Wichtig zu Wissen: DJ Nationalrat
Ruedi Widmer über einen Traum und die Ohnmacht der Linken
Ich hatte einen überaus deutlichen Traum. Vermutlich lag es an den Tätigkeiten vor dem Schlafengehen. Ich las irgendwo online die Weltuntergangsthese der Gitarrenhersteller, dass Guns-N’-Roses-Gitarrist Slash der letzte Rockmusiker sei und die heutigen Kids praktisch ausschliesslich elektronische Musik hörten; sah, wie Christa Rigozzi in der SRF-Sonderarena über Handysucht live DJ Bobo anrief, und las vor dem Wegdämmern – wie viele sich zurzeit in meinem Lebenszustand befindende Menschen – noch etwas im «Köppel» weiter. Das brachte Showbiz und Politik zusammen. Denn im Traum verkündete ein bürgerlicher Politiker, aber ich weiss nicht mehr, welcher, vielleicht Thomas Matter, dass er 2019 auf Wahlkampftournee mit DJ Antoine gehe und dass sich in der Folge immer mehr bürgerliche PolitikerInnen einen DJ schnappten, mit dem sie einen Exklusivvertrag abschlossen; auf jeden Fall war «20 Minuten» voll mit Partybildern von den neusten Vertragspaaren, und der Trend hatte einen englischen Namen, der mir aber verschwommen blieb, denkbar wäre rückblickend zum Beispiel «Togethering».
Beide Seiten erhofften sich davon einen Popularitätsschub: die Politiker den Zugang zur Jugend und zur Clubszene und die DJs den Zugang zu Geld, Macht und Schlagzeilen. Ich träumte auch erstmals im Leben von Facebook, obwohl ich dieses seit zehn Jahren täglich nutze; denn ich tippte die Statusmeldung: «Welcher DJ will wohl mit Christian Miesch durch die Schweiz tingeln?»
Nun, das war ein Traum, aber nach dem Aufwachen erschrak ich schon, dass er mir sehr möglich erschien. Gerade die Vermischung von Showbiz, Poptrash und Politik wurde Trumps Erfolgscocktail, und in den Gratisblättern stehen BundesrätInnen und Instagram-InfluencerInnen seit vielen Jahren auf der gleichen Relevanzebene. Auch das hemmungslose Kapern von Leistungen anderer durch die Politik spielte eine Rolle; so wirkte im Traum auch ein Film mit hinein, den ich am Tag davor im Netz gesehen hatte, in dem Alice Weidel im Dezember 2017 einem reaktionären AfD-Ü-60-Publikum in einem Saal ganz geschickt zurief, sie sei homosexuell und man wisse das jetzt, aber niemand verlasse nun deswegen den Saal, was doch zeige, dass das Klischee der homophoben AfD nicht stimme, worauf die alten Leute einander grinsend und vielsagend anschauten und selbst ein wenig ob ihrer neuen Toleranz erschraken, um dann mit Weidel einzustimmen, die Einzigen, die sich an Homosexuellen störten, seien die Muslime, und die Linken, LGTB-Organisationen und Gutmenschen täten überhaupt nichts für Homosexuelle. Starker Applaus und Jubel.
Nach diesem Auftritt wäre ein Showblock mit einer AfD-eigenen Drag-Queen-Gruppe durchaus mit Wohlwollen aufgenommen worden. Die ohnmächtige Linke, die mittlerweile auch die Finanzkrise von 2008 zu verantworten hat, gerät ja überall in die Zwickmühle. Sie stellt sich, so erscheint es, plötzlich schützend vor den Liberalismus, die Wirtschaft, Merkel, den ganzen Staat, in den USA gar vor das FBI, während die Rechten gegen die Banken, Eliten, Abzocker wettern und den Leuten wie in Italien soziale Wohlfahrt und in Deutschland Toleranz gegenüber Homosexuellen versprechen. Es geht nicht mehr lange, und sie stellen sich schützend vor MigrantInnen, während Köppel (der Mann, nicht das Buch) am letzten Samstag twitterte, ganz seinem Renommée als bestgewähltem Nationalrat und «brillantem Journalisten» entsprechend, die «Linken werden, einmal an der Macht, alle Andersdenkenden einkerkern».
Mit meinen Kindern spiele ich manchmal «Verkehrte Welt», in der immer das Gegenteil wahr ist. Ein grosses Gaudi jeweils. Wenn das aber Erwachsene mit Erwachsenen spielen, wird es schnell gefährlich.
Ruedi Widmer liest am 8. November 2018 im Palace St. Gallen und sucht dafür noch einen DJ.