Big Zis: «Da kommt ein fast religiöses Gefühl hoch bei mir»
Früher wurde sie als Kampflesbe abgestempelt, jetzt rappt sie über ihre «Funky Cool Vagina» und sehnt sich nach Ekstase: Big Zis über die Lust, an die Grenzen zu gehen.
WOZ: Big Zis, Sie haben lange kein Album mehr veröffentlicht, jetzt eine EP und ein Album im Abstand von nur eineinhalb Jahren. Was hat Sie inspiriert?
Big Zis: Der Frauenstreik 2019 hat mich sehr bewegt. Eigentlich gehe ich nicht gern an Demos, habe Mühe mit so vielen Leuten auf einem Haufen. Aber dort habe ich es extrem genossen. Ich bin nicht in einer organisierten feministischen Gruppe, aber habe seither trotzdem das Gefühl, ein Teil davon zu sein. Und ich will da auch etwas mit bewegen. Dann kam der Lockdown. Er gab mir Raum und Luft, um Texte zu schreiben.
Dann hatten Sie einen guten Lockdown?
Ja. Für mich stand die Zeit still, und das fühlte sich gut an. Schwierig wurde es erst danach: die grosse Unklarheit, wie es weitergeht, ob Konzerte möglich sind. Spannend finde ich, wie es Themen hochgeschwemmt hat, die mich seit Jahren beschäftigen.
Welche?
Der ganze Komplex Feminismus, Care-Wirtschaft, Rassismus, Ressourcenpolitik – letztlich ist es Kapitalismuskritik. Kapitalismus basiert auf Gewinnmaximierung. Und die basiert auf dem Prinzip, dass du ausbeutest. Es muss immer irgendwo jemand ausgesogen werden, damit oben jemand abschöpfen kann. Ich war 1991 noch nicht am Frauenstreik, aber damals war der Tenor: Egal ob konservative Frauen oder linke, wir gehen alle auf die Strasse. Das war sicher richtig. Aber letztes Jahr war für mich klar: Das reicht nicht. Nur weil eine Frau auf einem Chefposten hockt, wird die Welt nicht besser. Und es hat keinen Sinn, für Gleichberechtigung zu kämpfen, wenn es nur um weisse Männer und weisse Frauen geht.
Früher hörte ich oft: «Deine Texte versteht man nicht, das ist alles kryptisch, es ist zu anstrengend, sich überhaupt darauf einzulassen.» Ich wurde als Feministin und Kampflesbe abgestempelt. Jetzt ist plötzlich ein ganz anderes Interesse da.
In Ihren Texten werden oft Beziehungen verhandelt, die konfliktbeladen sind, aber auch romantisch. Die Liebe als Ressource?
Ja, Liebe ist eine immense Ressource! Es wäre schwierig ohne. Liebe steckt in jeder Idee von Gemeinschaft, von Zusammensein. Ich glaube, wir machen es im Moment nicht besonders gut, aber wir können ja gar nicht anders, als zusammenzuleben. Wir leben in diesen seltsamen Konzepten von Staaten und Grenzen – ich weiss auch nicht genau, wie es anders sein könnte. Denn schon bei ganz kleinen Gruppen – Kernfamilie, WG, Szene, Freundeskreis – gibt es ein Innen und ein Aussen. Sobald du eine Gemeinschaft bildest, gibt es Leute, die nicht dazugehören.
Lässt sich das auflösen?
Ich glaube nicht. Die Frage ist vielmehr: Wie gut ist man auf die Welt gebracht worden, wie offen und angstfrei? Das hat auch wieder mit Liebe zu tun – wie stark bist du geliebt worden, um nicht Angst haben zu müssen, wenn jemand von aussen kommt? Dort sollten wir lernen, weicher zu werden und uns zu öffnen. Wir müssen versuchen, das unseren Kindern mitzugeben.
Sie haben selbst drei Kinder – versuchen Sie das?
Sicher nicht so, dass ich jeden Morgen aufwache und denke: So, heute versuch ich es wieder – es gibt viel zu viel, was man den ganzen Tag regeln und organisieren muss. Ich habe keinen genauen Plan, aber unbewusst versuche ich es wahrscheinlich schon. Die Offenheit, die Wissbegier von kleinen Kindern fasziniert mich. Sie saugen alles auf.
Ein anderes Thema, das in Ihren Texten auffällt, etwa in «Liecht», ist Ekstase, die Sehnsucht nach Entgrenzung.
Das hat mit dem Livespielen zu tun. Vor etwa zwei Wochen wusste ich plötzlich, was ich dieses Jahr vermisse: Das ist diese Ekstase auf der Bühne, in die ich mich so reinschmeisse. Manchmal mit dem Publikum, manchmal aber auch nur mit der Band, wenn es nicht so funkt. Ich habe eine Tendenz, Grenzen auszureizen, auch mit Drogen. Ich wollte einfach alles ausprobieren, entfesseln, ja.
Und es war positiv?
Ja. Ich glaube, ich habe einfach eine robuste Konstitution und auch Glück: Ich kann wieder aufhören mit dem Zeug. Es war nie ein Kampf oder ein Problem.
Der Körper ist ein anderes grosses Thema in Ihren Texten. In «FCV», einer Ode an die weiblichen Geschlechtsteile, rappen Sie von Ihrer «Funky Cool Vagina».
Zuerst dachte ich, das Lied kommt viel zu spät, ich hätte es vor fünfzehn Jahren schreiben sollen. Aber das Tabu, diese Wörter auszusprechen, ist immer noch riesig. Mich würde es wundernehmen, wie viele Leute da draussen, mich eingeschlossen, die Vulva genau zeichnen und bezeichnen könnten.
Gab es auch Kritik am Text? Es gibt ja Frauen, die keine Vulva haben.
Ich habe viel darüber nachgedacht, wollte es im Text auch erwähnen, um zu sagen: «Hey, ich weiss, dass das ausschliessend ist, aber so ist es nicht gemeint.» Schliesslich habe ich es weggelassen, denn die meisten Hörerinnen und Hörer kämen wohl nicht auf die Idee – es ist eine Nischendiskussion. Und ich muss in diesem Lied aus meiner Perspektive sprechen, ich habe eine Vulva, und davon kann ich ein Lied singen, alles andere wäre heuchlerisch. Aber ich fände es super, wenn es Lieder gäbe, die mein Lied kritisieren.
Ist der Feminismus in der Musikszene spürbar? Sind Frauen sichtbarer geworden?
Ich glaube, das Bewusstsein wächst. Ich habe ein ausschliesslich weibliches Management und Label. Es gibt nicht viele Frauen im Musikbusiness, die diesen Job machen. Allerdings habe ich momentan nur Männer in der Band. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich nicht aus einer Sisterhood komme, sondern mich die ganze Zeit als Einzelkämpferin in dieser männerdominierten Musikerwelt behauptet habe. Darum würde ich auch nie sagen, ich sei eine Pionierin.
Fühlen Sie sich denn wohl in diesen Männerkontexten?
Meistens schon, ja. Ich war so ein Buebemeitli, bin oft mit Buben rumgehangen …
Wie fanden Sie zum Rap?
Ich kam vom Hardcore und Punk her, und meine ersten Bezüge waren Rapper an dieser Schnittstelle, die Beastie Boys, Ice-T mit Body Count. Nach drei Jahren Gymi flog ich raus, ging dann nach Zürich ins zehnte Schuljahr, das brach ich aber auch ab und ging Häuser besetzen. Anfang der Neunziger lernte ich die Rapper von Gleiszwei kennen, und etwa mit achtzehn ging ich mit Freunden auf eine Alp im Tessin. Dort hatte ich so ein Heftli und schrieb auf Hochdeutsch «Scheissbullen»-Raptexte …
Hatten Sie jemanden, der Sie beim Schreiben förderte?
Nein. Die Jungs von Gleiszwei forderten mich schon auf, freestylen zu kommen, aber ich traute mich nicht. Später, 1998, nahm ich mit Bligg und Stern1 ein Lied für den «Zürislang»-Sampler auf, und an der Plattentaufe trat ich das erste Mal auf.
Waren Sie da auch immer unter Männern?
Ich begann mit DJ Mad Madam zusammenzuarbeiten, sonst ja. Und unter den Rappern habe ich mich eigentlich sehr wohl gefühlt. Die Anfeindungen kamen mehr aus dem Publikum. Ich glaube, ich nahm denen etwas weg. Ich griff ihre Idee an, gab sie vielleicht auch der Lächerlichkeit preis. Ich habe eine Persiflage gemacht, aber es gleichzeitig auch gelebt. Im neuen Stück «Miss Ding» nenne ich es Appropriation.
Sie hatten ja nicht das Ziel, Hip-Hop zu verarschen.
Nein, gar nicht. Trotzdem kam es irgendwie als Angriff rüber. In Zürich gings gut, aber wir spielten auch oft in kleinen Käffern. Dort war es recht hart. Die Jungs hatten immer Cliquen, kifften und soffen zusammen, fuhren zusammen an die Gigs und machten im Backstage Party, so wie man sichs vorstellt. Mad Madam und ich kamen zu zweit, spielten ein Konzert, fuhren wieder zu zweit zurück. Klar, ich hatte es cool mit den Jungs, aber auf einem Album gefeatured wurde ich gerade mal von Kutti MC. Und der war ja auch ein Aussenseiter. Vielleicht war ich doch nicht ganz so «dune» mit den Jungs, wie ich dachte.
Und heute?
Dieses Jahr war ich am Cypher, dem Rapcontest von SRF. Ich komme da rein, fast nur junge Rapper mit ihren Crews – und ich habe sofort wieder das Gefühl, oh, Shit, du musst dich beweisen, und all meine Offenheit schrumpft zusammen … Das ist so unnötig, auch von meiner Seite. Komm, wir machen doch einfach einen freundlichen Ort daraus. Wahrscheinlich wären ja alle froh darüber.
Sie waren auch letztes Jahr wieder auf der Alp und haben gerade ein Video am Rhonegletscher gedreht. Bedeuten Ihnen die Berge viel?
Ja. Das Gebiet über der Waldgrenze, so zwischen 2000 und 2500 Metern über Meer, berührt mich ganz tief. Noch weiter oben wird es fast feindlich, dort habe ich immer das Gefühl: Da gehörst du nicht hin. Aber auf dieser Höhe, wo noch Gras wächst, wo es Felsen hat – da kommt ein fast religiöses Gefühl hoch bei mir. Darüber habe ich noch nie ein Lied gemacht. Ich wüsste gar nicht, wie ich das in Worte fassen soll.
Tanz die Care-Arbeit!
Nicht das Kapital rettet die Gesellschaft, sondern die Liebe: Auf «4xLove:2» spannt die Zürcherin Big Zis den Bogen zwischen Frauenstreik und Lockdown. Ihre Liebe ist keine kitschige Fantasie, sondern handfest: «Ich schütz, ich versorg, stand bi und ich choch, ich flick und ich mach, ich versorg und ich bach», heisst es in «iCare». Das Sample darin stammt von der Chügelibahn ihrer Kinder.
Care-Arbeit ist Ökonomie, sie ist ein Krampf, sie ist romantisch und sexy – diese Widersprüche gilt es auszuhalten, und darum kreisen Big Zis’ Texte. Musikalisch hat sie diesmal mit Ruedi Tobler alias Playmob.il gearbeitet: reduzierte Beats und warme Elektronik, kunstvoll und tanzbar.
Bettina Dyttrich
Big Zis: «4xLove:2». Blonk 2020.
Nächste Konzerte: Zürich, Rote Fabrik, 18. September 2020 (Plattentaufe); Basel, Humbug, 19. September 2020; Winterthur, Salzhaus, 1. Oktober 2020.