Biodiversitätsinitiative: Arbeit an der Landschaft für alle

Nr. 37 –

Ohne Bündnis über die Linke hinaus lässt sich die Biodiversität nicht schützen – auch nicht, ohne Ressourcenfragen zu thematisieren. Die Abstimmung am 22. September wäre ein Anfang.

Illustration von Franziska Meyer

Viel wurde in den letzten Jahren über die Bedrohung des Planeten geschrieben. Doch einer der prägnantesten Sätze ist über fünfzig Jahre alt: Das Prinzip der Ökologie sollte uns bewusst machen, «dass unser Leben von anderem Leben, von Prozessen und Energien in einem verflochtenen System abhängt, das wir zwar zerstören, aber nie vollständig verstehen oder kontroll­ieren können». Geschrieben hat diesen Satz 1969 ein Bauer: der US-Amerikaner Wendell Berry in seinem Essay «Think Little». Vor kur­zem ist er neunzig geworden. Es lohnt sich, in diesen Tagen seine Texte zu lesen, denn sie widerlegen die Annahmen, die den Abstimmungskampf von Bauernverband und Co. gegen die Biodiversitätsinitiative implizit prägen: dass Landwirtschaft und Naturschutz Gegenspieler:innen seien. Und dass Ökologie ein linkes Thema sei.

Politisch liess sich Berry nie einordnen. Er äusserte sich pazifistisch und antirassistisch, war mit Beatnik-Schriftstellern befreundet und bewunderte Martin Luther King, ist aber auch ein Verfechter von Ehe und Familie und fest im ländlichen Kentucky verwurzelt. Schon in den sechziger Jahren warnte er davor, dass die industrielle Landwirtschaft Böden zerstört, Ökosysteme vergiftet und Tiere unwürdig behandelt. Technischen Fortschrittsversprechen, egal ob von links oder rechts, begegnete er stets mit Skepsis; einer seiner bekanntesten Essays handelte 1987 davon, warum er keinen Computer kaufen wolle. Dass Konservative gegen Naturschutz – englisch «conservation» – sein könnten, finde er absurd, sagte er einmal.

Rechte gegen Baukultur

Tatsächlich wären die bisherigen Erfolge des Natur- und Umweltschutzes undenkbar ohne Konservative. Auch in der Schweiz. Die Männer, die 1909 den Schweizerischen Bund für Naturschutz (heute Pro Natura) gründeten und 1914 den Nationalpark im Engadin initiierten, waren stockbürgerlich. Die Linke interessierte sich lange kaum für Ökologie – bis sie nach 1968 von den neuen Umweltbewegungen dazu gezwungen wurde. Der klassische Naturschutz mit seinem Fokus auf Reservaten und bedrohten Arten traf auf eine Umweltbewegung, die auch gesellschaftspolitische und kapitalismuskritische Fragen stellte. Gemeinsam ermöglichten sie die umweltpolitischen Erfolge der siebziger bis neunziger Jahre: Umweltschutz- und Raumplanungsgesetz, Luftreinhalteverordnung und Katalysatorpflicht, erfolgreiche Volksinitiativen zum Moor- und Alpenschutz.

Die Biodiversitätsinitiative passt in diese Tradition: Bund und Kantone sollen dafür sorgen, dass die nötigen Mittel und Flächen für die Stärkung der Biodiversität zur Verfügung stehen und «dass die schutzwürdigen Landschaften, Ortsbilder, geschichtlichen Stätten sowie Natur- und Kulturdenkmäler bewahrt werden». Klingt das links? Nein, eher nach Heimatkundeunterricht.

Die Grundsätze der Initiative sind grösstenteils schon im Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG) festgeschrieben, etwa die Interessenabwägung bei Eingriffen in geschützte Gebiete und Objekte. Für den Vollzug des NHG sind die Kantone zuständig. Ein Ja würde den Biodiversitätsschutz in der Verfassung verankern und damit betonen, dass der Bund dafür mehr Verantwortung tragen soll.

Obwohl im Abstimmungskampf Landwirtschaftsfragen dominieren, geht es also auch um Raumplanung und Baukultur. Kein Wunder: Neben Pro Natura und Birdlife haben die Stiftung Landschaftsschutz und der Heimatschutz die Initiative mitlanciert. Baukulturelles Erbe – auch das war einmal vor allem ein Anliegen bürgerlicher Patriot:innen. Der Name «Heimatschutz» erinnert noch daran. Wäre die Biodiversitätsinitiative vor dreissig Jahren lanciert worden, hätten sich sicher diverse bürgerliche Bundespolitiker:innen dafür engagiert.

Doch die Zeiten haben sich geändert – gerade bei der Baukultur: Ausgerechnet der angeblich so traditionsverbundene Kanton Schwyz macht immer wieder Schlagzeilen, weil man dort gern schutzwürdige Holzhäuser aus dem Mittelalter abreisst. Und in Bern liess das Kantonsparlament 11 000 als erhaltenswert eingestufte Gebäude, ein Drittel des Bestands, aus dem Inventar streichen – auf eine Motion der SVP hin. Dabei war sie es gewesen, die in den vierziger Jahren eine «Stelle für Bauern- und Dorfkultur» geschaffen hatte, als sie noch «Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei» hiess. Der Patriotismus der Rechten ist heute rein rhetorisch. Gerade sie profitieren von zersiedelten Landschaften aus Autobahnen, Tankstellen und Renditebauten. Entfremdung vom Raum ist gut für eine frustrationsgetriebene Politik.

Wie sieht der Politikwissenschaftler Werner Seitz diese Entwicklung? Fast das ganze 20. Jahrhundert hätten die Bürgerlichen die Umweltpolitik geprägt und mitgetragen, sagt er. In den achtziger Jahren, als sich wegen des Waldsterbens und des AKW-Unfalls in Tschernobyl breite Kreise um die Umwelt gesorgt hätten, seien einige dezidierte bürgerliche Umweltschützer:innen aus der FDP ausgetreten.

«Als Gegenbewegung auf die ökologische Stimmung entstand die Autopartei.» Sie ging später in der SVP auf – und habe deren Weg nach rechts aussen entscheidend mitgeprägt, sagt Seitz. «Die SVP stand nun für einen dezidiert antiökologischen Kurs. Und weil sie vor allem auf Kosten von FDP und CVP zur stärksten Partei wurde, meinten diese, sich der SVP angleichen zu müssen.» Der frühere ökologische Flügel der FDP sei mittlerweile weitgehend bei den Grünliberalen aufgehoben, jener der Mitte-Partei sei kaum sichtbar.

Immerhin: Die Mitte-Frauen haben im Gegensatz zu ihrer Partei die Ja-Parole zur Biodiversitätsinitiative beschlossen.

Care-Arbeit für Orte

Die ideologischen Verschiebungen sind das eine. Verändert hat sich aber auch die Alltagserfahrung. Immer weniger Menschen erleben bei der täglichen Arbeit die Abhängigkeit von Tieren und Pflanzen, vom Wetter und von all den Ressourcen wie Holz oder Metall, die direkt oder indirekt aus dem Boden kommen. Nicht nur Bäuerinnen und Forstarbeiter werden weniger: Bis vor wenigen Jahrzehnten waren auch für proletarische Haushalte Tätigkeiten wie Fischen, das Sammeln von Beeren oder Brennholz überlebensnotwendig – oft prekäre Prozesse, nicht immer gut für die Biodiversität. Heute lässt sich alles Denkbare online bestellen und wirkt damit unendlich verfügbar; der Herstellungsprozess, die damit verbundenen Abhängigkeiten und Zerstörungen bleiben abstrakt. Im Zustand des «totalen Konsumismus» sei «jeder bedeutsame Kontakt zwischen uns und der Erde abgebrochen», schrieb Wendell Berry schon in seinem Text von 1969. Outdoorsport und Naturbeobachtung sind dafür kein Ersatz, sie machen das existenzielle Angewiesensein der Menschen auf die Ökosysteme nicht erfahrbar.

Vermutlich kann ein breites Bewusstsein für Biodiversität erst entstehen, wenn mehr Menschen diesen Kontakt mit der Erde suchen, sei es in der ökologischen Landwirtschaft oder in der Naturschutzarbeit – am besten dort, wo sich beides überschneidet. Diese Arbeit ist nicht revolutionär, sondern schlicht Teil der Care-Arbeit, die nötig ist, um Alternativen überhaupt denkbar zu machen. Genauso wie sich Menschen umeinander kümmern müssen, brauchen auch die Landschaften und die Lebewesen jener Orte, die Menschen bewohnen, Care-Arbeit. Was auch wieder den Menschen zugutekommt – so beobachtete es etwa die US-Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing bei den Recherchen für ihr Buch «Der Pilz am Ende der Welt»: «Warum kann die Arbeit mit der Landschaft das Gefühl entstehen lassen, wieder Möglichkeiten zu haben?»

Konsum als Problem

Die Debatten um die Biodiversitätsinitiative bleiben unvollständig: Sie drehen sich nur um das, was in diesem kleinen Land geschieht. Doch laut Bundesamt für Umwelt fallen siebzig Prozent des «Biodiversitäts-Fussabdrucks» der Schweizer Bevölkerung im Ausland an. Das blendet auch die Umweltorganisation Pro Natura aus, wenn sie schreibt: «Eine gut geschützte Artenvielfalt ist kein Hindernis für unseren gewohnten Lebensstil, sie ist vielmehr eine Voraussetzung dafür.»

Für die Biodiversitätsinitiative stimmt das: Ein Ja würde an unserem Lebensstil nichts ändern. Es ist möglich, als Wohlstandsgesellschaft die Ökosysteme in diesem Land besser zu pflegen, ohne zu thematisieren, wie viel Biodiversität durch importierte Konsumgüter und Schweizer Konzerne anderswo kaputtgeht. Aber global hat die Bedrohung der Biodiversität sehr viel mit unserem Lebensstil und Konsum zu tun.

Das ist kein Argument gegen die Biodiversitätsinitiative. Ein Ja ist nötig. Doch es kann nur der Anfang sein.