Leser:innenbriefe

Nr. 49 –

Ein Deal wird kommen

«Zum Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu: Ohne Alternative», WOZ Nr. 48/24

Das je ein mit den USA verbündeter Herrscher vor irgendeinem Gericht der Welt für seine Taten verurteilt würde, ist undenkbar. Es wird, Trump weiss, wie das geht, zu einem «Deal» kommen. Wetten?

Hanspeter Gysin, Basel

Im Stich gelassen

Zur US-Wahlberichterstattung der WOZ

Seit drei Jahrzehnten lese ich die WOZ und habe mich noch nie dermassen im Stich gelassen gefühlt wie vom Leitartikel nach der US-Wahl 2024! Kamala Harris ist eine kompetente Politikerin! In ihrem überzeugenden Wahlkampf hat sie dargelegt, wie sie Armut bekämpfen wird: Steuerreduktion für junge Familien, Aufrechterhaltung des freien Zugangs zur Krankenversicherung, welche es bei Vorerkrankung erst seit Obama gibt, Weiterführung von Medicare, Reduktion der Studiengebühren (im Mittel kostet ein Jahr 27 000 Dollar). Neun Jahre habe ich in den USA gelebt und bin mit Betroffenen befreundet.

Am Wahlvorabend hat Frau Harris versprochen, dass, wenn sie Präsidentin ist, niemand diskriminiert werden würde, das seien die amerikanischen Werte. Bereits vor acht Jahren hat Trump gegen eine Frau gewonnen. Der Vorsprung von Trump auf Harris betrug nur 1,6 Prozent. Eine höhere Wahlbeteiligung der Demokrat:innen hätte uns die erste US-Präsidentin ermöglicht. Die Nichtwähler:innen lassen lieber einen Nazi gewinnen, als eine Frau zu wählen. Das ist Sexismus!

Frau Harris ist Opfer von Diskriminierung. Ich finde abscheulich, wie die WOZ das Opfer verantwortlich macht: «Die Führungsschicht der Demokratischen Partei hat sich diese katastrophale Niederlage selbst zuzuschreiben» (WOZ Nr. 45/24). Die Printmedien unterliegen einer Verarmung, welche ich auch bei der WOZ feststelle, wenn sie bei der US-Wahlberichterstattung in zwei aufeinanderfolgenden Ausgaben jeweils einen Leitartikel desselben Autors veröffentlicht. Bereits in der Ausgabe (WOZ Nr. 42/24) schreibt er im Artikel «Desaströse Inkonsequenz»: «Von Erderhitzung und Extremwetterereignissen spricht Harris kaum.» Es drängt sich mir der Verdacht auf, dass der Autor sich nun bestätigt fühlt.

Ich weiss wirklich nicht mehr, welche Zeitung ich überhaupt noch lesen möchte. Grundvoraussetzung wäre, dass sie Diskriminierung erkennt und benennt.

Sonja Hausmann, Bern

Kapitulieren?

«Klimakollaps: ‹Die Arschlochgesellschaft feiert gerade ihr Coming-out›», WOZ Nr. 47/24

Tadzio Müller vertritt die These, dass die Gesellschaft in grossen Teilen gerade dabei ist, die unangenehme Scham, die sie angesichts der Dissonanz zwischen ihren Werten und ihrem tatsächlichen Verhalten empfindet, dadurch zu betäuben, dass sie sich moralisch selber zum Arschloch hin befreit. Vierzig Jahre Neoliberalismus hätten das Gefühl für das positive Potenzial des Solidarischseins unter dem selbstüberfordernden Wettbewerbsdenken quasi verschüttet. Das ist empirisch überzeugend, sonst sähen die Autos hier nicht wie aggressives Kriegsgerät aus, wäre Europa nicht so kurzsichtig egoistisch und würden wir generell unsere Gewohnheiten und bisherigen Standards radikal verändern.

Müller konstatiert nüchtern, «dass humanistische Positionen im Globalen Norden derzeit nicht mehrheitsfähig sind». Linke Politik müsse die katastrophischen Momente sozusagen einkalkulieren und sie für die Wiederentdeckung der Solidarität nutzen.

Gibt es wirklich keinen genuin konstruktiveren Weg, um die Arschlöcher zurückzugewinnen? Oder anders und frei nach Rebecca Solnit gefragt: Haben wir hier im Globalen Norden überhaupt ein Recht, politisch vor der Klima- und all den anderen Krisen zu kapitulieren?

Ulrich Schelling, per E-Mail