Auf allen Kanälen: Nichts gewusst?

Nr. 47 –

Sie hat viele Interviews gegeben und dabei viel gelogen. Ein neuer Dokfilm widerlegt nun zentrale Falschaussagen und Verdrehungen von Leni Riefenstahl.

stilisiertes Foto von Leni Riefenstahl hinter der Kamera

Über ein halbes Jahrhundert lang hat Leni Riefenstahl einen zähen Kampf gegen die Wahrheit geführt. Die deutsche Filmemacherin, die nicht nur mit ihrem Nürnberger-Parteitag-Film «Triumph des Willens» (1935) den Nationalsozialismus ästhetisch nachhaltig in der Filmgeschichte verankert hat, bestritt nach 1945 jede eigene Verstrickung in die NS-Ideologie. Obwohl sie nachweislich im Auftrag von Hitler persönlich gearbeitet hatte, obwohl Fotos kursierten, auf denen sie mit NS-Grössen flirtete, gelang es ihr nach dem Krieg bei ihren zahlreichen TV-Auftritten und Interviews, sich als Opfer von böswilligen Unterstellungen und haltlosen Vorwürfen darzustellen.

Behutsam am Arm

Ihr Interesse und ihre Filme seien rein künstlerischer Natur gewesen; auch beim zweiten grossen Propagandafilm, «Olympia», über die von den Nazis instrumentalisierten Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Politik habe sie nie interessiert, sie hätte auch für Roosevelt, Churchill oder Stalin gedreht, wenn die sie gefragt hätten. Medien und politische Gegner:innen (zu denen sie etwa «Juden und Kommunisten» zählte) würden versuchen, ihr etwas anzuhängen. Ungerecht sei das und sehr belastend für sie.

Zu ihrem 100. Geburtstag im Jahr 2002 reisten dann viele der gescholtenen Medienvertreter:innen an den Starnberger See, um Riefenstahl ein letztes Mal zu interviewen. Unter ihnen auch die bekannte deutsche TV-Journalistin Sandra Maischberger. Wer sich dieses von Arte und ZDF koproduzierte Gipfeltreffen heute in schlechter Kopie auf Youtube anschaut, staunt. Trotz ihres hohen Alters wirkt Riefenstahl hellwach und weiterhin getrieben von einer einzigen Absicht: ihre Version der Geschichte durchzusetzen.

Maischberger führt Riefenstahl behutsam am Arm durchs Haus und zeigt sich abseits von ein paar kritischen Fragen, die Riefenstahl routiniert an sich abperlen lässt, vor allem schwer beeindruckt von der rüstigen alten Frau. Riefenstahl kontrolliert die Begegnung auf ganzer Linie. Bis hin zum Tiefpunkt des Gesprächs, als Maischberger selber die Sätze sagt, die Riefenstahl jahrzehntelang in alle Mikrofone diktiert hatte: Riefenstahl habe sich nicht für Politik interessiert, sondern nur für ihr Leben und ihre Arbeit. Diese pflichtet gnädig bei, Legendentransfer geglückt. Ein Jahr später war Riefenstahl tot.

Es ist nicht anzunehmen, dass Maischberger mit diesem Interview zufrieden war. Und als ob sie ihr zweifelhaftes altes Porträt mit einer kritischeren Fassung überschreiben wollte, zeichnet sie nun als auffallend engagierte Produzentin eines neuen Dokumentarfilms verantwortlich. Der Filmemacher Andres Veiel («Black Box BRD») und sein Team hatten als Erste vollen Zugang zu Riefenstahls Archiv. Sein gelungener Film umreisst nun nochmals Stationen von Riefenstahls Leben vor, während und nach dem Nationalsozialismus. Dank Archivrecherchen kann Veiel zeigen, wie Riefenstahls wiederholte Behauptung, sie habe von der Judenvernichtung nichts gewusst, schlicht gelogen war. Mit dieser Lüge wurde sie zum Idol vieler Deutscher, die ebenfalls «nichts gewusst» haben wollten und die Riefenstahl nach ihren Auftritten euphorisch beglückwünschten. Entsprechende Telefonate und Briefe hat sie selber akribisch aufgezeichnet und archiviert.

Wer verdient mehr?

Auch zu Riefenstahls Freundschaft mit einem anderen selbsternannten «Ästheten» des NS-Regimes, Hitlers Rüstungsminister Albert Speer, präsentiert Veiel neue Belege. Speer wie Riefenstahl blieben nach dem Krieg unbelehrbar. Beide verdienten viel Geld mit der Vermarktung ihrer intimen Nähe zur NS-Macht, die sie zugleich ständig relativierten. Unter 5000 Mark gebe sie kein Interview, prahlte Riefenstahl gegenüber Speer am Telefon. Dass Riefenstahl in einen Kalender «wählen NPD» notierte: Dieser Hinweis findet sich leider nur im Presseheft zu «Riefenstahl». Man hätte das Blatt auch prominent im Film zeigen können.

Insgesamt hätte etwas mehr Einordnung, etwas mehr Kommentar nicht geschadet. Ein Foto, das Riefenstahl mit Andy Warhol zeigt, läuft etwa ohne weitere Erklärung über die Leinwand. Ein gar knapper Verweis auf Riefenstahls beträchtlichen Nachruhm in der Popkultur.

«Riefenstahl». Regie: Andres Veiel. Deutschland 2024. Jetzt im Kino.