BVG-Abstimmung: Wende bei den Renten?

Nr. 39 –

Mit dem Nein zur BVG-Reform ist bloss eine Abwehrschlacht gewonnen. Doch das Momentum für eine sozialere Reform könnte besser nicht sein.

Gleich dreimal haben in diesem Jahr die Stimmbürger:innen den bürgerlichen Parteien eine kräftige Ohrfeige verpasst. Es sind Schockwellen, die das Selbstverständnis dieser Parteien erschüttern – auch wenn sie es nicht offen eingestehen. Am Sonntagabend während der «Elefantenrunde» im Schweizer Fernsehen hätten die Zuschauer:innen es allerdings auch ohne Ton verstanden, sie mussten bloss in den Gesichtern der Präsidenten lesen: Gerhard Pfister (Die Mitte) wirkte ratlos, Thierry Burkart (FDP) versteinert und Marcel Dettling (SVP) seltsam aufgekratzt.

Einen Absturz der bürgerlichen BVG-Reform in diesem Ausmass hat wohl niemand vorhergesehen. Über 67 Prozent der Stimmenden lehnten die Vorlage ab. Deren Grundprinzip war nicht zu kompliziert, sondern einfach zu verstehen: Die arbeitende Bevölkerung sollte Ja zu insgesamt tieferen Renten sagen und dafür auch noch mit höheren Lohnabzügen bezahlen. Die Finanzindustrie dagegen, die sich an den Vorsorgegeldern aus der zweiten Säule dumm und dämlich verdient und hohe Milliardenbeträge abzügelt, hätte auch diesmal nichts beitragen müssen. Die bürgerlichen Politiker:innen, darunter einflussreiche und gut bezahlte Lobbyist:innen, hatten entsprechende Anträge der Linken von Anfang an abgeblockt.

Das Nein vom Wochenende ist gewissermassen eine Stunde null in der Rentenpolitik: Im März schmetterten die Stimmbürger:innen mit einem Nein-Anteil von 75 Prozent eine generelle Rentenaltererhöhung ab, und sie sagten deutlich Ja zu einer 13. AHV-Rente – und nun also lehnt eine überwältigende Mehrheit die Reform der Pensionskassen ab. Selbst die Abstimmung über die Rentenaltererhöhung für die Frauen, mit der die Bürgerlichen 2022 knapp durchkamen, muss womöglich wiederholt werden. Darüber entscheiden noch die Gerichte.

Ob SVP, FDP, GLP, Teile der Mitte-Partei und der Bundesrat aus den Ansagen der Bevölkerung etwas gelernt haben? Danach sieht es nicht aus: Die berechtigten Bedürfnisse der Bevölkerung sind ihnen offensichtlich egal – das äusserte sich auch darin, dass gewissen Politiker:innen ausser Volksbeschimpfungen nichts einfiel. Bereits nach den Niederlagen im März hatten sie beleidigt reagiert und unter Federführung der finanzpolitischen Extremist:innen der FDP eine Strafexpedition gegen die eigene Bevölkerung organisiert. Die Finanzierung der 13. AHV-Rente soll nach Vorstellung des Freisinns allein durch Sparen im Bundeshaushalt erreicht werden; der Bundesrat wiederum will weniger Mittel in die AHV-Kasse einschiessen und die 13. AHV-Rente allein mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer finanzieren. All dies träfe den Mittelstand und Geringverdiener:innen.

Dieses Vorgehen lässt sich als grobe und wiederholte Missachtung des Volkswillens begreifen – und damit als Attacke der rechtsbürgerlichen Eliten auf die direkte Demokratie. Es ist davon auszugehen, dass sie auch die Ablehnung der BVG-Reform nicht zum Einlenken bewegen wird. Die nächste AHV-Reformvorlage kommt 2026 ins Parlament. Wie bereits mehrfach angekündigt, bringen Bundesrat und bürgerliche Parteien dann die generelle Rentenaltererhöhung wieder ins Spiel.

Mit dem aktuellen Nein ist bloss eine Abwehrschlacht gewonnen. Doch das Momentum für eine sozialere Reform könnte nicht besser sein. Realisierbare Ideen, die die Finanzindustrie aus der Gleichung streichen würde, gibt es: Wie die Gewerkschaften bereits Anfang der nuller Jahre postulierten, könnte man Lohnprozente von der zweiten Säule in die AHV verschieben. Weil in der AHV der gesamte Lohn versichert ist, bewirkt eine Verschiebung deutlich höhere Renten. Einen anderen Weg zeigt Norwegen, wo Pensionsgelder in einem Staatsfonds verwaltet werden – und zwar sehr erfolgreich. Die Verwaltungskosten sind zehnmal tiefer als in der Schweiz, die Renditen der vergangenen zehn Jahre doppelt so hoch. Einfach nichts machen, wie das nun die bürgerlichen Parteipräsidenten wollen, spielt bloss der Finanzindustrie in die Hände, die auf Kosten der Versicherten ihre Profite maximiert.