Julia Kubik: Am Stadtrand mit dem Spionageschiff

Nr. 38 –

Sie macht Tristes und Trostloses grösser, als es ist, damit es sie nicht mehr einengen kann: Was passiert im Humor der St. Galler Autorin und Comiczeichnerin Julia Kubik?

Autorin Julia Kubik
«Humor soll einem die Dinge auch mal vor die Füsse werfen»: Autorin Julia Kubik. Foto: Lea Hitz

«Ich bin das soziale Taschenmesser / Ich zerteile die Gespräche besser / Ich kann alle eure Slangs kopieren / Grundsatzdiskussionen initiieren», spricht Julia Kubik monoton ins Mikrofon, dazu hören wir einen treibenden Beat und einen Loop aus dem Synthesizer. Kubik trägt einen schwarzen Anzug, die dunkelorangen Haare nach hinten gegelt, die Augenpartie grossflächig rot geschminkt wie einst David Bowie. Es ist ein Auftritt ihrer Band Hundefutter, die Kubik mit Raoul Doré 2023 gegründet hat. Ihr Gründungsmythos: Sie hätten sich auf dem Marktplatz tutti.ch, wo Doré bei Kubik Spezialhundefutter gekauft hat, kennengelernt. Das Set-up des Duos ist simpel: Schlagzeug, Synthesizer, Saxofon – und Kubiks Sprechgesang. Sie nennen es Minimal Punk.

Dabei hat Julia Kubik nie einer Subkultur angehört. Nicht mal einem Sportverein; damit habe sie in Buchs SG, wo die heute 29-Jährige aufgewachsen ist, schon als Freak gegolten. «Ich habe nicht noch mehr Regeln gebraucht, die einem vorschreiben, wie man zu sein hat», sagt Kubik auf einem Spaziergang durch St. Gallen. Manchmal beneide sie die Teenager von heute, die so viel natürlicher mit Dingen umgingen, die in ihrer Jugend auf dem Dorf noch kein Thema gewesen seien, Queerness zum Beispiel. In sozialen Netzwerken fänden heute viele ihre Community. «Man merkt schneller, dass man nicht allein ist.»

Körperlose Stimme

Heute wohnt Kubik – nach einem kurzen Zwischenstopp in Wien für ein Praktikum in einem Grafikbüro – in St. Gallen, «wo man sich eigentlich immer am Stadtrand befindet». Wir treffen uns bei der binären Uhr am Bahnhof, dem «umstrittensten Kunst-am-Bau-Objekt der Stadt», und sie erzählt, wie alles vor etwa zehn Jahren mit Posts auf Facebook angefangen hat. «Im Internet war ich einfach eine körperlose Stimme.» Es habe ihr gefallen, als nichts anderes gelesen zu werden, nicht auf das Äussere reduziert oder zurückgeworfen zu werden.

Kubik macht noch heute, was sie in ihren ersten Posts gemacht hat: Alltagsbeobachtungen und Aphorismen in Form von Bild-Text-Collagen raushauen, meistens ins Netz. Dort schickt sie unter dem Namen Spionageschiff, inzwischen auch auf Instagram, regelmässig einen Reigen an Posts und Storys in die Endgeräte ihrer Follower:innen. Da steht zum Beispiel: «schade gibt es noch keinen film noir aus dem industriegebiet winkeln», über einem Bild von ebendiesem verregneten Industriegebiet. Oder unter einem Schnappschuss eines unscheinbaren Hauseingangs: «würde gerne ein fotobuch veröffentlichen mit eigentlich schönen aber extrem schlecht fotografierten ecken st. gallens». Nach 24 Stunden verschwinden die Storys im Archiv. «Diese Vergänglichkeit bringt eine gewisse Freiheit mit sich», sagt Kubik. «Ich kann Gedanken, die ich auf einem Spaziergang habe, verarbeiten und abschliessen.»

Weniger vergänglich sind Kubiks absurde Comics, die sie seit fünf Jahren monatlich für das Ostschweizer Kulturmagazin «Saiten» zeichnet. Da geht ein angeschossenes Reh in eine Bar, es gibt HPYFMS-DAH (Hateful Pain Yoga For More Self-Doubt And Hopelessness) und Männer, die in einem Designerlavabo in Embryohaltung eisbaden. Inzwischen steht Julia Kubik auch auf Bühnen und vor Kameras. Im letzten Jahr hat sie für die «Sendung des Monats» im Schweizer Fernsehen Witze geschrieben oder war als Aussenreporterin an der «Hundsverlochete des Monats» unterwegs, zum Beispiel an den Schweizer Meisterschaften im Wettpflügen. In der Grabenhalle St. Gallen moderiert sie zusammen mit Matthias Fässler die Livetalkshow «Stadtgespräch». Und nachts legt sie ab und zu als «DJ Kutschenfahrt» auf. Auch ein paar Kapitel eines Coming-of-Age-Romans lägen in ihrer Schublade, erzählt sie, vielleicht schreibe sie den mal fertig, aber wohl eher nicht. Es scheint nichts zu geben, was Julia Kubik nicht kann. Sie selbst empfindet das ganz anders: Alles speise sich aus demselben Sumpf. «Es ist ja nicht so, dass ich auch noch Baumaschinen repariere und Firmen berate.»

Kämpf, Stoll, Sargnagel

Was bedeutet Humor für sie? Kubik liebt anarchischen und provokativen Humor, der nicht nach unten tritt. «Humor soll nicht streberhaft sein und einem Dinge erklären, sondern sie einem auch mal vor die Füsse werfen», sagt sie nach einem Abstecher in ihr Atelier über dem legendären Konzertlokal Palace beim Schlendern durch die Altstadt. Man müsse nicht alles komplett verstehen, erst recht nicht Witze. Humor als Freiraum, wo nicht alles Sinn ergeben muss. Vermisst hat sie diesen Freiraum beim Fernsehen. Damit habe sie aufgehört, weil sie nicht das Gefühl gehabt habe, sie selbst sein zu können; vieles stehe im Dienst der Quote.

Als Vorbilder erwähnt sie den Komiker Josef Hader, die Autorin Paula Irmschler und das Umfeld des Satiremagazins «Titanic», die Serie «Die Discounter» und die Schweizer Kolleg:innen Gabriel Vetter, Matto Kämpf, Lara Stoll und Dr. Lüdi. Aber ganz besonders die österreichische Autorin und Comiczeichnerin Stefanie Sargnagel. Kubik entdeckte sie vor ein paar Jahren zufällig im Internet, worauf sie alles verschlang, was Sargnagel bis dahin herausgegeben hatte. «Dass eine Frau in der Öffentlichkeit so lustig, selbstironisch und derb schreibt und redet, hatte ich bis dahin noch nie gesehen.»

Kubiks Arbeiten leben von Wort-Bild-Kombinationen; in ihren Comics geben Tiere hölzerne Floskeln von sich, oder sie untertitelt das Foto eines pochierten Eis mit einem Satz zur drohenden Gentrifizierung von Buchs. Ihr werde oft gesagt, dass sie sehe, was andere nicht sähen, doch Kubik widerspricht. Sie sei sich zwar nicht sicher, ob das ein Talent oder eine Wahrnehmungsstörung sei, aber sie gebe Alltäglichem einfach mehr Raum, als es andere täten: gewissen Situationen, Gebäuden um sie herum, der Migros-Filiale vor ihrer Haustür.

Wobei man nie das Gefühl hat, dass Kubik sich über irgendwen oder irgendwas lustig macht. Ihr Humor ist nicht zynisch oder böse, sondern lakonisch und auch ein bisschen schwer. «Humor und Melancholie sind zwei Seiten derselben Medaille», sagt sie. «Dinge, die ich trist, trostlos oder traurig finde, sind genau die Dinge, aus denen ich etwas ziehe: Ich mache etwas grösser, als es ist, damit es mich nicht mehr einengt.» Am Marktplatz angekommen, macht sie eine ausladende Geste und fügt trocken an: «Das ist jetzt eben der Time Square von St. Gallen.»

Alte Decke in der Sonne

Letztens schrieb Kubik auf Instagram: ­«August (der Sonntag des Sommers) war grob zusammengefasst wie eine alte Decke, die zu lange in der Sonne lag und nach Hund riecht.» Seit einem Jahr kann Kubik von ihrer Kunst leben – das heisst, sie hat viel zu tun, nach einem strengen Sommer fühlt sie sich erschöpft. Auf dem Programm standen Aufnahmen für «Flacher Teller», das Debütalbum von Hundefutter, das dieses Jahr noch erscheinen soll, sowie die Proben für die Show «es wie die Sonnenuhr machen», mit der Julia Kubik zusammen mit dem Kabarettist und Sänger Manuel Stahlberger bis im Februar durch die Deutschschweiz zieht. Es sei eine Herausforderung, ständig zu liefern, man brauche auch Raum für neue Inspiration. Vielleicht werde sie sich nach der Tour für die Filmhochschule in München oder Berlin bewerben, um Regie zu studieren, mal aus St. Gallen rauskommen und etwas Neues lernen. Ausserdem würde sie gerne noch mehr mit anderen zusammenarbeiten, um mit den eigenen Gedanken nicht so isoliert zu sein.

Nach dem Treffen schreibt Kubik eine Nachricht: Es solle unbedingt erwähnt werden, dass sie gerne etwas im Stil der österreichischen Serie «Braunschlag» machen würde, nur halt in der Ostschweiz. – Einfach, damit alle Bescheid wissen!

Julia Kubik und Manuel Stahlberger: «es wie die Sonnenuhr machen»; Fr, 20. September 2024, Schaffhausen, TapTab (Premiere); Fr, 27. September 2024, Flaach, Alti Fabrik; Sa, 5. Oktober 2024, Zürich, Theater am Hechtplatz. Sämtliche Daten der Tour bis Februar 2025 unter www.manuelstahlberger.ch.