Flüchtlingspolitik: Italiens Krieg gegen Geflüchtete
Die tragische Geschichte der iranischen Theatermacherin und Aktivistin Maysoon Majidi zeigt exemplarisch, mit welcher Härte und welchen unlauteren Mitteln Italiens extrem rechte Regierung und Justiz gegen Fluchthelfer:innen vorgeht.
Aus Opfern Täter:innen zu machen, gehört zu den internationalen Standards bei der staatlichen Bekämpfung «illegaler Migration». Ein besonderes Drama dieser Art vollzieht sich seit Anfang des Jahres in Italien. Leidtragende der geballten Macht von Polizei, Justiz und Regierung ist Maysoon Majidi: eine 28-jährige iranische Kurdin, die seit dem 1. Januar im Gefängnis sitzt, derzeit in Crotone an der Ostküste Kalabriens. Ihr Fall kommt Mitte nächster Woche vor Gericht. Aussergewöhnlich daran ist, dass ihre Fluchtgeschichte und die tragischen Konsequenzen dieser Flucht Öffentlichkeit erfahren und auch politischen Widerstand ausgelöst haben.
Als Theatermacherin und politische Aktivistin für Demokratie und Frauenrechte bekämpfte Majidi seit Jahren die iranische Diktatur. Der Verfolgung entzog sie sich 2019 zunächst durch Flucht in den Irak. Da sie auch dort nicht sicher war, beschloss sie, zusammen mit ihrem Bruder die Flucht nach Europa zu versuchen. Nach mehreren Monaten in der Türkei bestiegen die beiden am 27. Dezember 2023, zusammen mit etwa vierzig weiteren Personen, am Strand nahe Izmir ein Boot. So hat Majidi ihre Flucht letzte Woche in einem ausführlichen Bericht in der linken Tageszeitung «il manifesto» beschrieben. Vier Tage später, am 31. Dezember, erreichte das Boot die italienische Küste, und die Geflüchteten konnten ein Schlauchboot besteigen und an Land gehen. Dort wurden sie von der Polizei empfangen und registriert.
Kriegserklärung an Fluchthelfer:innen
Mithilfe eines digitalen Übersetzungsprogramms, so beschreibt es Majidi im «manifesto», habe sie den Beamten zu verstehen gegeben, dass sie als politische Aktivistin aus dem Iran geflüchtet sei und zusammen mit ihrem Bruder nach Deutschland wolle. Auf die mehrfach gestellte Frage, wer das Boot kommandiert habe, antwortete sie stets: «Das weiss ich nicht.» Dann wurde sie festgenommen. Zwei der mit ihr Geflüchteten hatten sie als «scafista» denunziert, als Schmugglerin, die das Boot gesteuert habe. Später nahmen sie diese Aussage wieder zurück. Die Ermittlungsbehörden interessierte das allerdings nicht. Seit fast einem Dreivierteljahr sitzt Majidi bereits im Gefängnis. Ende Juli verwarf das Gericht in Crotone den Antrag ihrer Verteidigung, die Haft in Hausarrest umzuwandeln; was in Italien durchaus üblich ist, etwa bei Verfahren gegen Politiker:innen oder Mafiosi.
Der Fall Majidi zeigt exemplarisch, mit welcher Härte die italienische Regierung und Teile der Justiz gegen Fluchthelfer:innen vorgehen. Diese müssten «rund um den Globus, zu Wasser und zu Lande, verfolgt» werden, sagte Premierministerin Giorgia Meloni von der extrem rechten Partei Fratelli d’Italia im Frühjahr 2023, nur wenige Tage nach der Katastrophe von Cutro. Dort ertranken Ende Februar in unmittelbarer Küstennähe etwa hundert schiffbrüchige Geflüchtete, weil die über ihre Notlage informierten Beamt:innen der Finanzpolizei, der Küstenwache und der Rettungsleitzentrale nicht eingriffen. Lediglich zwei Fischer leisteten Hilfe. Die Konsequenzen, die die Regierung aus dem vermeidbaren Massensterben zog: Mit dem «Decreto Cutro» schränkte sie die Rechte Asylsuchender weiter ein und verschärfte die Strafen für Seenotrettung.
Auf 38 Kilo abgemagert
Auf diese Zusammenhänge und auf die Instrumentalisierung der Fluchthelfer:innen als Sündenböcke für die inhumane europäische Abschottungspolitik verweist auch Mimmo Lucano. Als Bürgermeister des weltweit bekannt gewordenen kalabrischen «Willkommensdorfs» Riace wurde er jahrelang von der Justiz verfolgt und von regierenden Rassist:innen wie Matteo Salvini von der Lega beschimpft und bedroht (siehe WOZ Nr. 45/21). Erst nach langjährigen Gerichtsverfahren mit wechselnden Urteilen wurde er schliesslich freigesprochen. Im Juni zog Lucano als Abgeordneter für die links-grüne Alleanza Verdi e Sinistra (AVS) ins Europäische Parlament ein. Am selben Tag wurde er erneut auch Bürgermeister von Riace – zum vierten Mal.
Bei seinem Besuch im Gefängnis von Crotone Ende August versprach er Majidi, ihren Fall im Europäischen Parlament zur Sprache zu bringen. In Italien sind es vor allem antirassistische Aktivist:innen, die Majidi unterstützen. Unter den etablierten Medien profilierte sich die Wochenzeitung «L’Espresso» im Juli mit einer sachlichen Darstellung der «absurden Geschichte», in der eine Kämpferin gegen die iranische Diktatur in Italien im Gefängnis landete. Das Magazin verwies zugleich auf den Fall der 29-jährigen Iranerin Marian Jamali, der dieselbe Tat zur Last gelegt wird wie Majidi. Im Unterschied zu dieser allerdings wurde Jamali – nach einem Suizidversuch – wenigstens Hausarrest zugestanden.
Maysoon Majidi hat mit mehreren Hungerstreiks erfolglos versucht, eine Verbesserung ihrer Lage zu erreichen. Sie ist stark abgemagert und wiegt laut Lucanos Aussage nur noch 38 Kilo. An der Gerichtsverhandlung, die für den kommenden Mittwoch angesetzt ist, will die Verteidigung erneut auch Fotos vorlegen, die ihre Mandantin unter Deck zeigen und nicht etwa auf der Kommandobrücke. Bisher hat das Gericht diese entlastenden Beweisstücke ignoriert, offensichtlich will es bis zum geplanten Abschluss des Verfahrens Anfang November unbedingt eine Verurteilung erzwingen.