbewegung Myanmars aber keinen Stellvertreterkrieg, «sondern sie ist auf sich allein gestellt». Die Expert:innen warnen: «Die internationale Gemeinschaft ignoriert Myanmar auf eigene Gefahr.» GSM wurde 2023 von Deutschen gegründet, die in Myanmar gelebt und in der Entwicklungshilfe, der Wirtschaft oder der Kulturszene gearbeitet haben.
Die AA ist zwar die Widerstandsmiliz der buddhistischen Bevölkerungsmehrheit der Arakanes:innen in Rakhine, sie ist gemäss Expert:innen aber multiethnisch aufgestellt. So sollen auch Rohingya an der Seite der AA kämpfen. Mit geschätzten 30 000 Kämpfer:innen gilt die AA als eine der mächtigsten Rebell:innenarmeen im Bürgerkrieg. Neben den Operationen in Rakhine ist sie auch in Myanmars Unionsstaaten Chin, Kachin und Shan aktiv – als Mitglied einer Allianz von mehreren Milizen von ethnischen Minderheiten, die seit Oktober 2023 erfolgreich gegen die Militärjunta kämpft und eine Militärbasis der Junta nach der anderen einnimmt.
Wie verzweifelt die Junta mittlerweile um ihr Überleben kämpft, zeigen zwei Dinge: Möglicherweise wegen interner Machtkämpfe wurden in den vergangenen Monaten eine Reihe hochrangiger Offiziere offiziell wegen Korruption angeklagt und kaltgestellt. Seit April zwingt die Junta zudem alle Männer und Frauen im wehrfähigen Alter zum Dienst in der Armee. Nach Angaben von Menschenrechtler:innen werden gar Rohingya zwangsrekrutiert. Ausgerechnet von jener Armee, die 2017 mit blutiger Gewalt 700 000 Rohingya nach Bangladesch vertrieb.
Während im ganzen Land die Verluste des Militärs auf dem Schlachtfeld zunehmen, untergräbt eine schwere Wirtschaftskrise zusätzlich die Fähigkeit der Junta, Krieg zu führen. Laut Expert:innen der Uno und der Weltbank ist die Wirtschaft durch Inkompetenz und Korruption des Regimes im freien Fall. In den vergangenen Monaten eroberte der Widerstand zudem sechs Grenzübergänge nach Thailand, China und Indien, was für den Handel der Junta mit diesen Ländern einen schweren ökonomischen Schlag darstellt. Krieg und Krise sind auch die Ursache für eine eskalierende humanitäre Katastrophe: Seit dem Putsch im Februar 2021 rutschten fünfzig Prozent der 55 Millionen Einwohner:innen Myanmars in die Armut ab, während im Mai die Zahl der Binnenvertriebenen auf über 3 Millionen gestiegen ist.
Über 200 Massaker
Am Boden steht das in einen zermürbenden Mehrfrontenkrieg verwickelte Militär mit dem Rücken zur Wand und setzt deshalb verstärkt auf die Luftwaffe. Kampfjets bombardieren Dörfer, buddhistische Klöster, Kirchen und Flüchtlingslager, um durch Terror gegen die eigene Bevölkerung den Widerstand zu brechen. Dieser verfügt weder über Flugzeuge noch über Flugabwehrwaffen.
Die verbliebenen Bodentruppen der Junta begehen immer wieder Massaker an der Zivilbevölkerung, wie zuletzt im Dorf Lethtoketaw in der Region Sagaing. 25 Männer und Frauen, die sich in einem buddhistischen Kloster versteckt hatten, wurden mit Kopfschüssen hingerichtet, bevor das Militär das Dorf und zwei Klöster in Brand steckte.
Myanmars demokratische Schattenregierung Nationale Einheitsregierung (NUG) verurteilte das Massaker als weiteres Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Laut einem im März 2024 vom Thinktank Nyan Lynn Thit Analytica veröffentlichten Bericht hat das Militär seit dem Putsch vom Februar 2021 mindestens 210 Massaker verübt und dabei über 2000 Menschen getötet. Nyan Lynn Thit Analytica ist 2017 aus der demokratischen All Burma Federation of Student Unions hervorgegangen.
Mit dem Zurückweichen des Militärstaats haben Antijuntakräfte damit begonnen, staatsähnliche Strukturen aufzubauen und in den befreiten Gebieten öffentliche Dienstleistungen zu erbringen. Angesichts der andauernden militärischen Erfolge des Widerstands fordert die NUG eine politische Einheitsfront der Milizen der ethnischen Minderheiten. Politischen Beobachter:innen in Bangkok zufolge haben die mehr als zwanzig bewaffneten ethnischen Organisationen und ihre politischen Parteien sowie die NUG und ihre «Volksverteidigungsarmee» jedoch zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen über die Zukunft Myanmars nach einem Fall der Junta.
Wie weiter nach dem Fall?
In der Debatte über eine Nachkriegsordnung geht es um die Frage, ob Myanmar eine Föderation – was die NUG derzeit favorisiert – oder eine Konföderation werden soll. Letzteres wird von einigen der grossen ethnischen Gruppen gefordert. Konföderierte Regionen würden weitgehend unabhängig von einer Zentralregierung sein und ihre eigenen Armeen behalten. Toe Zaw Latt, Redaktor des myanmarischen Nachrichtenportals «Mizzima», sagt: «Eine politische Einigung wird sehr schwierig werden.»
Nachdem sich westliche Regierungen in den letzten drei Jahren schwergetan haben, angemessen auf den Konflikt zu reagieren, haben sie nun die Chance, den parallelen Staatsaufbau zu unterstützen und damit wieder Einfluss auf die zukünftige Entwicklung Myanmars zu nehmen. Die finnische Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Heidi Hautala (Grüne), sagte vor wenigen Wochen nach einem Treffen mit NUG-Aussenministerin Zin Mar Aung auf X: «Die Junta hat in Myanmar keine Zukunft. Das muss die Botschaft der internationalen Gemeinschaft sein. Wir müssen mehr tun, um die demokratischen Kräfte sowohl finanziell als auch institutionell zu unterstützen.»