Rap: Aus dem Beckenboden

Nr. 44 –

Das fünfte Album von Big Zis handelt vom Lieben und Rebellieren. Es ist zärtlich – und lässt einen aufgekratzt zurück.

Portraitfoto von Big Zis
«Ich lieb dich meh, als du mich je chasch hasse»: Big Zis bleibt dem Rap verbunden, trotz und auch wegen der Machokultur.    Foto: Jenz

Eine Strasse liegt in Schutt und Asche. Im Hintergrund erahnt man eine Explosion. Oder gezündete Petarden. Mit schwarzer Farbe steht an den grauen Himmel gesprayt: «B:I:G». Jemand hat sich in den Wolken verewigt. Über dem Asphalt schwebt eine Discokugel: lädiert, aber noch ganz. Es sieht düster aus auf dem Plattencover von Big Zis’ neuem und fünftem Album. Es folgen 47 Minuten vorwärtsstrebende Beats und Texte zwischen Wut und Zärtlichkeit, jeder auf seine Weise politisch.

Die ersten Töne kommen aus einem Synthesizer, langsame Arpeggios, zerlegte Akkorde, die sich ohne Eile hochschrauben, Spannung aufbauen wie eine Ankündigung, eine Drohung und ein Versprechen. Dann fordert Big Zis uns auf: «Stell dir vor, d Hüser ghöret dene, wo drin wohned». Ein schleppender Beat setzt ein. Wir stellen es uns vor.

Kämpfen und säuseln

Die ersten Tracks mäandern vorwärts, ohne sich an eingängige Songstrukturen zu halten. Sie entladen sich kaum. Beim vierten Track angelangt, steht man so unter Spannung, dass die Kickdrum direkt in die Beine fährt. «Ich Wolke» präsentiert sich als Clubhymne, ist aber eigentlich ein Bannzauber. Big Zis rappt: «Ghörsch lieber Musig anstatt Songtext». Ertappt. Eine Acid-Bassline kommt hinzu, schlängelt sich. Als sich der Track nach einer Pause endlich im Refrain entlädt, hat er einen längst fest im Griff, zieht auf die Strasse. Big Zis feuert an: «Tanz! Tanz!» Es geht kaum anders, als mitzugrölen: «Eui Chinder wärded wie mir / Das sind eusi Quartier / Eui Chinder sind scho lang queer». Der Track will uns singen hören: «Grossi Härze brucht das Land!»

Hat da gerade auch einer der «Haters» mitgetanzt? Ihnen ist der nächste Track gewidmet. Big Zis öffnet nun das zuvor besungene grosse Herz in ihrer «Haters Anthem». Beleidigungen beantwortet sie mit charmant säuselnder Stimme: «Ich nimm dich in Arm, und es isch all right, yeah». Es ist ein weicher Song mit einem souligen Refrain und einer süssen Melodie: «Ich lieb dich meh, als du mich je chasch hasse». Auf Hass mit Sanftmut reagieren, eine selten beherrschte Disziplin in einer Szene, in der Battle Rap ein fester Bestandteil ist. Big Zis beherrscht beides.

In «Zis Entitlement» rappt sie selbstbewusst, aber irgendwie auch müde über einen schleppenden Beat: «Ihr bruched Rapper wie mich». Und präzisiert danach, was sie damit meint: Rapper, die nicht sexuell übergriffig sind. Sie hat es schon oft gesagt, der Rapzirkus ist männerdominiert und oft auch toxisch. Täter als solche zu benennen, braucht viel Energie. Man macht sich damit auch zur Zielscheibe: «De eint chunnt mit de Baseballschläger, de ander mit sine Awält». Auch die Bassdrum lässt einen nicken.

Für ihre Kritik erntet die Zürcherin Missgunst und Hass, wie alle Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen. Erst recht, wenn sie sich für intersektionalen Feminismus und Klassenkampf einsetzen. Big Zis – bürgerlich Franziska Schläpfer – prägt den Schweizer Rap seit langem mit. Beim jährlichen Rap-Battle Bounce Cypher von SRF ist sie regelmässig dabei, als eine von wenigen Frauen und als einzige über vierzig – allein ein Blick in die Kommentare unter dem entsprechenden Youtube-Video lässt erahnen, wie viel sie auszuhalten hat. Big Zis bleibt trotz und auch wegen der Machokultur.

Tristesse zum Trotz

«Sie isch immer no da», singt eine Stimme mit viel Autotune auf «Du weisch», über einen Beat, der an Oldschool-Hip-Hop aus den Neunzigern erinnert. Big Zis antwortet gleich selbst: «Ja, das isch sehr lang här». 2001 gab sie ihr erstes Album heraus. Verändert hat sich seither zum Glück doch einiges. Es gibt deutlich mehr Frauen und Queers in der Szene, und der Bounce Cypher wurde in den letzten Jahren öffentlichkeitswirksam für die sexistischen und homophoben Texte kritisiert. Big Zis ist älter geworden, hat Kinder bekommen. Auch davon handeln ihre Texte: «Du gsehsch mich immer no uf de Strasse / de Scheiss am Regle mit leerer Kasse / mit Chind u Chegel und Beckebodemuskelmasse».

So lange als Aussenseiterin dabei sein, das braucht Verbündete. «Mi Amor» ist an die Menschen gerichtet, bei denen man sich zurückzieht, um Kraft für die politische Arbeit zu sammeln, «der Tristesse zum Trotz». Ihnen ist das einzige Liebeslied auf «B:I:G» gewidmet – zumindest das einzige explizite. Denn immer wieder spricht Big Zis zärtlich zur linken Szene, nicht ohne diese auch zu kritisieren. Vor vier Jahren sagte sie in einem Interview in dieser Zeitung: «Liebe ist eine immense Ressource! Es wäre schwierig ohne. Liebe steckt in jeder Idee von Gemeinschaft, von Zusammensein.»

Die zwölf Songs und drei Skits – kurze Intermezzi, die auf Hip-Hop-Alben eine lange Tradition haben – sind textlastig. Dagegen wirken die Beats teilweise wie Skizzen, und die Spannung, die einzelne Tracks aufbauen, löst sie bis zum Schluss nie wirklich auf. Das macht den Charme von «B:I:G» aus, hinterlässt einen aber auch aufgekratzt, unruhig, mit ungestilltem Hunger zurück. Vielleicht lässt sich dieses Album gerade deswegen so gut als Anleitung zum Rebellieren verstehen – wer es sich bequem macht, bewegt sich nicht.

Albumcover «B:I:G»
Big Zis: «B:I:G». Blonk. 2024.