Pubertätsblocker: Auf Eis gelegt

Nr. 39 –

Für Kinder und Jugendliche, die trans sind, kann eine medikamentöse Verzögerung der Pubertät lebensrettend sein. Was es zudem braucht: bessere Studien und eine bessere Ausbildung spezialisierter Ärzt:innen.

Symbolbild: eine jugendliche Person rasiert sich im Gesicht
Eine Pubertätsblockade kann Zeit geben, sich eine Transition zu überlegen. Foto: Imago

Wenn sich der eigene Sohn Brüste wünscht und die Tochter Bart und Stimmbruch, sind die meisten Eltern verunsichert. Sie suchen nach kompetenter Hilfe, denn immerhin kommen nun Behandlungen infrage, die das Leben dauerhaft verändern würden. Ist das Kind in einer pubertären Krise, die wieder vorbeizieht? Hat sich der Teenager im Internet inspirieren lassen? Oder ist es der stabile Wunsch eines trans Kindes, der, wenn er nicht beachtet wird, ebenfalls lebensverändernde Folgen haben kann?

In den neunziger Jahren begannen Ärzt:innen in den Niederlanden, Kinder und Jugendliche, die darunter litten, die Pubertät im falschen Geschlecht zu durchlaufen, mit Pubertätsblockern zu behandeln. Diese Substanzen, sogenannte GnRH-Analoga, unterbinden die Ausschüttung der Geschlechtshormone. Die Pubertät wird «auf Eis gelegt», und die Betroffenen haben Zeit, ihre Geschlechtsinkongruenz – also das Gefühl, dass das biologische nicht mit dem tatsächlichen Geschlecht übereinstimmt – zu klären. Besteht sie fort, wünschen sich viele geschlechtsangleichende Hormone. Trans Mädchen bekommen Östrogene, was ihnen Brustwachstum und weiblichere Körperformen ermöglicht. Bei trans Jungen fördert die Gabe von Testosteron Bartwuchs, Stimmbruch und Muskelentwicklung. Im Erwachsenenalter können sich die Betroffenen für geschlechtsangleichende Operationen entscheiden, was aber längst nicht alle tun.

Zeit gewinnen

Pubertätsblocker sind also für Kinder und Jugendliche gedacht, die bereits vor oder zu Beginn der Pubertät den starken Wunsch nach einer Geschlechtsangleichung spüren. Die Zahl der Behandlungen hat in den letzten Jahren weltweit stark zugenommen. Seit die britische Genderklinik Tavistock 2023 geschlossen wurde, stehen solche Behandlungen verstärkt in der Kritik. Dort war bekannt geworden, dass Betroffene oft schon nach wenigen Sitzungen behandelt und nicht ausreichend über die Risiken aufgeklärt worden waren. Neben Grossbritannien haben unter anderem auch Schweden und Finnland den Einsatz von Pubertätsblockern stark eingeschränkt. Er ist nur noch im Rahmen von wissenschaftlichen Studien erlaubt.

Im deutschsprachigen Raum sucht man einen liberaleren Weg: Hier sind vor kurzem unter Beteiligung von 27 Fachgesellschaften Leitlinien erstellt worden. Demnach sollen Pubertätsblocker auch ohne Teilnahme an Studien weiterhin mit Vorsicht eingesetzt werden dürfen. «Niemand kann gezwungen werden, an einer Studie teilzunehmen, um eine Behandlung zu erhalten», sagt Achim Wüsthof vom Endokrinologikum Hamburg, der an den Leitlinien mitgeschrieben hat. «Der Zweck von Studien beruht auf der Idee von Freiwilligkeit.» Die Leitlinien wurden allerdings noch nicht verabschiedet. Kritiker:innen fordern eine Überarbeitung: Die wissenschaftliche Evidenz, dass sich die Behandlung vorteilhaft auf das psychische Wohl der Jugendlichen auswirke, sei schwach, und die langfristigen Nebenwirkungen seien zu wenig erforscht.

Kritisch äusserte sich auch der Schweizer Kinderendokrinologe Urs Eiholzer in einem Leserbrief in der Zeitschrift «Swiss Medical Forum». Er warnt vor einem allzu affirmativen Umgang mit dem Thema, durch den vor allem junge Mädchen zu schnell die Möglichkeit erhielten, «medizinische Massnahmen einzuleiten, deren Konsequenzen sie selbst, aber auch die behandelnden Personen in keiner Weise abschätzen können».

Viele Wege stehen offen

«Wir wissen alle, die wir in der Praxis damit arbeiten, dass Pubertätsblocker in die Entwicklung eingreifen und dass man sich diesen Schritt sehr genau überlegen muss», sagt Dagmar Pauli, Kinder- und Jugendpsychiaterin von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und ebenfalls Mitautorin der Leitlinien. «Eine Pubertätsblockade macht man nicht einfach so, und schon gar nicht bei jüngeren Kindern.» Eine untere Altersgrenze gibt es nicht, denn diese hängt vom Entwicklungsstand des Kindes ab.

Der frühestmögliche Zeitpunkt für einen Einsatz ist das Tanner-Stadium 2: Die Brust hat angefangen zu wachsen oder die Hoden haben ein Volumen von vier Milliliter erreicht. «Das sind oft Kinder, bei denen der Wunsch schon in jüngster Kindheit feststand und auch die Eltern das Kind nie anders als in der trans Identität wahrgenommen haben», so Pauli. Diese Familien kommen zur Beratung, weil etwa das trans Mädchen den irreversiblen Stimmbruch vermeiden möchte. «Sie haben bei einer jahrelangen klaren Geschlechtsinkongruenz panische Angst vor der Vermännlichung und dem Stimmbruch. Als trans Frau mit Stimmbruch und Bart ist man ein Leben lang stigmatisiert», sagt Pauli. Die Kinder- und Jugendpsychiaterin berät auch trans Kinder, die als Jugendliche suizidal werden, wenn sich ungewollt Geschlechtsmerkmale entwickeln.

Mit einer Pubertätsblockade können die Vor- und Nachteile einer Transition besprochen oder auch das Tempo bestimmt werden. «Es sind aber ganz wenige Kinder, zehn bis zwanzig pro Jahr, die wir im Tanner-Stadium 2 behandeln», sagt Pauli, die in ihrer Klinik den Kanton Zürich und weitere Teile der Deutschschweiz als Einzugsgebiet abdeckt.

Sehr viel häufiger werden Jugendliche im Alter von vierzehn oder fünfzehn bei medizinischen Fachpersonen vorstellig, Pauli schätzt die Zahl auf fünfzig bis sechzig pro Jahr in ihrer Klinik. Mit einer Pubertätsblockade kann auch in einigen dieser Fälle Zeit gewonnen werden. Dabei wird gemeinsam mit der Familie unter anderem abgeklärt, wie lange die Geschlechtsinkongruenz schon besteht, wie das innere Empfinden war und wie hoch der zu erwartende Leidensdruck ist. «Eine Behandlung macht man nur, wenn das über Jahre ein klarer, nachvollziehbarer Prozess ist», so Pauli.

Für Achim Wüsthof vom Endokrinologikum Hamburg ist es wesentlich, dass vor einer Behandlung die Pubertät bereits etwas angelaufen ist. «Es ist für die Jugendlichen wichtig zu spüren: Nimmt die Geschlechtsdysphorie durch die Pubertät zu, oder ist es vielleicht ein Moment, in dem man sich wieder neu sortiert?»

Meist entscheiden sich die Jugendlichen nach der Behandlung mit Pubertätsblockern für geschlechtsangleichende Hormone. Die Gründe sind unklar. Liegt es daran, dass vor allem jene die Blocker erhalten, bei denen die trans Identität schon sehr stabil ist? Oder verstärkt die Pubertätsblockade diesen Wunsch? «Man muss deshalb sehr gut und gründlich abwägen, ob eine Pubertätsblockade für diesen betroffenen Menschen der richtige Weg ist», sagt Wüsthof. «Das grosse Problem ist, dass die Entscheidungen in einer Phase gefällt werden müssen, in der die jungen Menschen erst eine sehr vage Vorstellung davon haben, was es bedeutet, ein Mann oder eine Frau zu sein, oder wie sich Kinderwunsch und Sexualität anfühlen.»

Manche trans Jungen und trans Mädchen überlegen es sich anders. In Zürich, so schätzt Pauli, fahren nach einer Pubertätsblockade zwischen achtzig und neunzig Prozent mit geschlechtsangleichenden Hormonen weiter – Tendenz sinkend. Sie sieht immer wieder Jugendliche, die nach einer Phase der Pubertätsblockade ins bei der Geburt zugeordnete Geschlecht zurückkehren. Heute gebe es mehr Gestaltungsmöglichkeiten – sich etwa für eine soziale Transitionierung ohne medizinische Massnahmen zu entscheiden oder einen nicht-binären Weg zu wählen.

Verändert hat sich in den letzten Jahren auch das Geschlechterverhältnis der Hilfesuchenden. Inzwischen sind drei von vier geburtsgeschlechtliche Mädchen – einst waren die geburtsgeschlechtlichen Buben in der Mehrheit, etwa Mitte der nuller Jahre drehte das Verhältnis. «Das bereitet mir durchaus Sorgen», sagt Wüsthof. Es sei unklar, warum sich plötzlich so viele mit der weiblichen Pubertätsentwicklung unwohl fühlten. «Wir müssen den starken Willen der jungen Menschen respektieren und gleichzeitig Übertherapien verhindern. In diesem Dilemma befinden wir uns als Behandelnde.»

Pubertätsblocker kommen in der Regel höchstens zwei Jahre zum Einsatz, bei älteren Kindern oft weniger lang, denn mit der Behandlung verzögert sich die körperliche Reifung, was zusätzlichen Stress verursachen kann. Vorgängig müssen Kinder und Eltern über die Nebenwirkungen aufgeklärt werden. Debattiert werden etwa Auswirkungen auf die Hirnentwicklung. Die Mittel werden schon seit Jahrzehnten bei Mädchen ohne Geschlechtsinkongruenz verabreicht, die bereits mit fünf oder sechs Jahren frühzeitig in die Pubertät kommen. Bei ihnen hat man bisher keine nachteiligen Effekte festgestellt. Die trans Jugendlichen sind aber älter und befinden sich in einem kritischen Zeitpunkt der Hirnreifung. Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass sich die kognitiven Leistungen der Jugendlichen nach einer Behandlung verschlechtern, robuste Daten fehlen aber.

Die längere Einnahme von Pubertätsblockern führt zu einer geringeren Knochendichte. Die wohl weitreichendste Auswirkung betrifft aber die Fruchtbarkeit. Behandelt man bereits zu Beginn der Pubertät und verabreicht anschliessend geschlechtsangleichende Hormone, so reifen Spermien und Eizellen nicht heran, und die Person bleibt lebenslang unfruchtbar. «Diese Themen muss man sehr genau mit den Jugendlichen und den Eltern besprechen», sagt Pauli. Sind die Kinder schon etwas älter und die Gonaden gereift, können Samen- und Eizellen für einen späteren Kinderwunsch entnommen und eingefroren werden.

Schwierige Studienlage

Zur psychischen Befindlichkeit der Jugendlichen unter Pubertätsblockern gibt es unterschiedliche Studienergebnisse: von keinem Effekt bis zu einer Verbesserung der emotionalen Lage. Die schwache Evidenzlage hat damit zu tun, dass randomisierte kontrollierte Studien – der Goldstandard in der Medizin –, bei denen eine Gruppe behandelt wird und die andere nicht, ethisch nicht vertretbar sind. Das ist ein generelles Problem in der Kindermedizin. Möglich sind einzig Verlaufsstudien, bei denen man beobachtet, wie es den Betroffenen danach geht. Erschwerend kommt hinzu, dass viele betroffene Jugendliche an psychischen Problemen leiden, etwa Depressionen oder Angststörungen. Wie diese mit der trans Identität in Zusammenhang stehen, ist nicht immer einfach zu klären.

Eine Behandlung mit Pubertätsblockern kann lebensrettend sein, eine zu frühe Behandlung kann Schaden anrichten – dieses Dilemma lässt sich nicht auflösen. Der Deutsche Ethikrat formuliert es so: Sowohl die Durchführung als auch die Unterlassung kann gravierende Konsequenzen haben. Die Schweizerische Ethikkommission hat bisher noch nicht Stellung genommen.

Einig sind sich indes alle, dass qualitativ hochstehende Verlaufsstudien dringend nötig sind. «Und es braucht eine bessere medizinische Ausbildung von Genderspezialist:innen, die in der Lage sind, sorgfältige Evaluationen zu machen», sagt Wüsthof. Nur so kann Jugendlichen mit diesen Nöten langfristig geholfen werden.