Europäische Migrationspolitik: Melonis Albaniendesaster

Nr. 43 –

Italiens rechte Ministerpräsidentin erlebt mit ihrem umstrittenen Abschiebelager in Albanien vor Gericht ein Fiasko. Und versucht dennoch verzweifelt, daran festzuhalten.

Wieder einmal soll die angeblich von Linken dominierte Justiz schuld sein, dass Italiens regierende Rechte mit ihren Vorhaben nicht vorankommt. Seit Silvio Berlusconis Eintritt in die Politik vor mehr als dreissig Jahren ist die Klage über die «roten Roben» ein Leitmotiv rechter Demagogie.

In der aktuellen Version von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni klingt das so: «Der politisierte Teil der Justiz will das Recht auf ungehinderte Migration garantieren und die Bekämpfung illegaler Migration verbieten!» Anlass für dieses Lamento war die Entscheidung des für Einwanderungsfragen zuständigen Gerichts in Rom, zwölf Geflüchtete aus Ägypten und Bangladesch nach Italien einreisen zu lassen.

Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung befanden sich die Geflüchteten in Albanien, in Gjadër – in einem extraterritorialen Abschiebelager, das Italien nur ein paar Tage zuvor eröffnet hatte. Dort aber, befand das Gericht, seien sie zu Unrecht festgehalten worden. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung wurden sie per Schiff nach Italien gebracht. In einem Lager in Bari warten sie nun auf den Ausgang ihres Asylverfahrens, wie auch vier weitere minderjährige respektive kranke Personen, die mit ihnen gemeinsam auf dem Mittelmeer gerettet worden waren. Diesen war der Zwangsaufenthalt in Albanien erspart geblieben.

Der Vize vor Gericht

Melonis Zorn gilt nicht nur dem aktuellen Fall. Nun steht ihr gesamtes mit der albanischen Regierung ausgehandeltes Projekt auf dem Spiel: Als erstes EU-Land liess Italien in einem Drittstaat ein Lager bauen, finanziert mit 800 Millionen Euro, betrieben von italienischen Beamt:innen, für jährlich bis zu 36 000 erwachsene männliche Asylsuchende. Nach der Prüfung und der Ablehnung ihres Asylantrags sollen diese von dort aus unverzüglich in ihre Herkunftsländer geschafft werden – sofern es sich dabei um «sichere» Länder handelt. Für den Verlust an territorialer Souveränität wird Albanien entschädigt. Gleichzeitig erhofft sich die Regierung in Tirana durch das Abkommen Pluspunkte für einen späteren Beitritt zur EU.

Allerdings hatte Melonis Koalition die Rechnung ohne Rücksicht auf geltendes Recht gemacht. Erst am 4. Oktober hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden: Als sicher gilt ein Land nur, wenn die dort lebenden Menschen in allen Landesteilen vor Verfolgung geschützt sind. Das aber, befand nun das römische Gericht, gelte für Ägypten und Bangladesch gerade nicht. Auch die italienische Verfassung ist eindeutig. Artikel 10 bekennt sich zum Völkerrecht, zu internationalen Normen und zum Recht auf Asyl, das auf italienischem Boden beantragt werden kann.

Fast schon dummdreist erscheint da Melonis Einwand, ihre vom Volk gewählte Regierung könne doch wohl besser als irgendwelche Jurist:innen entscheiden, was ein sicheres Herkunftsland sei. Das hier angesprochene «Volk» ist indes gespalten, was die Rolle der Justiz betrifft. Nach aktuellen Umfragen hält eine knappe Mehrheit nichts von einem Strafantrag der Staatsanwaltschaft von Palermo gegen Melonis Vizeministerpräsidenten Matteo Salvini. Die sizilianische Strafverfolgungsbehörde forderte im September sechs Jahre Haft für Salvini wegen Freiheitsberaubung, weil er 2019 als Innenminister Geflüchteten an Bord des spanischen Rettungsschiffs Open Arms fast drei Wochen lang einen sicheren Hafen verweigert hatte (siehe WOZ Nr. 38/24).

Gute Idee, findet von der Leyen

Anders als bei diesem Fall ist die EU-Kommission am italienisch-albanischen Projekt zumindest indirekt beteiligt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte sich in den vergangenen Wochen offen an Melonis Seite. Erst vergangene Woche schrieb sie in einem Brief an die 27 Mitgliedstaaten: «Wir sollten auch weiterhin nach Möglichkeiten suchen, was die Idee der Entwicklung von Rückführungszentren ausserhalb der EU betrifft.» Hoffnung setzt sie ausdrücklich in das italienisch-albanische Projekt. Von der Leyen will darüber hinaus alle «Lücken im System schliessen» und mittels Visa- und Handelspolitik Druck auf Länder ausserhalb der EU ausüben, damit diese ihre Bürger:innen mit negativem Asylentscheid zurücknehmen.

Meloni lässt sich derweil auch nach dem Albaniendesaster nicht entmutigen: «Die Italiener haben mich beauftragt, die illegale Einwanderung zu beenden», schrieb sie auf X, «und ich werde alles tun, um mein Versprechen zu halten.» In einer ausserordentlichen Kabinettssitzung am Montagabend beschloss ihre Regierung kurzerhand ein Dekret, das neu auf Gesetzesstufe – und nicht wie bisher durch einen einfachen Erlass der involvierten Ministerien – 19 von bisher 22 Ländern erneut als «sicher» definiert, darunter auch Ägypten und Bangladesch. Die EU-Kommission will möglichst bald mit einer aktualisierten Liste nachziehen. Auch sie hat das Albanienprojekt noch nicht aufgegeben.