Indigenes Gipfeltreffen: Wie wird die Energiewende gerecht?

Nr. 42 –

In Genf trafen sich Indigene aus aller Welt, um über die Auswirkungen der Energiewende auf ihre Lebensräume zu diskutieren und Forderungen zu formulieren.

Gruppenfoto der Teilnehmer:innen der Konferenz in Genf
Der fossile Ausstieg ist zwingend, sind sich die Teilnehmer:innen der Konferenz in Genf einig – aber nicht auf Kosten ihrer Gemeinschaften. Foto: Silvia Schönenberger, GfbV

«Nachhaltigkeit bedeutet nicht das Ende des Kolonialismus.» Mit diesem Satz brachte Grace Nakimayak vom Volk der Inuvialuit und Vertreterin der Arktis den Inhalt einer einstündigen Medienkonferenz prägnant auf den Punkt.

Die Konferenz am Donnerstag letzter Woche markierte den Abschluss eines dreitägigen Gipfeltreffens in Genf, an dem über hundert Vertreter:innen verschiedener indigener Gemeinschaften diskutierten, wie die Energiewende aussehen müsste, wenn sie gerecht sein sollte. Dass sie das aktuell nicht ist, daran herrschte kein Zweifel.

Bergbau in Bolivien

Das indigene Gipfeltreffen für eine gerechte Wende war die erste Veranstaltung dieses von der Gesellschaft für bedrohte Völker unterstützten Formats. Organisiert wurde es von einem eigens dafür gegründeten Komitee, in dem Aktivist:innen aus allen Weltregionen vertreten sind. Aus der Arktis waren neben Gemeinschaften, die wie Nakimayak aus dem Gebiet des heutigen Nordkanada stammen, auch die Sami vertreten, aus der Pazifikregion kamen etwa die Maori. Carlos Mamani sprach für die Indigenen Lateinamerikas und der Karibik.

Wie die meisten Voten war auch das von Mamani dezidiert kritisch: «Die Energiewende bringt eine Bedrohung unseres Territoriums, unseres Lebens und der gesamten Ökosysteme mit sich.» Befürworten die Indigenen den Wandel hin zu erneuerbaren Energien also gar nicht? «Doch», sagt Mamani einige Tage später am Telefon. Der 65-jährige Aktivist und Unidozent ist bereits nach Bolivien zurückgekehrt, wo er in einer Kleinstadt in der Nähe von La Paz lebt. «Wir sind nicht gegen den Wandel», betont Mamani, der dem Volk der Aymara angehört. «Der Verzicht auf fossile Brennstoffe und die Nutzung alternativer Energien werden kommen, sie müssen kommen.» Doch benötige man zur Leitung und Speicherung dieser Energien Rohstoffe wie Lithium oder Kupfer: «Und diese Mineralien liegen in unseren Territorien.»

Tatsächlich liegt ein grosser Teil der natürlichen Ressourcen, die für die Nutzbarmachung und Speicherung erneuerbarer Energien benötigt werden, in indigenen Gebieten oder in deren Nähe. Zu diesem Schluss kam eine vor zwei Jahren im Fachmagazin «Nature» publizierte Studie. Darüber, dass es beim Abbau der Rohstoffe oft zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden kommt, berichten NGOs seit Jahrzehnten. Mamani kennt verschiedene Beispiele, in denen die Lebensräume indigener Gemeinschaften zerstört wurden. Er nennt etwa die Gemeinschaft der Uru-Murato, deren Lebensgrundlage der mittlerweile ausgetrocknete Poopó-See in den Anden war. Für die Austrocknung verantwortlich gemacht werden einerseits der Klimawandel, andererseits Bergbauunternehmen, die jahrzehntelang Zuflüsse ableiteten.

Uno-Deklaration für indigene Rechte

Für Mamani steht der aktuelle Umgang mit Indigenen und ihren Gebieten in einer kolonialen Tradition. Er verweist auf die Stadt Potosí, in der die Kolonialmacht Spanien bereits im 16. Jahrhundert im grossen Stil Silber abbauen liess – mit grausamen Folgen für Bevölkerung und Umwelt. «Schon damals stahlen sie unsere Ressourcen, und heute lebe ich in der Region, die sie das Lithiumdreieck nennen und wo das Gleiche wieder passiert.» Auch heute bauten Unternehmen mit staatlicher Duldung Rohstoffe ab, ohne sich um die Rechte lokaler Bevölkerungen zu scheren. Ginge es nach der 2007 verabschiedeten Uno-Deklaration der Rechte indigener Völker, würden Indigene nicht gewaltsam vertrieben und müssten Bergbau- oder anderen Projekten auf ihrem Land «freiwillig und informiert» zustimmen. «Bis zur Einhaltung der Deklaration ist es allerdings noch ein weiter Weg», sagt Mamani. An der Konferenz ist diese Deklaration in mehreren Reden ein Thema, denn würde sie angewandt, wäre eine der wichtigsten Forderungen der Indigenen bereits erfüllt: die Wahrung ihrer Rechte und Selbstbestimmung sowie der konsequente Einbezug bei Bergbauprojekten.

Dass es auch anders ginge, zeigten in Genf Workshops: Teilnehmer:innen berichteten von Projekten, bei denen lokale indigene Gemeinschaften und ihr Wissen von Anfang an miteinbezogen wurden.