Kost und Logis: Zu reich in Zürich
Karin Hoffsten über vermeintliche Luxusprobleme
Der unbeirrbaren Natur folgend, wächst in meinem Bekanntenkreis das Interesse an einer Alterswohnung. Nicht dass man die sofort beziehen will – aber absichern möchte man sich gern, man weiss ja nie … Also stehen einige seit Jahrzehnten auf städtischen Listen, wo neben ihnen Tausende schon so lange warten, dass manch eine:r verstorben ist, bevor sich ein altersgerechtes Zuhause am Horizont gezeigt hat.
Zumindest war es bisher so, doch am 2. Oktober hat die Stadt Zürich die Vergabemethode geändert: Zum ersten Mal wurden an diesem Tag Alterswohnungen öffentlich ausgeschrieben. Die endlosen Wartelisten wurden abgeschafft, Interessent:innen können sich seither alle vierzehn Tage auf freie Wohnungen bewerben. Ein Fortschritt, der in manchen Herzen Hoffnung weckte. Vergebens.
Denn wie die Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich (SAW) auf ihrer Website schreibt, warten derzeit rund 6000 Interessent:innen auf eine der 250 Wohnungen, die jährlich frei werden. Bis 2035 will die SAW zwar tausend neue Wohnungen anbieten können, aber auch die nehmen sich angesichts der wartenden Heerscharen aus wie der bekannte Tropfen auf dem heissen Stein.
Um sich bewerben zu können, müssen Interessierte ein Profil erstellen, das über ihre Lebensumstände Auskunft gibt. Bei der Wohnungsvergabe wird mit einem Punktesystem beurteilt, wie dringlich die Alterswohnung ist: Pluspunkt kann eine drohende Kündigung sein, eine Einschränkung der physischen Mobilität oder eine finanzielle Notlage. Es werden subventionierte und freitragende Wohnungen ausgeschrieben, für beide gelten Grenzen bei Einkommen und Vermögen.
Kürzlich begegnete ich Frau E., von der ich weiss, dass sie schon lange eine Alterswohnung für sich und ihren gehbehinderten Mann sucht. Ob es denn Fortschritte gebe, fragte ich sie, worauf Frau E. ein erbittertes «Ha!» ausstiess – das könne man tatsächlich sagen, aus und vorbei seis mit ihrer Suche nach einer städtischen Alterswohnung: «Wir sind zu reich!»
Auf meine Frage, ob sie denn eine subventionierte Wohnung suchten – was mich verwundert hätte, denn beide hatten vor ihrer Pensionierung unterrichtet –, meinte sie: Nein, es sei auch zu viel für eine Bewerbung auf eine nicht subventionierte Wohnung. Ein klitzekleines bisschen zu viel – aber halt über der Grenze.
Sie und ihr Mann lebten seit vierzig Jahren im selben Quartier, schon beim Gedanken, aus der Stadt wegziehen zu müssen, bekämen beide das heulende Elend.
Jetzt hätten sie sich überlegt, eine barrierefreie Wohnung auf dem freien Markt zu suchen, möglichst nah an ihrer vertrauten Umgebung. Da müssten sie mit einer Monatsmiete von 4000 bis 5000 Franken rechnen, was den Vorteil hätte, dass ihr Vermögen wie Butter an der Sonne schmölze. In spätestens zwei Jahren könnten sie sich dann sogar auf eine subventionierte Alterswohnung bewerben.
Karin Hoffsten findet, dass auch Luxusprobleme ernste Sorgen bereiten können.