Autoritäre Wende: Von wegen Brandmauer

Nr. 3 –

Es ist diese Deutlichkeit: Am Wochenende wurde Alice Weidel am AfD-Parteitag offiziell zur Kanzlerkandidatin gekürt – mit dem Slogan «Alice für Deutschland», einer Anspielung auf die SA-Losung «Alles für Deutschland». Im Gestus einer fanatischen Propagandistin bezeichnete Weidel in ihrer Rede die Gegendemonstrant:innen als «rot lackierte Nazis», kündigte an, punkto Energiepolitik die «Windmühlen der Schande» niederzureissen, die Grenzen dichtzumachen und Menschen «im grossen Stil» auszuschaffen, sobald die AfD an der Macht sei. Sie zeigte, was die extreme Rechte heute ausmacht: ihren völkischen Nationalismus, ihre Lust an der Zerstörung, ihr libertär-autoritäres Verständnis von Freiheit als individuellem Besitz, ihr Machtstreben. Und sie bedankte sich bei Elon Musk, dem wohl einflussreichsten Multiplikator autoritärer Umtriebe und rassistischer Ressentiments.

Es ist diese rasche Verschiebung: Vor zwei Wochen zerbröselte das Versprechen der Österreichischen Volkspartei, niemals mit der rechtsextremen FPÖ zu koalieren, an der eigenen Kompromissunfähigkeit. Nun könnte mit Herbert Kickl einer Regierungschef werden, der sich – wie einst Hitler – «Volkskanzler» nennt und rechtsstaatliche Prinzipien ablehnt.

Schon in Frankreich hat Staatspräsident Macron, nachdem er im Vorfeld der letzten Wahl noch die Brandmauer nach rechtsaussen beschworen hatte, lieber den Rassemblement National umgarnt, als einen Schritt auf die Linke zuzumachen. Es dauerte bis zu dieser Woche, dass der von ihm ernannte Premier, der vierte innerhalb eines Jahres, der Linken erstmals Entgegenkommen in der Rentenfrage signalisierte. In Deutschland schliessen zwar alle relevanten Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD aus – doch wie viel ist dieses Versprechen noch wert, wenn die AfD bei der Wahl im Februar noch weiter zulegt oder in vier Jahren gar gewinnt? Wie viel Bedeutung hat es, wenn eine Migrations- und Asylpolitik ganz in ihrem Sinne ohnehin auf dem Programm etablierter Parteien steht?

Wenn rechtsextreme Fantasien nur als Übertreibung von an sich Richtigem gesehen werden, ist eine Brandmauer keine Brandmauer. «Wo Antifaschismus eine Phrase ist, perpetuiert er Faschistisches», sagte der marxistische Philosoph Wolfgang Fritz Haug einst.

Es ist dieses Echo: Die hiesigen Medien verschaffen der extremen Rechten einen enormen Resonanzraum. Exemplarisch zeigt sich das an einem vergangenen Sonntag veröffentlichten Porträt über Alice Weidel in der «NZZ am Sonntag». «Deutschland steht am Abgrund: die Arbeitslosenzahl auf neuen Höhen», heisst es darin, nicht als Zitat von Weidel, sondern als Feststellung der Autorin.

Es sind gerade diese diffusen Untergangsszenarien, deren Verbreitung für den Erfolg der extremen Rechten zentral ist. Nüchterne Einordnungen – etwa, dass die Arbeitslosenquote in Deutschland mit sechs Prozent im Durchschnitt der EU-Länder liegt – finden keinen Platz. Stattdessen inszeniert Margrit Sprecher Weidel mehrheitlich als hochintelligente, sensible Politikerin, die sich «den Scharfmachern» nur «angepasst» habe, erwähnt sie freundschaftlich mit Vornamen, ergiesst sich über ihr Privatleben, übernimmt ihre Sätze. Rechtsradikalismus als gefühlige Illustriertenstory, viele Medien haben sie weiterverbreitet.

Es kommt also gerade einiges zusammen. Die erneute Wahl Donald Trumps und der Einfluss von Musk verstärken den autoritären Drall der europäischen Rechten, deren Widersprüche und Uneinigkeiten werden von der dauernden Propaganda, der dauernden Überreizung übertüncht – das ist die Substanz ihrer Politik.

So bedrohlich das ist, so wichtig ist ein kühler Kopf für eine solidarische Gegenerzählung – und die Auflehnung gegen eine um sich greifende Irrationalität. Denn für den Erfolg der Rechtsaussenparteien braucht es die Bereitschaft der Öffentlichkeit, die geschichtsvergessene Gewaltrhetorik widerstandslos aufzunehmen. Hoffnung macht, dass sich dem Tausende entgegenstellen; 50 000 Menschen folgten dem Aufruf «Alarm für die Republik» in Wien, 15 000 versammelten sich im sächsischen Riesa, um den AfD-Parteitag zu stören. Sie zeigen, was zu tun ist: rausgehen und sich dieser Auseinandersetzung stellen.