Auf allen Kanälen: Patriarchat? Ohne uns!
Get ready gegen Sexismus: Wie Schminkvideos auf Tiktok die Frauenfeindlichkeit in der koreanischen Gesellschaft sichtbar machen.
Sie sei zurück mit ein Paar Fakten zu Korea, kündigt Tiktokerin Soo Youn Lee vor der Kamera an. Aber Achtung, diesmal gehe es um ein echt toughes Thema. Soo Youn Lee verzieht das Gesicht und greift nach einer Crème. Es ist eines dieser Videos, in dem sich Menschen vor der Kamera ausgehfertig machen und dabei etwas erzählen – und manche dieser Videos enthalten sogar überraschend subversive Botschaften. Der Trend heisst «Get ready with me», die beliebtesten Videos unter dem Hashtag #GRWM werden auf Tiktok millionenfach angeschaut.
Soo Youn Lee beginnt, ihr Gesicht zu reinigen. Doch bald geht es um mehr als um Make-up. Die Influencerin hält inne, um zu erzählen, wie sich Frauen in Südkorea gegen die strikten Schönheitsideale auflehnen, die dort ein wahnsinniges Ausmass angenommen hätten.
Das Streben nach kosmetischer Perfektion ist nirgendwo derart allgegenwärtig und professionalisiert wie in Südkorea. Der Standard: runde Augen, gerade Nase und Haut wie aus Porzellan. Mit Slogans wie «Be the Same!» wird für Schönheitseingriffe geworben. Mittlerweile schlägt die koreanische Kosmetikbranche mit ihren Beautyprodukten eine Pflegeroutine aus vielen verschiedenen Schritten vor. Innovationen wie Beauty Balm Creams, Schneckenschleim und spezielle Schlafmasken sollen dabei helfen, auch unerreichbare Ideale zu erreichen – und verhelfen der Schönheitsindustrie so zu stetig neuer Nachfrage.
Raus aus dem Korsett
Ob wir schon von der «Escape the Corset»-Bewegung gehört hätten, fragt Soo Youn Lee in die Kamera. Die Bewegung habe Frauen inspiriert, das herrschende Schönheitsdiktat zu boykottieren: sich die Haare kurz zu schneiden oder auch an Gewicht zuzulegen, wenn sie das wollten, erzählt Soo Youn Lee. Unter dem Hashtag #escapethecorset teilten die Frauen die Resultate ihres Protests im Netz: Bilder von kurz geschorenen Haaren und kunstvoll zerstörtem Make-up. Wie es dazu kommen konnte? Mit einem Handtuch tupft sich Soo Youn Lee das Gesicht ab. Aufschluss darüber geben Patriarchat und Misogynie, die in Korea tief verankert sind.
In zehn oder achtzehn Schritten zur strahlenden Haut eines K-Pop-Stars: Die Idole der koreanischen Popkultur, die scheinbar mühelos jedes Schönheitsdiktat umsetzen, geben den Trends und Technologien aus dem K-Beauty-Kosmos ein Gesicht. Umso grösser der Schock, als zwei Journalistinnen im Jahr 2019 ein Netzwerk von K-Pop-Stars enthüllten, das systematisch Frauen unter Alkohol und Drogen setzte und missbrauchte. Die Stars teilten Bilder und Videos davon in einer Messenger-Gruppe. Das heimliche Aufnehmen expliziter Fotos und Videos hat in den letzten fünfzehn Jahren in Südkorea stark zugenommen, es gibt sogar einen eigenen Begriff für das Phänomen: «Molka» heisst es auf Koreanisch. In der Folge von #MeToo forderten Tausende von Frauen Massnahmen gegen solche heimliche Aufnahmen, auf Transparenten war der Slogan «My Body Is Not Your Porn» zu lesen.
Selbst ist die Frau
Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass in Südkorea feministische Bewegungen wie «Escape the Corset» entstehen – oder auch die radikalere 4B-Bewegung, die jüngst im Zuge der Wiederwahl Trumps auch Resonanz in den USA fand. Jedes B der 4B-Bewegung steht dabei für ein Nein: zu Dating, zu Heirat, zum Kinderhaben mit Männern und zu Sex mit Männern – insgesamt ein Nein zum Kampf gegen das Patriarchat, dem sich die Anhängerinnen der 4B-Bewegung lieber ganz entziehen wollen.
Der inzwischen abgesetzte Staatspräsident Yoon Suk-yeol machte die 4B-Bewegung deshalb gar verantwortlich für die sinkende Geburtenrate im Land – ein absurder Vorwurf. Mittlerweile hat 4B ein Update erfahren: 6B4T lehnt auch das Konsumdenken ab und fordert gegenseitige Solidarität unter unverheirateten Frauen.
Soo Youn Lee lacht. So viele Leute würden meinen, in Südkorea gehe es zu wie in einem koreanischen Drama, sagt sie kopfschüttelnd in die Kamera. «Ich weiss, das war viel Information und auch etwas düster», so schliesst ihr Video. «Aber während K-Pop, K-Beauty und koreanisches Essen gerade immer beliebter werden, dachte ich, ich erzähle mal ein bisschen was Politisches über Korea.»