Literatur: Für immer ist lang

Es ist schön, neben einem Körper aufzuwachen, den man kennt: sein Geruch, wie es sich anfühlt, wenn sich verschlafene Arme um einen wickeln, in denen man zu Hause ist. Und doch schlüpfen manchmal leise Zweifel unters Laken, setzen sich im Bauch fest. Für immer, das ist lang.
Diesem Gefühl im Bauch geht Mariann Bühler in ihrem Debütroman «Verschiebung im Gestein» auf den Grund, der für den Schweizer Buchpreis nominiert war. Er folgt drei Menschen, die einander nicht kennen, deren Wege sich zuweilen aber kreuzen. Alle drei sind ohne grosses Zutun in ihre Leben hineingerutscht. Da ist Alois, der den Hof bewirtschaftet, auf dem er aufgewachsen ist, und abends den Käse direkt aus dem Kühlschrank isst, bis er irgendwann einen Rucksack packt und ins Weite zieht. Da ist Elisabeth, Frau des Dorfbäckers, ewige Auswärtige, bis dem Bäcker im Kopf ein Äderchen platzt, Elisabeth das «Frau des» abstreift und selbst in die Backstube tritt. Und da ist ein namenloses Du, eine junge Frau, die aus ihrem warm gelegenen Bett steigt, ins verlassene Ferienhäuschen ihrer Grosseltern zieht und dort vielleicht Abstand zum Menschen sucht, der zwischen den Decken liegen geblieben ist – oder zumindest sich selbst.
Alle drei treffen grosse Entscheidungen, die gar nicht so gross daherkommen – weil sie langsam gewachsen sind, weil Mariann Bühler dieses Wachsen so behutsam und feinfühlig beschreibt. Man spürt, dass sie während der sieben Jahre, in denen sie an dem Buch schrieb, mit ihren Figuren gelebt hat; obwohl vieles angedeutet, wenig ausgesprochen wird, werden sie beim Lesen zu Vertrauten. Bühler kennt auch die Welten, die sie beschreibt. Sie hat die Handgriffe, die Elisabeth in der Bäckerei verrichtet, genau beobachtet; sie weiss, dass man an nassen Laubhängen kurze, schnelle Schritte machen muss, um nicht abzurutschen. Das macht «Verschiebungen im Gestein» zu einem sehr sinnlichen Buch. Bühler beschreibt banale Alltagshandlungen akribisch genau, aber – und das ist die grosse Kunst dieses Buchs – mit einer wunderbaren Leichtigkeit.