Sánchez’ Regularisierungs-initiative: «Wir sind Kinder der Migration»
Der spanische Regierungschef kündigt eine schnellere Legalisierung von Sans-Papiers an. Seine Einwanderungspolitik bleibt aber widersprüchlich.
Als Ministerpräsident Pedro Sánchez vergangene Woche vor dem spanischen Parlament verkündete, seine Regierung werde die Regularisierung illegal eingewanderter Migrant:innen vereinfachen, klang es, als wollte endlich jemand den europäischen Überbietungswettbewerb in Sachen Rassismus beenden. «Wir Spanier sind Kinder der Migration, wir werden nicht die Eltern der Fremdenfeindlichkeit sein», erklärte Sánchez, der seine Rede allerdings mit den üblichen Nützlichkeitsargumenten unterfütterte. Weil Spanien in Anbetracht seines stabilen Wirtschaftswachstums Arbeitskräfte benötige, sei eine schnellere Integration der Einwander:innen im Interesse des Landes.
Aktive Abschottungspolitik
Hintergrund von Sánchez’ Auftritt ist eine zu beobachtende Verlagerung der Migrationsrouten Richtung Kanarische Inseln. Seit Anfang des Jahres sind auf dem Archipel etwa 30 000 Migrant:innen angekommen – fast doppelt so viele wie 2023. Verglichen mit den 16 Millionen Tourist:innen, die jährlich auf den Kanaren Urlaub machen und den 2,2 Millionen Bewohner:innen ist das zwar eine verschwindend kleine Zahl. Doch die beiden spanischen Rechtsparteien, die konservative Volkspartei (PP) und die rechtsextreme VOX, nahmen den Anstieg als willkommenes Mobilisierungsthema.
Die Präsidentin der Autonomen Gemeinschaft Madrid, Isabel Díaz Ayuso, die in den Reihen der PP als Scharfmacherin gilt, hatte bei einer Parlamentsdebatte unlängst behauptet, die Regierung der sozialdemokratischen PSOE vertiefe «die Migrationskrise» – und stärke damit die VOX-Partei. Ebenfalls im Regionalparlament von Madrid sprach die Fraktionsvorsitzende der Rechtsextremen, Rocío Monasterio, von einer «Invasion der Immigranten» und forderte die Schliessung aller Aufnahmeeinrichtungen für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Die sogenannten Menas (Menores Extranjeros No Acompañados) werden von den grossen Medien schon seit einiger Zeit als Gefahr dämonisiert.
In diesem Zusammenhang ist die Initiative von Regierungschef Sánchez durchaus bemerkenswert. Anstatt sich an der Panikmache zu beteiligen, bekannte sich der Sozialdemokrat zu einer erleichterten Integration von Einwander:innen. Anspruch seiner Regierung sei ein «humanitärer» Umgang mit der Migration, sagte Sánchez und kündigte ein Programm zur Integration junger Migrant:innen an.
Ob sich dadurch die Lage für das Gros der Sans-Papiers wirklich verbessert, ist fraglich. Innerhalb der EU trägt die PSOE-Regierung die Abschottungspolitik aktiv mit: So drängt sie auf eine schnelle Inkraftsetzung des sogenannten Migrationspakts, der von spanischen Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wird. Und auch auf nationaler Ebene unterscheidet sich die Politik der PSOE-Regierung weniger von derjenigen anderer EU-Staaten, als man vermuten könnte. Grosse Empörung weckte unlängst die Entscheidung der Regierung, sechzehn Asylbewerber:innen aus der marokkanisch besetzten Westsahara, darunter auch bekannten politischen Aktivist:innen, die Einreise zu verweigern und sie direkt nach Marokko abzuschieben.
Gesellschaftliche Mobilisierung
Die wichtigste Massnahme des angekündigten neuen Ausländer:innengesetzes, das eigentlich bereits im Frühjahr 2024 verabschiedet werden sollte, besteht in der Verkürzung der Anerkennungszeiten. Bisher mussten Migrant:innen, die illegal in Spanien arbeiten, einen Aufenthalt von drei Jahren nachweisen, um eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen zu können. Möglich ist dieser Nachweis, weil sich auch Sans-Papiers in einer Gemeinde anmelden können, wenn ihnen jemand eine Meldeadresse zur Verfügung stellt. Diese Aufenthaltszeit soll nun auf zwei Jahre verkürzt werden. Zudem müssen die Antragsteller:innen keine Belege über ihre Integration mehr einreichen, sondern nur noch einen festen Arbeitsvertrag – was für viele allerdings nach wie vor eine hohe Hürde darstellt. Zudem sieht das neue Gesetz eine Vereinheitlichung der unübersichtlichen unterschiedlichen Aufenthaltstitel sowie eine Erleichterung der Familienzusammenführung vor. Mit der Initiative reagiert die Regierung Sánchez auch auf eine gesellschaftliche Mobilisierung: Seit 2022 läuft ein Volksbegehren, das die Regularisierung der geschätzt etwa 200 000 illegal im Land lebenden Migrant:innen durchzusetzen versucht.
Debattiert wurde in den spanischen Medien dann allerdings nicht über die Migrationsinitiative, sondern über zwei Gesetze, die die Regierung mit Unterstützung der baskischen Unabhängigkeitspartei EH Bildu in den Kongress einbrachte: Das eine passt den Strafvollzug an europäische Regelungen an und könnte die Haftstrafen ehemaliger Mitglieder der baskischen Untergrundorganisation Eta verkürzen; das andere schränkt die Vollmachten der Polizei bei Demonstrationen und Kontrollen ein. Die PP sprach von einem «Gesetz, das die Autoritäten schwächt, die Gewalttäter schützt und die EH Bildu legitimiert». Die spanische Rechte bleibt in Europa insofern ein Sonderfall, als die Bekämpfung der nationalen Minderheiten für sie nach wie vor identitätsstiftender ist als der Kampf gegen die Migration.