Überschwemmungen in Valencia: Nach der Flut die Wut
In Spaniens Katastrophengebiet werden Premierminister Sánchez und König Felipe mit Schlamm beworfen. Die Behörden müssen sich fatales Versagen vorwerfen lassen.
Irgendwann mussten sich der spanische König und der Ministerpräsident aus Paiporta zurückziehen – also jener von Arbeiter:innen geprägten Kleinstadt im Süden Valencias, die mit am stärksten von den Überschwemmungen betroffen ist. Ihre Bewohner:innen schmissen am Sonntag Schlamm auf Felipe VI. und Pedro Sánchez, griffen die beiden mit Stöcken an und vertrieben sie schliesslich aus ihrer Gemeinde. «Mörder», skandierten sie, empört darüber, dass Hilfskräfte ihre Ressourcen für den Besuch der Obrigkeit einsetzten statt für die würdevolle Bergung ihrer Angehörigen.
Der Zorn richtete sich aber in erster Linie gegen Carlos Mazón, den Präsidenten der konservativen Regionalregierung, der sich hinter den beiden grossgewachsenen Männern aus Madrid zu verstecken schien. Er wird von der Bevölkerung für die späte Warnung vor der Flutwelle verantwortlich gemacht.
Auch mehr als eine Woche nach der Katastrophe an Spaniens Ostküste ist das Ausmass der Zerstörung unklar. Bis Redaktionsschluss wurden 211 Todesopfer gezählt, und nach wie vor werden Dutzende, wenn nicht Hunderte Brüder, Mütter, Onkel, Töchter und Grosseltern vermisst. Noch immer suchen Menschen mit Pickel und Schaufeln nach ihren Angehörigen. In überfluteten Tiefgaragen vermuten Augenzeug:innen Massengräber. Mittlerweile unterstützen über hundert Forensiker:innen die lokalen Behörden bei der Identifizierung.
Unbeholfenheit und Arroganz
Bei den Starkregenfällen vergangene Woche fiel innert weniger Stunden so viel Wasser wie sonst in einem Jahr. Nicht auszumalen, was ohne die Staumauer Forata, fünfzig Kilometer westlich von Valencia, passiert wäre, die an diesem Tag 37 Millionen Liter Wasser zurückhielt; eine Menge, die 247 000 Badewannen entspricht.
Die Wassermassen preschten dennoch Richtung Küste. Sie rissen Autos und Brücken mit sich, entwurzelten Bäume, fluteten Friedhöfe, Garagen, U-Bahnhöfe, Lagerhallen, Produktionsanlagen, Wohnungen. Es ist eine der grössten Umweltkatastrophen Europas der vergangenen Jahrzehnte. Zahlreiche Häuser drohen einzustürzen. Ärzt:innen warnen, der Kollaps des Abwassersystems könnte zum Ausbruch von Krankheiten führen.
Trotz des Ausmasses der Verwüstung forderte die Regionalregierung zunächst keine Unterstützung aus Madrid. Von dort hiess es lapidar: Valencia müsse offiziell um Hilfe bitten. Überhaupt ist das Krisenmanagement der Behörden bisher eine Mischung aus Unbeholfenheit und Arroganz. Dabei hätten aufgrund der vorhandenen Informationen viele Leben gerettet werden können. Denn am Tag der Katastrophe meldete der nationale Wetterdienst bereits um 10 Uhr, dass sich in und um Valencia etwas Grosses zusammenbraue. «Die Gefahr ist extrem», heisst es in der Mitteilung.
Vom Schock zum Überlebenskampf
Erst vier Stunden später aktivierte die Regionalregierung ihren Notfallplan für Wetterphänomene. Doch erst kurz nach 20 Uhr ging die Warnung an die Bevölkerung – zu einem Zeitpunkt, als ganze Quartiere bereits unter Wasser standen und Menschen ertrunken waren.
Mittlerweile hat die Regionalregierung Hilfe angefordert. Zu den Tausenden von Einsatzkräften aus dem ganzen Land sollen noch einmal 5000 Soldat:innen und 5000 Polizist:innen hinzukommen. Ministerpräsident Sánchez spricht vom grössten Militäreinsatz Spaniens in Friedenszeiten. Ob die Uniformierten nur zur Katastrophenbewältigung nach Valencia geschickt werden, wird sich zeigen. Denn der Schock der ersten Stunden hat sich längst in einen Überlebenskampf verwandelt. Zwar ist die Solidarität innerhalb der Bevölkerung gross, doch das Misstrauen und die Wut auf die Behörden sind es ebenfalls.
Anwohner:innen berichten mittlerweile von Ratten, Diebstahl und einem unglaublichen Gestank von Benzin und Abwasser. Erst wenn sämtliche Garagen und Tunnel von Autos, Schlamm, Schutt und Geäst befreit sind, wird sich das Ausmass der Zerstörung zeigen. Sicher ist: Die Zahl der Opfer wird weiter steigen.