Von oben herab: Schweizerische Linkspartei
Stefan Gärtner über nicht ganz so gewöhnlichen Rechtspopulismus

Wer hier seit Jahren mitliest, weiss, dass diese Kolumne wenig so fasziniert wie Dialektik und Konjunktur, Trend und Gegentrend, die zweite Wahrheit hinter der ersten. Also überrascht es nach den Nazierfolgen in Österreich und Ostdeutschland kein bisschen, wenn Un- beziehungsweise Freisinn-Präsident Thierry Burkart im Interview mit der «Aargauer Zeitung» beklagt: «Die SVP kippt in vielen Fragen immer mehr ins linke Lager.» Links ist Trend, zumindest in der rechten Schweiz, und die grosse Schweizer Volkspartei wird nicht nur «bei der einheitlichen Finanzierung stationärer und ambulanter medizinischer Leistungen oder auch bei staatlichen Investitionskontrollen» (Burkart) langsam, aber sicher rot!
Migration. Die SVP will Menschen, die sich illegal in der Schweiz aufhalten, nicht mehr teeren und federn, sondern bloss noch bei Wasser und Brot in den Abschiebeknast werfen, wobei das Brot nicht älter als zwei Wochen sein darf und als vegane Option mit Margarine bestrichen werden kann (dünn). «Illegal» bedeutet nicht mehr, seine Abstammung nicht bis zum Rütlischwur nachweisen zu können, der neue Stichtag ist der 12. September 1848. Die Kopplung der Liste vermeintlich «sicherer Herkunftsstaaten» an die Liste aller Uno-Mitglieder soll überdacht werden.
Wirtschaft. «Die SVP wird zur gewöhnlichen europäischen rechtspopulistischen Partei und verliert ihre wirtschaftsliberale Ausrichtung» – diesen FDP-Vorwurf kann und will die Partei Marcel Dettlings nicht auf sich sitzen lassen. «Wir sind keine gewöhnliche europäische rechtspopulistische Partei. Wir sind nämlich überhaupt keine europäische Partei», so der Präsident in einem offiziösen Statement. Trotzdem sollen Unternehmensinteressen nicht mehr automatisch Priorität haben, sondern nur, «wenn gute Gründe dafür vorliegen». Die Gründe können formlos (E-Mail, Whatsapp) eingereicht werden, als Beispiele gelten «Gefährdung der Gewinnziele», «renitente Belegschaft» und «Preiserhöhung bei Porsche».
Verteidigung. Hier ist der Linksrutsch vielleicht am deutlichsten: Von der «roten Gefahr» wird nicht mehr gesprochen, es reicht, für die «Bedrohung aus dem Osten» gewappnet zu sein. Die Idee, die Schweiz mit eigenen Atombomben vor einem russischen Einmarsch zu schützen, wird fallen gelassen, dafür soll russische Oligarchie ihr Geld wieder mündelsicher in der Schweiz anlegen können. Invasoren sollen einfach nach dem Schweizer Ausländerrecht behandelt werden: «Das wird Putin sich zweimal überlegen!», ist Bundesrat Albert Rösti überzeugt.
Bildung. Jedes Schulkind soll lernen, was «mündelsicher» überhaupt bedeutet, «Kommunismus» im Geschichts- und nicht mehr im Biologieunterricht behandelt werden («gefährliche Krankheiten»), das kleine Einmaleins wieder in Mathematik statt Betriebswirtschaft. Die zeitgenössische Fixierung auf «Kompetenzen» wird revidiert. «Sonst merken ja alle, was für ein inkompetenter Haufen wir sind!», so Rösti in einem versehentlich an seine Frau geschickten Fax.
Kultur. Die SVP überdenkt ihren Widerstand gegen Gendersprache. «Schauen Sie», verrät Fraktionspräsident Thomas Aeschi zu vorgerückter Stunde, «wenn ich sage: Diese Partei ist die Partei der Esel, da fühlen sich die vielen Eselinnen doch gar nicht angesprochen.» Aus «rhythmischen Gründen» (Eveline Ruedi-Widmer) soll der Rütlischwur aber nicht gegendert, sondern schweiztypisch neutralisiert werden: «Wir wollen sein ein einig Volk von Blöden.» Auch Angehörige der LGBTIQ-Gemeinde sollen mittelfristig bei der Volkspartei willkommen sein, «aber bitte erst, wenn mein Vater unter der Erde ist», bittet Magdalena Martullo-Blocher. «Wer trans und dann so verrückt ist, zur SVP zu wollen, der ist auch verrückt genug, um es bei uns ganz nach oben zu schaffen!»
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.
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