Auf allen Kanälen: Ein faderes «Tagblatt»

Nr. 14 –

Nach Jahrzehnten als freier Journalist für verschiedene Regionalzeitungen ist Hanspeter Guggenbühl vom NZZ-Mutterhaus mit einem Publikationsverbot in sämtlichen NZZ-Regionalblättern belegt worden.

Über das «St. Galler Tagblatt» wird in St. Gallen geklagt, wie in jeder Stadt über die eigene Zeitung geklagt wird. Bei genauerem Hinsehen war das «Tagblatt» in den letzten Jahrzehnten aber ein ansprechendes Blatt: etwas brav vielleicht, recht freisinnig, aber auch seriös, verlässlich, unaufgeregt, edel gestaltet, anders als die anderen. Und insgesamt unverzichtbar. Das hatte mit den eigenwilligen Journalistinnen und Journalisten zu tun, fest angestellten und freien – aber auch mit den Chefredaktoren, die den ökonomischen und politischen Druck nicht einfach weitergaben und es immer wieder verstanden, interessante AutorInnen anzuheuern.

Am kürzeren Hebel

Bis heute ist das «Tagblatt» eine wichtige Einnahmequelle der NZZ. Weil aber deren Not grösser und grösser wurde, fürchtete man in St. Gallen seit langem um die Eigenständigkeit des Blattes und erwartete, was vor gut einem Jahr schliesslich eintrat: Mit Pascal Hollenstein setzte die NZZ einen neuen Oberchefredaktor für ihre beiden Regionalzeitungen ein, für die «Luzerner Zeitung» und das «St. Galler Tagblatt». Sein Auftrag war klar: Synergien nutzen. Oder einfacher: Kosten senken.

Bei der Zusammenlegung oder Kooperation von Medientiteln ist immer die Frage, welche Betriebskultur sich durchsetzt oder welcher kleinste gemeinsame Nenner zum Massstab wird. JournalistInnen pochen gerne auf ihre Unabhängigkeit. Sie fühlen sich mehr ihrem Berufsstolz, ihrer Berufsethik, ihrer Aufklärungsmission verpflichtet als den Satzungen der jeweiligen Medienhäuser. Aber im Konfliktfall sitzen sie am kürzeren Hebel – wenn sie nicht von der Chefredaktion gestützt werden.

Besonders unabhängig sind die freien JournalistInnen – und zugleich besonders abhängig vom Wohlwollen der sie beauftragenden Redaktionen. Die Zeitungen profitieren vom zusätzlichen Fachwissen, das ihnen dank der «Freien» zur Verfügung steht. Ein beispielhaft kenntnisreicher und informierter Journalist ist Hanspeter Guggenbühl. Ich erinnere mich, dass ich in einzelnen Fragen nicht mit ihm einverstanden war, namentlich als er sich für die Ecopop-Initiative starkmachte. Immer aber argumentiert Guggenbühl, der ab und an auch für die WOZ schreibt, mit Fakten. Ich las ihn deshalb mit Interesse – vor allem im «St. Galler Tagblatt», meiner Regionalzeitung. Manchmal staunte ich, wie umfassend, tiefgründig und auch wachstumskritisch er in diesem Blatt seine Themen ausbreiten konnte.

Nun aber wurde Guggenbühl aus meinem «Tagblatt» verbannt. Das Ostschweizer Kulturmagazin «Saiten» hat die Details des Falls Ende März publik gemacht. Alles begann mit einem Konflikt mit der Redaktion der «Luzerner Zeitung». Er führte dazu, dass Guggenbühl der Luzerner Inlandredaktion nicht länger eigene Recherchen anbieten wollte (der St. Galler Inlandredaktion aber sehr wohl), Hollenstein sich einschaltete und Guggenbühl nach längerem Mailwechsel mitteilte: «Eine eklektische Mitarbeit in einzelnen Ressorts oder Titeln unserer Regionalmediengruppe ist leider nicht möglich.» Es sei wohl am besten, «wenn wir die Übung ganz abbrechen und wir von dir keine Texte mehr publizieren».

Guggenbühl, vermute ich, ist für die Redaktionen kein einfacher Partner. Aus Erfahrung weiss ich aber, dass aufmüpfige – vielleicht auch eitle – Geister der Zeitung Farbe geben. In seinem Leibblatt möchte man ja nicht lesen, was die Verlagsleitung als gängig und attraktiv erachtet, sondern was kluge Köpfe recherchieren und gewichten.

Trauern und sich neu orientieren

Und so setzt bei mir langsam die Trauerarbeit über mein «Tagblatt» ein. Dieses war mir immer viel näher als die boulevardeske «Luzerner Zeitung», von der ich allerdings ein etwas einseitiges Bild habe, weil ich mich vor allem mit einzelnen ihrer Fehlleistungen auseinandersetzte und den Luzerner Zeitungsalltag ansonsten kaum kenne. Aber das langsame Einsickern von Luzerner Inhalten in mein «Tagblatt» stört mich. Da bin ich nicht der Branchenkenner, der weiss, dass Kooperationen im serbelnden Zeitungswesen unabdingbar sind und der einst selbst eine Redaktion auf Kosten der Freien zu erhalten suchte. Da bin ich einfach ein Leser, der sich langsam von seiner Zeitung verabschiedet und im Internet neu orientiert. Ungern zwar. Aber ein «Tagblatt» ohne Guggenbühl ist für mich ein faderes «Tagblatt».

Hanspeter Spörri war von 2001 bis 2006 Chefredaktor beim Berner «Bund».