Selbstbestimmung: Endlich frei
Frauen, die sich sterilisieren lassen wollen, haben oft Schwierigkeiten, Unterstützung von Ärzt:innen zu erhalten. So wie Naomi Amman, die von einem Mediziner sogar ausgelacht wurde.
Das Schwierigste? Das seien die ständigen Rechtfertigungen und Wiederholungen gewesen, erinnert sich Naomi Amman. Ärzt:innen hätten ihr misstraut. Sie wollten nicht die Verantwortung dafür übernehmen, eine junge, kinderlose Frau auf eigenen Wunsch zu sterilisieren. «Schwierig war auch, dass der Prozess nicht transparent ist», erzählt die 31-Jährige. Es sei nie klar gewesen, was sie beim nächsten Arzttermin erwarten würde und wer aus welchem Grund über ihren Wunsch entscheide. Das Schönste? «Meine liebsten Leute, die für mich da waren, mir zugehört haben und mit mir in eine Auseinandersetzung gegangen sind», erinnert sich Amman, die eigentlich anders heisst. Sie will anonym bleiben, weil sie keine öffentliche Person sein möchte. Nach dem Eingriff am 24. November 2022 – das Datum hat sich in ihr festgebrannt – ist sie überwältigt vor Freude. «Es war ein Akt der Selbstbestimmung, eine Befreiung.»
Keine Kinder haben zu wollen, ist ein Entscheid, den jeder Mensch für sich selbst treffen kann. Was selbstverständlich sein sollte – das Recht, über den eigenen Körper zu entscheiden –, ist es nicht. Jede und jeder darf sich ab achtzehn Jahren sterilisieren lassen, sofern er oder sie urteilsfähig ist. Für Menschen mit einem Uterus, damit sind auch nichtbinäre, inter und trans Personen gemeint, kostet der Eingriff rund 2000 Franken. Liegen keine gesundheitlichen Gründe vor, müssen die Patient:innen das selbst bezahlen. Doch was im Schweizer Sterilisationsgesetz klar geregelt ist, gerät nicht selten zu einem Hindernislauf. Anders als bei Männern wird dieser Entscheid bei Frauen oftmals infrage gestellt.
Kinderlosigkeit gilt als Makel
Jede Gynäkologin, jeder Gynäkologe darf selbst wählen, ob sie oder er eine Sterilisation vornimmt. Vor allem junge Betroffene ohne Kind, die keinerlei medizinische Gründe vorweisen können, müssen teilweise lange nach einer unterstützenden Fachperson suchen. Lebensläufe ändern sich, lautet ein gängiges Argument der Bedenkenträger:innen; der Wunsch nach einem eigenen Kind könne immer noch aufkommen. Bei einem Partnerwechsel würden sich allenfalls auch die Lebensziele ändern. Dabei wird gerne eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 1999 zitiert, bei der 11 000 sterilisierte Frauen zwischen 18 und 44 Jahren befragt wurden, wie sie rückblickend zu diesem Entscheid stehen. Rund zwanzig Prozent der unter Dreissigjährigen mit und ohne Kind gaben damals an, die Sterilisation zu bereuen.
In Deutschland ist die rechtliche und gesellschaftliche Situation mit jener in der Schweiz vergleichbar. Weil es so schwierig ist, ein:e hilfsbereite Mediziner:in zu finden, bietet der Verein «Selbstbestimmt steril» Hilfe an. Gegründet wurde der Verein von Personen mit einem Uterus, die selbst vom Thema betroffen sind. Auf der Website berichten sie von ihren eigenen Erfahrungen, auf einer Deutschlandkarte werden Ärzt:innen angezeigt, die Sterilisationen anbieten, und es werden medizinische und rechtliche Fragen rund um das Thema behandelt. In der Schweiz fehlt ein vergleichbares Angebot.
Im Kantonsspital St. Gallen werden Frauen mit einem Sterilisationswunsch behandelt. «Grundsätzlich handeln wir im Auftrag einer Patientin und führen dann auf ihren Wunsch einen Eingriff durch», erklärt René Hornung, Chefarzt der Frauenklinik. Damit dies möglich sei, müsse die Patientin mündig, urteilsfähig und korrekt über den Eingriff aufgeklärt sein. Sollte der Eindruck entstehen, die Urteilsfähigkeit einer Patientin sei eingeschränkt, dann wird gegebenenfalls eine psychologische Beurteilung eingeleitet. Dass einige Kolleg:innen einen solchen Eingriff nicht vornehmen, will Hornung nicht bewerten. «Jeder Mensch hat ein Wertesystem, in dem er sich bewegt. Wenn die Operationsindikation und die persönlichen Werte der Ärzt:innen nicht in Einklang stehen, haben sie das Recht, eine Behandlung abzulehnen. Eine Ausnahme stellen lebensrettende Sofortmassnahmen dar», sagt Hornung.
Naomi Ammans Sterilisationsgeschichte zieht sich über Jahre hin. Sie wächst in einem Dorf im Aargau auf. Schon als Jugendliche spürt sie, dass sie keine Kinder will. Sie erzählt es ihren Eltern, die ihren Wunsch akzeptieren. Mit 21 Jahren fragt sie zum ersten Mal bei einem Gynäkologen nach der Möglichkeit einer Unterbindung. «Der hat mich nicht ernst genommen, er hat mich ausgelacht.» Weil sie keine Kraft zum Kämpfen hat, lässt sie das Thema ruhen. Stattdessen verhütet sie kurzzeitig hormonell.
Frauen mit einem unerfüllten Kinderwunsch müssen ihren Leidensdruck selten erklären. Wenn eine Frau aber kinderlos bleiben will, stösst sie oft auf Unverständnis. Sie wird angefeindet, als Egoistin beschimpft. Manchen gewollt Kinderlosen geht es ums Klima – jeder Mensch belaste die Umwelt zusätzlich. Manche wollen einfach keinen Nachwuchs grossziehen. Andere finden es unmoralisch, in einer Zeit mit zunehmenden Krisenherden weitere Kinder zu zeugen. Für Amman ist es eine Mischung aus vielem. «Ein Kind ist eine lebenslange Verantwortung. Vielleicht habe ich in zehn Jahren keinen Bock mehr darauf, und dann?», sagt sie. Für sie sind eigene Kinder auch nicht mit ihrem feministischen politischen Aktivismus und ihrem Alltag vereinbar. «Man kann alles machen mit Kindern, aber für mich wäre es ultraanstrengend.» Und letztlich habe sie einfach nie einen «intrinsischen Wunsch» nach einem eigenen Kind gehabt.
Chefarzt Hornung nennt weitere Gründe für den Wunsch nach einer Sterilisation: Wer bereits eigene Kinder habe, wolle allenfalls eine zuverlässige, andauernde und kostengünstige Verhütung. Ferner seien auch psychische Krankheiten, vererbbare körperliche Krankheiten oder ein schwieriges soziales Umfeld Gründe für eine Unterbindung.
Genaue Zahlen dazu, wie viele Frauen sich hierzulande sterilisieren lassen, gibt es nicht. Unterbindungen können sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden. Das Bundesamt für Statistik erfasst nur die Eingriffe, die in Spitälern vorgenommen werden, und die zeigen: In den vergangenen Jahren waren die Zahlen rückläufig. Im Jahr 2012 liessen sich 2537 Frauen sterilisieren, zehn Jahre später waren es 1954. Was aus den Zahlen deutlich hervorgeht: Es lassen sich mehr Frauen als Männer stationär sterilisieren. 2012 waren es 365 Männer, die sich für einen solchen Eingriff entschieden, 2022 waren es noch 293.
Während bei einem Mann die Durchtrennung der Samenleiter unter örtlicher Betäubung vollzogen werden kann, handelt es sich bei einer Frau um eine Operation unter Vollnarkose. Mittels Bauchspiegelung werden die Eileiter durchtrennt oder mit einem Metallclip abgeklemmt oder mit Hitze verschweisst. Eine Unterbindung lässt sich nur operativ rückgängig machen, und danach wäre eine Schwangerschaft nur noch mit einer künstlichen Befruchtung möglich. Aus diesem Grund gilt der Eingriff als endgültig.
Verunsicherte Mediziner:innen
Genau das ist es, was sich Amman wünscht: «Ich will das auch nicht alle zwei bis drei Jahre neu diskutieren und mir darüber Gedanken machen müssen, weil ich versehentlich schwanger geworden bin.» Amman sagt, eine ungewollte Schwangerschaft hätte sie abgebrochen.
Mit 29 Jahren nimmt sie das Thema wieder in Angriff. Für sie ist es mittlerweile auch ein feministischer Kampf. Sie geht zur Fachstelle «Sexuelle Gesundheit Schweiz» in Bern, die ans Inselspital angegliedert ist. Dort trifft sie auf eine Ärztin, die sich selbst als «unsicher» bezeichnet habe. Sie spricht von alternativen Verhütungsmethoden. Weil Amman auf ihrem Entschluss beharrt, schlägt die Ärztin eine psychiatrische Abklärung vor. Amman ist enttäuscht; sie ist seelisch gesund und fühlt sich durch solche Ratschläge fremdbestimmt. Doch sie hat keine Wahl. Wenn sie zwanzig Kinder in die Welt setzen würde, käme niemand auf die Idee, sie zu einem Psychologen zu schicken. Wieder muss Amman aus ihrem Leben erzählen, auch hier wird ihr zu alternativen Verhütungsmethoden geraten. «Es war sehr unangenehm und merkwürdig», erinnert sie sich.
Weg mit Angst und Stress
In dieser Phase fordert sie sich selbst heraus, indem sie mit vielen Menschen über ihren Plan redet. «Ich wollte schauen, wie sich das für mich anfühlt, ob ich wirklich bei meinem Wunsch bleibe.» Die meisten Reaktionen seien positiv gewesen, «aber das liegt wohl auch daran, dass ich mich in einer linken, feministischen Bubble bewege». Nur einmal sei sie auf Ablehnung gestossen. Auf einer Party habe ein Mann schwärmerisch von seinem Kind erzählt. Amman habe sich für ihn gefreut und ihm dann von ihrem Vorhaben erzählt. «Er war richtig geschockt und meinte, ich sei krank, einfach nur krank.» Sie habe sich weinend auf der Toilette versteckt – «weil er meinen Lebensentwurf angegriffen hat. Das ist richtig krass und einfach patriarchal, zu sagen: Du bist eine Frau, du musst doch mal Mutter sein.»
Wochen später erhält sie endlich eine Zusage für einen Operationstermin. «Ich habe so reagiert, wie wenn ich einen Traumjob bekommen hätte.» Am 24. November 2022 wird Amman in den Operationsraum geschoben. Der Anästhesist fragt sie, wo ihre Kinder gerade seien. Sie schaut ihn fragend an, er will wissen, ob diese im Kindergarten seien. «Ich erwiderte, dass ich keine Kinder möchte und darum ja hier sei.» Eine Verwechslung, für die sich der Arzt entschuldigt. Als sie aufwacht, kommen ihr Tränen. «Es war ein emotional anstrengender Tag. Endlich ist es durch.» Die Ängste und der Stress der vergangenen Jahre fallen von ihr ab. Freund:innen von ihr organisieren später eine Unterbindungsparty für sie. Endlich feiern, dass ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen ist.