Spanien: Podemos – Aufstieg und Fall einer linken Hoffnung

Nr. 2 –

Vor zehn Jahren gründete sich in Spanien die linke Partei Podemos. Rasch feierte sie Erfolge, ihr Auftritt fand international Beachtung – am Ende zerlegte sich die Partei aber selbst. Wie konnte es so weit kommen? Eine Analyse.

In den Jahren nach der Finanzkrise von 2008 schien der Neoliberalismus in Europa angezählt. In Griechenland begann der kometenhafte Aufstieg der Linkspartei Syriza, in Grossbritannien wurde die technokratische Führung der Labour Party durch eine Basisbewegung beiseitegefegt. In Spanien besetzten 2011 Hunderttausende «Empörte» (Indignados) öffentliche Plätze, um das politische System infrage zu stellen: «Ihr repräsentiert uns nicht.»

Drei Jahre später erreichten diese Proteste auch die spanischen Institutionen. Basisdemokratische Linke bauten kommunale Listen auf, die ein Jahr später die Rathäuser von Barcelona, Madrid, Saragossa, Cádiz und vielen anderen Städten eroberten. Noch ambitionierter hingegen war das Parteiprojekt Podemos, das bei Umfragen zeitweise stärkste Partei des Landes wurde: Die neue Organisation trat an, um «den Himmel zu erobern», wie es ihr Vorsitzender Pablo Iglesias formulierte.

Von diesem Aufbruch ist heute nicht mehr viel übrig. Die linken Bürgermeister:innen sind abgewählt, Iglesias und viele andere Podemos-Gründer:innen haben der Parteipolitik den Rücken gekehrt, und das neue linke Wahlbündnis Sumar (Zusammenfassen), das bei den landesweiten Wahlen im Juli 2023 immerhin auf 12 Prozent kam, hat sich nur wenige Monate nach seiner Gründung gespalten. Bei den anstehenden Regionalwahlen in Galicien werden Podemos und Sumar gegeneinander antreten.

Doch wie erklärt sich dieser rapide Auf- und Abstieg von Podemos? Und: Was bleibt vom politischen Aufbruch?

«Gegen das Regime von 1978»

Auch in Spanien hatte die politische Krise ab 2011 ihren Ursprung in der Finanzkrise. Als die Immobilienpreise ausgehend von den USA weltweit einbrachen, standen auch die spanischen Banken vor dem Kollaps. Auf Drängen der EU, insbesondere von Deutschland, wurden die drohenden Verluste der Finanzinstitute verstaatlicht. Die Regierung in Madrid war plötzlich mit einem gewaltigen Haushaltsdefizit konfrontiert – obwohl die spanische Staatsschuldenquote mit 37 Prozent (des Bruttoinlandprodukts) deutlich unter der deutschen gelegen hatte.

Darüber hinaus war die spanische Krise auch eine des politischen Systems. Bei der sogenannten Transición, der Demokratisierung nach Francos Tod 1975, hatte das Land einen klaren Bruch mit der jahrzehntelangen Diktatur vermieden und stattdessen einen Elitenpakt zwischen dem franquistischen Apparat und der sozialdemokratisch geführten Opposition ausgehandelt. Auf diese Weise kam es zwar zu einer Öffnung Spaniens, doch die alten Machtnetze in Justiz, Polizei, Armee, Geheimdiensten, Medienkonzernen und Unternehmerverbänden blieben unangetastet. Die autoritäre Rechte behielt auch unter der Regierung des sozialdemokratischen PSOE von 1982 bis 1996 die faktische Kontrolle über wichtige Teile des Staatsapparats.

Plenarsitzung im März 2023 in Madrid
Die letzten zwei Podemos-Kräfte in der Regierung: Ione Belarra, Podemos-Generalsekretärin und Ministerin für soziale Rechte und die Agenda 2030 (vorne links), und Irene Montero, Ministerin für Gleichheit, an einer Plenarsitzung im März 2023 in Madrid. Foto: Ricardo Rubio, Getty

Wesentlicher Bestandteil dieses Elitenpakts von 1978 war, dass er das Herrschaftsverhältnis zwischen Zentralstaat und den anderen «Nationen» im Staat zementierte. Zwar erkannte die neue Verfassung die Autonomierechte von Katalan:innen, Bask:innen und Galicier:innen an, doch ein demokratisches Selbstbestimmungsrecht wurde ihnen ausdrücklich verwehrt.

Die neu entstandenen politischen Bewegungen kritisierten ab 2011 diesen Gesamtzusammenhang, den sie als «Regime von 1978» bezeichneten, massen den einzelnen Aspekten aber ganz unterschiedliche Bedeutung bei. Die «munizipalistische» Linke, die mit offenen Kommunallisten die Rathäuser eroberte, richtete sich vor allem gegen die Zwangsräumung von Wohnungen im Rahmen der Immobilienkrise. Die Linkspartei Podemos mobilisierte gegen die Sparpolitik und forderte – inspiriert von lateinamerikanischen Linksregierungen – einen verfassunggebenden Prozess, um das politische System radikal zu erneuern. Und in Katalonien schliesslich entstand – nachdem das konservativ kontrollierte Verfassungsgericht 2010 eine Reform des Autonomiestatuts blockiert hatte – eine Unabhängigkeitsbewegung, die soziale, republikanische und demokratische Forderungen miteinander verband.

Eine populistische Bewegungspartei

Mit der Gründung der Linkspartei Podemos im Januar 2014 schien eine radikale Veränderung Spaniens greifbar zu sein. Die Parteigründer:innen um den jungen Intellektuellen Pablo Iglesias setzten auf eine populistische Zuspitzung: auf der einen Seite die «politische Kaste», die von der Immobilienkorruption auch persönlich profitierte, auf der anderen die «einfachen Leute», die sich soziale Reformen wünschten. Gleichzeitig versprach die neue Partei, ein basisdemokratisches Instrument für die Bürger:innen zu sein. Nicht Parteidelegierte, sondern offene Abstimmungen auf Onlineplattformen sollten über die Politik der Partei entscheiden.

Zunächst sorgte dieses Versprechen einer Partei der «99 Prozent» für grosse Begeisterung. Bei Umfragen lag Podemos wenige Monate nach ihrer Gründung vorübergehend vor den beiden Volksparteien – dem rechtskonservativen Partido Popular (PP) und dem sozialdemokratischen PSOE – und erreichte bei den Wahlen Ende 2015 (gemeinsam mit regionalen Listenverbindungen, aber ohne die alte linkssozialistische Izquierda Unida) beachtliche 20,7 Prozent.

Doch schon bald traten mehrere Probleme der linkspopulistischen Strategie hervor: Erstens verzichtete die Partei, die auf die schnelle Eroberung der Regierungsmacht abzielte, auf einen nachhaltigen Organisierungsprozess. Podemos wurde als «Wahlkampfmaschine» verstanden und investierte wenig Energie in den Aufbau lokaler Strukturen und sozialer Treffpunkte, wie dies bei spanischen Parteien sonst durchaus Tradition hat. Der mediale Erfolg der «Marke Podemos», wie die Parteiführung ihre Organisation selbst nannte, ging also auf Kosten einer realen gesellschaftlichen Verankerung.

Zweitens konterkarierte die Omnipräsenz der Parteigründer:innen um Iglesias den basisdemokratischen Anspruch. Die Onlineplattformen erwiesen sich für eine entsprechende Debatte als gänzlich ungeeignet. Die ausufernden Diskussionen im Netz wirkten abschreckend und trugen kaum etwas zur Klärung strittiger Fragen bei. Eine grössere Beteiligung der Parteibasis gab es nur bei Themen, über die im Fernsehen berichtet wurde – und gewöhnlich stimmte die Anhänger:innenschaft stets für die Vorschläge der Parteiprominenz. Statt Basisdemokratie setzte sich Personenkult durch. Zu allem Überfluss führte die Fokussierung auf Parteigründer:innen wie Pablo Iglesias, Íñigo Errejón oder Teresa Rodríguez schon bald dazu, dass sich das Führungspersonal heillos zerstritt. Die Parteiführung hatte die skurrile Regelung etabliert, wonach die bei internen Wahlen siegreiche Liste sämtliche Sitze des Parteivorstands besetzen durfte. Das Leitungsgremium von Podemos war nicht dafür gedacht, Kompromisse zu erarbeiten, sondern sollte Handlungsfähigkeit garantieren. Auf diese Weise wurde erst die Parteilinke der trotzkistischen Anticapitalistas, dann der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Íñigo Errejón aus dem Machtzentrum verdrängt.

Drittens geriet die Podemos-Strategie zusehends in Widerspruch zur Krisendynamik im Staat. Die besten Ergebnisse erzielte Podemos nämlich in Katalonien, der Autonomiegemeinschaft Valencia, dem Baskenland und in Galicien – also in Regionen mit einer eigenen Sprache, in denen die Forderung nach einem nationalen Selbstbestimmungsrecht populär ist. Podemos verwickelte das in einen unlösbaren Widerspruch: Um sich in der Mehrheitsgesellschaft zu behaupten, musste sich die Partei um einen verhalten spanisch-patriotischen Ton bemühen. In Regionen wie Katalonien hingegen wurde Podemos gerade deshalb gewählt, weil die Partei Spanien nicht repräsentierte.

Viertens schliesslich brachten sich ab 2015 rechte «Protestparteien» gegen Podemos in Stellung: zunächst die neoliberalen Ciudadanos, dann die offen rechtsextreme Vox. Diese Parteien gewannen ihre Wähler:innen zwar fast ausschliesslich von der konservativen PP, doch der Protest von rechts machte den widerständigen Diskurs von Podemos unsichtbar. Auch die extreme Rechte gab vor, gegen die «politische Kaste» zu sein.

Linke in der Regierung I: Munizipalismus

Doch nicht nur Podemos geriet in Schwierigkeiten. Auch die «munizipalistischen» Listen, die sich auf Stadtpolitik konzentrierten, wurden von ihren Widersprüchen eingeholt. In Madrid zerbrach die linke Stadtregierung in einer einzigen Legislaturperiode, weil sich das Bündnis aus Podemos, feministischen und autonomen Aktivist:innen, Izquierda Unida und kritischer Sozialdemokratie nicht auf eine gemeinsame Reformpolitik verständigen konnte. Bürgermeisterin Manuela Carmena beugte sich in den entscheidenden Fragen den ökonomischen Lobbys, und die radikalen Stadtbewegungen waren nicht in der Lage, die Bevölkerung für eigene Forderungen auf die Strasse zu bringen. Es zeigte sich, dass sich das Kräfteverhältnis durch die Regierungsübernahme der Linken eher verschlechtert als verbessert hatte.

Etwas erfreulicher war die Entwicklung in Barcelona, wo Exhausbesetzerin Ada Colau als Bürgermeisterin immerhin acht Jahre lang eine alternative Stadtentwicklung vorantrieb: Sozialprogramme, die Förderung von Genossenschaften sowie der Ausbau verkehrsberuhigter Zonen waren einige Eckpunkte des Politikwechsels. Doch auch in Barcelona blieb die Gestaltungsmacht sehr überschaubar. Gegen das Immobilien- und Tourismuskapital verfügte die Stadtregierung über wenige Hebel. Ausserdem verdankte die linke Stadtregierung von Colau einen Teil ihrer Kraft der radikalisierten katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Bürgermeisterin Colau jedoch agierte gegen die Bewegung und wurde im Gegenzug von antikatalanischen Parteien wie dem PSOE und punktuell sogar von den rechten Ciudadanos unterstützt. Mit dem Abebben der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung schwand aber auch die Unterstützung und damit der Spielraum für eine progressive Stadtpolitik.

Linke in der Regierung II: Podemos

Obwohl sich Podemos innerhalb von nur zwei Jahren aus einer Mitmachbewegung in eine klassische Parlamentspartei verwandelt hatte, konnte die neue Partei institutionell noch einiges in Bewegung setzen. So war es massgeblich dem Podemos-Gründer Pablo Iglesias zu verdanken, dass die Konservativen Mitte 2018 an der Regierung abgelöst wurden.

Um sich nicht mit den katalanischen und baskischen Unabhängigkeitsparteien verbünden zu müssen, hatte der sozialdemokratische PSOE bis dahin nämlich die Rechtsregierung des damaligen Premiers Mariano Rajoy toleriert. Nach der gewaltsamen Niederschlagung der katalanischen Revolte – mehr als zwei Millionen Menschen beteiligten sich 2017 aktiv an einem verbotenen Referendum und dem darauf folgenden Generalstreik – und der Verurteilung hochrangiger PP-Politiker:innen wegen Korruption organisierte Podemos ein Misstrauensvotum, das den Sozialdemokraten Pedro Sánchez mithilfe katalanischer und baskischer Stimmen zum neuen Ministerpräsidenten machte.

Geschickt agierte die Podemos-Führung auch nach den beiden Wahlen 2019, als sich der PSOE fast ein Jahr lang weigerte, die plurinational-linke Mehrheit im Parlament zu nutzen, und dafür sogar Neuwahlen in Kauf nahm. Am Ende war Pablo Iglesias als Architekt der ersten linken Koalitionsregierung in der Geschichte Spaniens erfolgreich: Der PSOE akzeptierte nicht nur die umstrittene Tolerierung durch die Unabhängigkeitsparteien, sondern auch eine Regierungsbeteiligung von Unidas Podemos, der Gemeinschaftskandidatur von Podemos, Izquierda Unida, Equo (grüne Partei) und weiteren linken Parteien. Der Eintritt in die Regierung machte die Politik von Podemos sichtbar und sorgte für einen Bruch zwischen der Regierung und den politisch-ökonomischen Machtgruppen. Letztere leisteten denn auch heftigen Widerstand gegen das Linksbündnis, das in den grossen Medien als «Frankenstein-Regierung» denunziert wurde.

Im Rückblick kann man die Regierungsbeteiligung von Unidas Podemos wohl nur als paradox bezeichnen. Einerseits zerbröckelte das linke Bündnis aufgrund von Machtkämpfen und der Hyperpersonalisierung von innen. Andererseits entfaltete die Partei in der Regierung aber grössere Wirkung, als man hätte vermuten können. So setzte Podemos gemeinsam mit den linken Unabhängigkeitsparteien (und meist gegen den Widerstand des PSOE) soziale Verbesserungen durch – etwa die Anhebung des Mindestlohns um 25 Prozent, die Verbesserung des Mieter:innenschutzes, die Einführung einer Sozialhilfe (die bisher nur etwa zwei Millionen Menschen zugutekam) sowie die kostenlose Nutzung der staatlichen Eisenbahn durch Pendler:innen. Ausserdem fungierte Podemos als Brücke zwischen den Unabhängigkeitsbewegungen und dem PSOE. Der katalanische Konflikt blieb zwar ungelöst, und die PSOE-Regierung nahm die versprochenen Verhandlungen mit der katalanischen Generalitat nie auf, doch allein die Möglichkeit eines plurinationalen Reformprozesses sorgte bei der spanischen Rechten für enorme Unruhe.

Dementsprechend heftig war der Widerstand gegen Podemos. Angehörige der Geheimpolizei brachten Falschmeldungen über die Finanzierung der Linkspartei in Umlauf. Rechtsextreme terrorisierten Pablo Iglesias und seine Familie wochenlang ungestraft vor deren Wohnhaus.

Sumar: Bündnis mit und gegen Podemos

Die vielleicht wichtigste Konsequenz der Regierungsbeteiligung von Podemos war vermutlich, dass die Partei feministische Forderungen festzuschreiben begann. Dabei tat sich insbesondere Irene Montero hervor, Ministerin für Gleichheit und zugleich auch die Lebensgefährtin von Pablo Iglesias. Sie brachte 2022 ein «Nur Ja ist Ja»-Gesetz durch das Parlament, wonach Sex ohne freiwillige Zustimmung als Vergewaltigung gilt. Das Gesetz sollte die Position von Frauen bei Vergewaltigungsprozessen stärken. Den Rechten jedoch diente es in Medien und Justiz als Vorwand: Kaum war das Gesetz verabschiedet, nutzten konservative Richter die Neuregelung, um bereits verurteilte Sexualstraftäter mit Verweis auf ein teilweise herabgesetztes Strafmass aus der Haft zu entlassen.

In den Medien wurde das mit «handwerklichen Fehlern» des Ministeriums begründet. Doch tatsächlich nutzten rechte Seilschaften in der Justiz das Gesetz wohl einfach für einen konzertierten Angriff auf die verhasste Ministerin. Zumindest spricht wenig dafür, dass die spanische Justiz politisch neutral gehandelt hätte. Im obersten Justizgremium, dem Consejo General de Poder Judicial, verweigern die Konservativen seit 2018 ihre turnusmässige Ablösung. Die Justiz gilt der autoritären Rechten seit der Franco-Diktatur als Bollwerk ihrer Macht. Im Verfassungsgerichtshof hingegen besteht seit Januar 2023 keine konservative Mehrheit mehr.*

Die Angriffe auf die Podemos-Minister:innen verfehlten ihre Wirkung nicht. Regierungschef Pedro Sánchez hatte von Anfang an Abstand gegenüber dem Koalitionspartner gewahrt. Um die Gemüter zu beruhigen, legte Iglesias im Frühjahr 2021 erst seinen Ministerposten (für soziale Rechte), dann auch die Parteiämter bei Podemos nieder. Doch nun richteten sich die Angriffe umso heftiger gegen Irene Montero.

Selbst innerhalb der Linken distanzierte man sich gegenüber der Podemos-Spitze. Arbeitsministerin Yolanda Díaz, die ursprünglich aus der Kommunistischen Partei kam, aber innerhalb von Unidas Podemos zum sozialdemokratischen Flügel gehört, begann in diesem Kontext, auf eine Neugründung der Linken unter dem Namen Sumar hinzuarbeiten. Dabei verband sie zwei Anliegen: Zum einen bemühte sich Díaz darum, all jene einzusammeln, die vom autoritär-personalistischen Stil von Pablo Iglesias an den Rand gedrängt worden waren. Zum anderen setzte Díaz aber auch auf einen möglichst konfliktfreien Kurs gegenüber dem PSOE. Gerade in den strittigen Fragen – katalanisches Selbstbestimmungsrecht, Nato-Waffenlieferungen an die Ukraine und Feminismus – positionierte sich Sumar eher auf der Seite der Sozialdemokratie als bei Podemos.

Der Bruch kulminierte schliesslich Mitte 2023, als Yolanda Díaz als Spitzenkandidatin von Sumar ein Veto gegen Ministerin Irene Montero verhängte. Podemos «durfte» sich zwar bei den vorgezogenen Neuwahlen an der linken Einheitsliste von Sumar beteiligen – doch ohne ihre beliebteste Politikerin. An dieser Linie hat Sumar auch nach den Wahlen im Juli festgehalten. In der neuen Koalitionsregierung von Pedro Sánchez gibt es keine Podemos-Minister:innen mehr, und auch in der Fraktion sollte die Partei keine wichtige Funktion erhalten. Obwohl Sumar den autoritären Stil von Podemos immer kritisiert hat, besitzt das neue Linksprojekt gar noch weniger Bodenhaftung. Von Arbeitsministerin Díaz top-down gegründet, besteht es bislang nur aus einem parlamentarischen Wasserkopf.

Vor diesem Hintergrund sind die Podemos-Abgeordneten aus der Linksfraktion im spanischen Parlament ausgetreten. Und bei den anstehenden Regionalwahlen in Galicien rief Pablo Iglesias nicht für Sumar, sondern für die linke Unabhängigkeitsbewegung Bloque Nacionalista Galego (BNG) auf. Die galicische Podemos-Sektion hält aber an einer eigenständigen Kandidatur fest.*

Und doch: Eine progressive Regierung

Obwohl man den Zustand der spanischen Linken nach diesen Entwicklungen als desolat bezeichnen muss, hat die Legislaturperiode in Spanien interessant begonnen. Der PSOE hat sich vorsichtig vom spanisch-nationalistischen Staatspakt von 1978 gelöst und setzt auf ein progressiv-plurinationales Bündnis. Mit dem abgesetzten katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont, der nach wie vor im Exil in Belgien sitzt, hat der PSOE eine politische Amnestie für katalanische Aktivist:innen und politische Verhandlungen unter Beteiligung eines internationalen Vermittlers vereinbart. Mit der baskischen Unabhängigkeitspartei EH Bildu gibt es gegenseitige Tolerierungsvereinbarungen, die Ende Dezember zur Wahl des baskischen Linken Joseba Asirón zum Bürgermeister von Pamplona geführt haben.

Diese ersten vorsichtigen Schritte in Richtung einer plurinationalen und republikanischen Reform Spaniens haben die politische Rechte landesweit mobilisiert. Wochenlang randalierten Rechtsextreme vor der PSOE-Zentrale in Madrid – erst gegen die Amnestie, dann gegen die neue Stadtregierung in Pamplona. Sie sehen, nicht ganz zu Unrecht, den Staatspakt von 1978 in Gefahr.

Obwohl die Parteien und die Bewegungen der neuen spanischen Linken heute ein trauriges Bild abgeben, blieb der Aufbruch des letzten Jahrzehnts offenbar nicht folgenlos.

Ein ausführlicherer Text von Raul Zelik über Podemos findet sich im Buch «Spanien. Eine politische Geschichte der Gegenwart», Verlag Bertz + Fischer, Berlin 2018, 22 Franken.

* Korrigenda vom 18. Januar 2024: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion dieses Textes hatten sich an zwei Stellen Fehler eingeschlichen: 
Zum einen schrieben wir, die konservative Mehrheit im obersten spanischen Justizgremium, dem Consejo General de Poder Judicial, würde seit 2018 ihre turnusmässige Ablösung verweigern, um die Kontrolle über das Verfassungsgericht (Corte Constitucional) nicht zu verlieren. Richtig ist, dass der konservative Consejo General zwar den Justizapparat kontrolliert, es im Verfassungsgericht selbst aber seit Januar 2023 keine konservative Mehrheit mehr gibt.
Zudem schrieben wir, bei den anstehenden Regionalwahlen in Galicien rufe Podemos zur Stimmabgabe für die linke Unabhängigkeitsbewegung Bloque Nacionalista Galego (BNG) auf. Richtig ist, dass der Podemos-Gründer Pablo Iglesias in einem Zeitungsartikel zur Wahl von BNG aufgerufen hat, die galicische Podemos-Sektion aber an einer eigenständigen Kandidatur festhält.

Anfang 2024 : Die Rechte macht gegen Sánchez mobil

Ökonomisch läuft es für die Koalitionsregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez nicht schlecht. Die Arbeitslosigkeit ist mit 2,7 Millionen Arbeitssuchenden so niedrig wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Die staatliche Schuldenquote sinkt, das Wirtschaftswachstum war 2023 mit 2,4 Prozent höher als in Deutschland. Und mithilfe einer zeitlich befristeten Vermögenssteuer wird der öffentliche Nahverkehr subventioniert, sodass Pendler:innen vielerorts kostenlos fahren können.

Über diese Erfolge wird in Spanien jedoch kaum gesprochen. Die Opposition aus rechtskonservativem PP und rechtsextremer Vox mobilisiert seit Monaten mit Fragen, die umgekehrt wohl als «identitätspolitisch» bezeichnet würden. Zunächst wurde monatelang die feministische Podemos-Ministerin Irene Montero attackiert, nun richtet sich der geballte Hass gegen Ministerpräsident Sánchez selbst.

Im Mittelpunkt steht dabei der Vorwurf, der regierende PSOE gefährde die Einheit der spanischen Nation. Nachdem die Sozialdemokratie mit dem abgesetzten katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont eine Amnestie für Aktivist:innen ausgehandelt hatte und im navarrischen Pamplona erstmals ein Politiker der linken baskischen Unabhängigkeitspartei EH Bildu zum Bürgermeister gewählt worden war, gab es vor der PSOE-Zentrale in Madrid nächtelang Krawalle.

Der Bruch zwischen Podemos und dem Linksbündnis Sumar macht die Lage für Ministerpräsident Sánchez nicht einfacher. Andererseits schweisst das Vorgehen der Rechten das Regierungslager auch zusammen. PSOE, Sumar, Podemos und die Unabhängigkeitsparteien wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind. Trotz der Krise von Sumar könnte die neue Legislaturperiode die interessanteste seit dem Ende der Diktatur werden. 

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Kommentare

Kommentar von Igarulo

Di., 16.01.2024 - 23:48

Die Linken können's auch nicht besser. Siehe Kuba oder Venezuela und in Kolumbien ist ein ehemaliger Guerillero Präsident, der vor allem im Land und in der Welt umherreist, momentan hat er in Davos für eine Million Dollars ein Haus gemietet und später fliegt er noch zum Papst.