Geschichte: «Aus der bäuerlichen Theologie spricht der Traum von einer anderen Welt»
Vor 500 Jahren forderte ein gewaltiger Aufstand in Mitteleuropa das System der Grundherrschaft heraus. Was lässt sich laut der Oxford-Historikerin Lyndal Roper vom Bauernkrieg für die Gegenwart lernen?

WOZ: Lyndal Roper, 2024 sind Europas Bäuer:innen auf die Strasse gegangen. Sehen Sie als Historikerin der Aufstände von vor 500 Jahren irgendwelche Parallelen zu denen von heute?
Lyndal Roper: Direkte Parallelen sehe ich nicht. Schon die einzelnen Bewegungen heute sind unterschiedlich, ebenso die Missstände, die die Bäuerinnen und Bauern in den jeweiligen Ländern bewegen. Aber es gibt vielleicht eine Ähnlichkeit. Heute leben viel mehr Menschen in Städten als früher, und viele wissen gar nicht mehr, mit welchen Problemen Bäuerinnen und Bauern konfrontiert sind, wie wichtig etwa Klima und Wetter für die Landwirtschaft sind. Man weiss ja nicht mal mehr, woher das Essen kommt, das auf dem Teller landet! Diese Kluft zwischen Stadt und Land spiegelt sich in den Protesten. Und dieses Gefühl, dass ihre Arbeit nicht geschätzt wird und sie nicht verstanden werden, spielte auch damals im Bauernkrieg eine Rolle.
In Ihrem Buch zeigen Sie, wie wichtig es für die sogenannten Bauernhaufen war, in Bewegung zu sein: Losmarschieren war bereits ein Akt des Widerstands, und unterwegs entwickelte man eine gemeinsame Identität über das eigene Dorf hinaus. Heute gibt es diese langen Traktorkolonnen, wenn Landwirt:innen sich aufmachen, um den Protest in die Stadt zu tragen …
Ja, man will zeigen, dass man existiert, dass man diese grossen Maschinen hat und weiss, was es bedeutet, auf dem Land zu arbeiten. Ein interessanter Aspekt ist zudem, dass man an den Geruch auf dem Land erinnert, indem man den Mist vom Hof mit zum Protest nimmt: Es riecht allein schon ganz anders auf dem Land als in der Stadt … Natürlich ist Bewegung wichtig, allerdings ist es etwas anderes, sich auf einen Traktor zu setzen und loszurollen, als tagelang zu Fuss zu marschieren und unter freiem Himmel zu schlafen.
Expertin für die Frühe Neuzeit
Die 1956 geborene Australierin Lyndal Roper ist auf die Geschichte Deutschlands in der Frühen Neuzeit spezialisiert. Sie studierte in Melbourne und Tübingen, am King’s College in London hat sie promoviert. 2011 wurde sie Professorin für Geschichte an der Universität Oxford, als erste Frau in ihrem Fach mit dem Titel «Regius Professor». Sie hat unter anderem eine Geschichte des Hexenwahns (2007) und eine Biografie über Martin Luther (2016) geschrieben. Für ihr Buch über den Bauernkrieg («Für die Freiheit», 2024) fuhr sie eigens mit dem Velo Schauplätze des damaligen Aufstands ab – und stiess dabei in Lothringen auf noch erhaltene Gebeine damals erschlagener Bäuer:innen.

Sie schreiben, der Bauernkrieg 1524/25 sei der «grösste Volksaufstand in Westeuropa vor der Französischen Revolution» gewesen. Warum ist er trotzdem in der kollektiven Erinnerung wenig verankert?
Gerade in Deutschland war der Bauernkrieg ein heisses Eisen. In der DDR verklärte man den Theologen Thomas Müntzer als Revolutionshelden. Im Westen heroisierte man Müntzer zwar auch, aber insgesamt gab es dort eine ganz andere Sichtweise auf den Krieg. Nach der Wende war es schwierig, diese Kluft zu überbrücken. Man hat dann stattdessen versucht, mit Martin Luther und der Reformation eine gemeinsame Erzählung für West und Ost zu finden. Es wäre also höchste Zeit, den Bauernkrieg in den Blick zu rücken. Es handelt sich um einen ungemein bunten und lebendigen Abschnitt der Geschichte. Und die Quellen, die es dazu gibt, sind fantastisch: Gefühle, Persönlichkeiten, all das wird ausführlich beschrieben, man lernt wirklich Menschen dieser Zeit kennen, was eine Rarität ist. Und es gibt viele tolle Geschichten!
Welche zum Beispiel?
Etwa die Berichte darüber, was die Bauern alles plünderten: Sie raubten auch die Federbetten und die Kissen der Nonnen aus den Klöstern. Wer würde heute daran denken, bei einem Kriegszug Kissen zu rauben? Doch plötzlich versteht man, warum Albrecht Dürer Kissen so sorgfältig mit all ihren Falten zeichnete: Das waren damals eben wertvolle Dinge.
Kann man sagen, dass der Fokus auf «gemässigte» Reformatoren wie Luther und Zwingli eine einseitige Sicht auf die Geschichte produziert?
Ich denke schon. Bei den Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum 2017 war es auffällig, wie wenig vom Bauernkrieg die Rede war. Dabei gab es auch eine radikalere Reformation, die von Luthers frühen Gedanken ausging, diese dann aber weiterentwickelte. Das ist in Vergessenheit geraten, weil es eine Reformation war, die nicht schriftlich festgehalten wurde: Die Prediger – und es gab viele Prediger und Kleriker, die in den Bauernkrieg involviert waren – verstanden es, zu reden und ihre Ideen zu vermitteln. Aber sie hatten keine Zeit, diese Ideen niederzuschreiben: Man war ja inmitten einer Revolution! Aber gerade während einer Revolution bleibt man nie bei den Ideen stehen, mit denen man angefangen hat, sondern entwickelt diese weiter, weil man ständig neue Erfahrungen macht.
Schon vor 1524 gab es in Süddeutschland und der Schweiz immer wieder Bauernproteste. 1476 entzündete sich in Franken ein Protest an einer Marienerscheinung: Einem Hirten soll Maria verkündet haben, dass jetzt Schluss mit Abgaben und Frondiensten sei. Zeigt das, dass sich politische Forderungen damals nicht in weltlichen Begriffen, sondern eben in religiösem Gewand äusserten?
Natürlich haben die Bauern eine religiöse Sprache benutzt. Aber es bereitet mir etwas Unbehagen, dass die Frage eine klare Unterscheidung zwischen der Realität, also den eigentlichen Ursachen, und der Religion impliziert. Beides aber war damals eng miteinander verzahnt. Wenn man sagte, dass die Leibeigenschaft gegen Gott sei, dann nicht, weil man in Wahrheit die Leibeigenschaft aus ökonomischen oder politischen Gründen ablehnte. Zudem waren kirchliche Herren meist die härtesten: Die Äbte und die Äbtissinnen beharrten verbissen auf ihren Privilegien, der Leibeigenschaft und Abgaben.
Die Bauern attackierten viele Klöster. Den Aufstand bezeichnen Sie deswegen auch als eine grosse «Antiwallfahrt».
Wir haben über 600 Klöster gezählt, die im Bauernkrieg in Mitleidenschaft gezogen wurden: Das ist fast die Hälfte aller klösterlichen Einrichtungen im Bauernkriegsgebiet. Manchmal wurden die Klöster auch bedroht und gezwungen, ihren Besitz zu inventarisieren – da könnte man meinen: Ach, das ist doch harmlos!
Aber es war nicht harmlos?
Nein, denn sobald man seinen Besitz inventarisiert, weiss die weltliche Obrigkeit, welche Beute sie erwartet, würden die Klöster säkularisiert. Es blieb auch nicht bei Drohungen, es gab viel Gewalt, und manche Klöster wurden komplett niedergebrannt. Das zeigt, wie viel Antiklerikalismus in der Bewegung steckte.
Und die Beute aus den Klöstern finanzierte den Bauern ihren Aufstand?
Aus den Klöstern wie aus Burgen und Schlössern holten sie sich Waffen und eigneten sich Reichtümer an, um damit weitere Waffen zu kaufen. Mit den Vorräten aus einem Kloster konnte sich ein Haufen tagelang ernähren. Das grosse Problem der marschierenden Bauern war ja, dass sie sich versorgen mussten. Dabei wollten sie es vermeiden, lokale Bauern auszuplündern, denn auf deren Unterstützung waren sie angewiesen.
Anders als die Aufstände zuvor richtete sich die Bewegung nicht nur gegen einzelne Missstände, sondern gegen das ganze System der Grundherrschaft, oder?
Die Bauern waren nicht gegen jegliche Art von Autorität: Sie wollten eine andere Art von Autorität, aber das hiess nicht, dass sie Gesetze per se ablehnten oder alles Eigentum teilen wollten. Manche Haufen waren auch radikaler als andere, ebenso wie die Anführer. Um nun auszudrücken, dass sich der Kampf nicht mehr nur gegen die eigenen Herren, sondern gegen alle Herren richtete, benötigte man einen Traum von einer anderen Welt – etwas, das inspiriert. Ich nenne das eine «bäuerliche Theologie», weil dieser Traum von der Schöpfungsgeschichte ausging: von der Idee, dass Gott die Welt, die Menschen, die Tiere, die Atemluft geschaffen hat und, vor allem, dass er die Naturressourcen für uns alle frei geschaffen hat. Diese Idee war zentral, weil damals gerade Mühlen und Bergwerke wichtiger wurden – und damit Wasserkraft, Holz oder Holzkohle, die man für Maschinen brauchte. Dadurch wurden diese Ressourcen plötzlich knapp.
Also auch wertvoller.
Genau. Und die Herren betonten nun, dass sie ein exklusives Anrecht auf die Ressourcen hätten, was auf den Widerstand der Bauern traf, weil die Wälder und Flüsse ja von Gott für alle erschaffen worden waren. Dazu kommt in der bäuerlichen Theologie die Vorstellung, dass die Beziehungen zwischen den Menschen brüderlich und nicht ausbeuterisch sein sollten. In den Bauernbeschwerden findet sich aber immer wieder die Klage, dass die Herren zu viel verlangten.
Der bäuerliche Freiheitsbegriff stellte nicht das Individuum ins Zentrum, sondern er umfasste, wie Sie schreiben, «die Umwelt und die Sorgepflicht, die wir anderen schulden, und unsere gegenseitige Abhängigkeit». Behutsame Naturnutzung spielte also eine wichtige Rolle?
Ja, wobei der Gedanke schon der ist, dass Ressourcen dazu da sind, damit die Menschen sie nutzen. Das ist eine andere Auffassung als in der heutigen Ökologie. Aber die Bauern hatten viel Erfahrung mit der Natur, sie wussten etwa, wie man einen Teich mit Fischen füllt. Aber sie fanden eben, dass dieser Teich dann auch allen zum Fischen freistehen sollte. Gerade die Geschichten über Teiche in den Quellen sind fantastisch: Manchmal fischten wütende Bauern einen Teich leer, damit die Mönche keinen Fisch mehr zu essen hatten. Oder man legte die Teiche komplett trocken.
Schon mit dem deutschen Titel des Buchs, «Für die Freiheit», beschreiben Sie den Bauernkrieg als emanzipatorische Bewegung. Was bedeutet das bei einem Reformator wie Luther, wenn er sich auf die Gegenseite stellte?
Luthers Pamphlet von der «Freiheit des Christenmenschen» war sehr wichtig, die Bauern und viele in ihrem Umkreis haben es gut gekannt. Die Schrift beginnt mit einem Paradox: «Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.» Nun fängt auch die revolutionäre Flugschrift «An die Versammlung der gemeinen Bauernschaft» mit einem Paradox an, woran man ablesen kann, dass der Autor an Luther anknüpfen wollte.
Also war es zunächst Luther, der die Freiheit ins Zentrum stellte?
Deswegen warfen ihm ja die altgläubigen Theologen von Anfang an vor, dass das irgendwann einen Aufstand provozieren würde, wenn er auf diese Weise von Freiheit spricht und die römische Kirche attackiert. Alles in allem ist das eine schwierige Geschichte: Aus Luthers Sicht brachten die Bauern die gesamte Gesellschaft in Gefahr, weil sie die Welt komplett umwälzen wollten. Wobei er versuchte, beide Seiten zu sehen: In einer früheren Schrift beschreibt er erst, was die Herren alles falsch machen, und dann, was die Bauern alles falsch machen.
Später forderte er, man solle die Bauern «zerschmeissen, würgen, stechen» und wie wilde Hunde totprügeln.
Ja. Und man sieht, wie er gezielt versuchte, das Wort «Aufruhr» negativ zu besetzen. In seiner Schrift «Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern» steht auf der Seite, in der von den «tollen Hunden» die Rede ist, immer wieder das Wort «Aufruhr»: Er wiederholt es ständig, um es negativ zu besetzen. Zumindest aus seiner Perspektive ist das nachvollziehbar: Hätte er mit den Bauern eine Revolution angestrebt, dann wäre die Reformation sicher gescheitert. Interessant ist, dass er den Konflikt als Drama zwischen Gott und dem Teufel betrachtet, mit sich selbst als Helden in der Mitte.
Wie das?
Luther kämpfte sein ganzes Leben mit Anfechtungen, was für seine spirituelle Entwicklung wichtig war. Gerade wenn er unsicher war, ob er dem rechten Weg folgte, interpretierte er Angriffe auf sich als eine Art Versicherung. Wenn Müntzer ihn dann attackierte, war das für ihn der Beweis, dass er auf Christi Seite steht: Andernfalls hätte sich der Teufel ja nicht die Mühe gemacht, ihn in der Person Müntzers anzugreifen. Das persönliche Drama Luthers, das, was in seinem Inneren vor sich ging, verzerrte sein Bild vom Bauernkrieg völlig: Er reduziert eine riesige Bewegung, die von Österreich über die Schweiz und das Elsass bis nach Süd- und Ostdeutschland reichte, auf den Konflikt zweier Individuen: ihn selbst und Müntzer. Dieses Bild wurde dann früh von den Lutheranern weitergegeben, was zudem Müntzers Bedeutung übermässig herausgestrichen hat.
Müntzer war der Theologe, der am radikalsten die sozialen Forderungen der Bauern aufgriff, aber auch ein weltabgewandter Mystiker. Wie passt das zusammen?
Müntzer muss sehr charismatisch gewesen sein, aber auch ein guter Seelsorger. Das ist bemerkenswert, weil charismatische Menschen oft nicht gut auf die Bedürfnisse anderer eingehen können. Müntzer konnte das, das zeigen seine Briefe und die Beziehungen, die er knüpfte: Kaum war er in einer neuen Stadt, gab es auch schon Leute, die ihn unterstützten. Die Mystik erlaubte es ihm, das, was er für Gottes Pläne hielt, radikal zu verfolgen: Man findet bei ihm Stellen, an denen er fordert, keinerlei Barmherzigkeit gegenüber den Feinden walten zu lassen. Das zeugt von einer Härte, die natürlich situationsbedingt war, aber trotzdem erschreckend ist. Alles, was Müntzer schrieb, klingt biblisch. Er nutzte einprägsame Metaphern und bevorzugte einen schrillen Ton. Das ist eine Rhetorik, die ich persönlich als demagogisch empfinde.
Wie ist die Rolle Zwinglis einzuschätzen? Ein frühes Zentrum des Bauernkriegs war Waldshut, das zwischen Schaffhausen und Basel am Rhein liegt …
… wo man heute nur noch sehr wenig vom Bauernkrieg spürt und kaum Überreste aus dem 16. Jahrhundert findet. Dort gibt es eine Balthasar-Hubmaier-Kirche, die 1951 gegründet wurde, aber sonst ist nicht mehr viel übrig.
Hubmaier war mit Zwingli befreundet und wurde von diesem gewissermassen radikalisiert, ehe er zum Anführer des Waldshuter Aufstands wurde. Zwingli hat sich dann aber ähnlich wie Luther mit den Herren arrangiert?
Man muss aufpassen, wenn man heute aus der Perspektive der abgeschlossenen Konfessionalisierung zurückblickt: 1524 und 1525 waren den Leuten viele Differenzen innerhalb der Reformation noch gar nicht klar, die Bauern wussten nichts von den Streitereien zwischen Luther und Zwingli. Damals wurden die evangelischen Prediger überall noch lutherisch genannt und nicht etwa zwinglianisch. Zwingli war der Sohn eines wohlhabenden Bauern, er verstand die Probleme der Bauern und verwarf ihr Handeln zunächst auch nicht. Einige seiner Anhänger, die ebenfalls die Bauern unterstützten, begannen dann allerdings, die Kindstaufe infrage zu stellen. Auch in diesem Fall war der Bauernkrieg also der Kontext, in dem sich theologische Differenzen ausbildeten und schroffer wurden.
Sie arbeiten in Ihrem Buch heraus, wie wichtig die Idee der «Brüderlichkeit» für die Bauern war. Brüderlichkeit bezieht sich auf die Gleichheit unter Männern. Was war mit den Frauen?
Anfangs dachte ich noch, die Historiker, die behauptet hatten, dass die Frauen nicht sehr aktiv am Bauernkrieg teilgenommen hätten, hätten bloss nicht richtig hingesehen. Leider aber war das nicht so einfach. Nicht dass Frauen gar keine Rolle gespielt hätten. Es gibt interessante Beispiele von Frauen, die sich engagierten: Wir wissen, dass viele bei den Plünderungen dabei waren. Es gab auch Fälle, in denen Bauern in Klöstern eine Art riesiges Picknick veranstalteten: Auch daran waren Frauen beteiligt. In den Bauernhaufen allerdings waren es, so viel wir heute wissen, hauptsächlich Männer, die mitmarschiert sind. Als die Haufen immer grösser wurden, wurde allerdings die Versorgung zum Problem. Haufen mit 6000 Männern zusammenzuhalten, wäre unmöglich gewesen, wenn die Frauen auf den Höfen nicht die Arbeit übernommen hätten.
Also unterstützten sie den Aufstand indirekt.
Nach der Niederschlagung der Bewegung setzten die Herren bei ihren schrecklichen Straftouren oft Frauen unter Druck, damit sie preisgaben, wo sich ihre Männer versteckten. Daraus kann man ablesen, dass aus der Perspektive der Autoritäten die Frauen den Krieg mittrugen.
Letztlich scheiterte der Aufstand, Zehntausende kamen 1525 durch die Truppen der Herren um …
Wenn sie in Haufen zu Tausenden marschierten, standen die Bauern vor dem Problem, dass sie früher oder später gezwungen waren, die Schlacht zu suchen. Das war verhängnisvoll, weil die Herren über berittene Soldaten verfügten. Der Kavallerie konnten sie nichts entgegensetzen. In dem Moment, in dem die Wagenburg der Bauern nicht mehr standhielt, begannen sie, sofort zu fliehen. Die Kavallerie konnte sie dann leicht verfolgen und niedermetzeln: daher die gewaltige Zahl der Toten.
Trotz des blutigen Endes: Gibt es etwas, was vom Bauernkrieg geblieben ist?
Die ihn inspirierenden Ideen wurden in einer Zeit vor der Industrialisierung und der Globalisierung formuliert. Die Welt spürte noch nicht die Folgen des menschengemachten Klimawandels und der Umweltverschmutzung, so wie wir es heute tun. Aber die Menschen damals begannen, die Anfänge dieser Veränderungen wahrzunehmen – wie auch die sozialen Ungleichheiten, die diese mit sich bringen. Sie antworteten darauf im Kontext ihrer Zeit, aber wir können von den Werten lernen, die sie dabei artikulierten: Freiheit, Brüderlichkeit und Respekt vor der Erde und ihren Ressourcen.
Literatur zum Bauernkrieg: Der grossartigste Revolutionsversuch
Auf Deutsch ist Lyndal Ropers Buch «Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525» (S. Fischer, 676 Seiten) bereits im Handel, auf Englisch erscheint es erst im Februar – dann unter dem nicht ganz so nüchternen, aber treffenden Titel «A Summer of Fire and Blood». Dieses Jahr sind bereits mehrere dicke Bücher zum Thema erschienen: «Der Bauernkrieg. Deutschlands grosser Volksaufstand» von Christian Pantle (Propyläen, 336 Seiten), «Der Bauernkrieg. Geschichte einer wilden Handlung» von Gerd Schwerhoff (C. H. Beck, 720 Seiten) sowie «Der Bauernkrieg. Ein Medienereignis» von Thomas Kaufmann (Herder, 544 Seiten).
Einen kürzeren Überblick bietet Peter Blickles Abriss in der Beck’schen Reihe (C. H. Beck, 144 Seiten). Der 2017 verstorbene Blickle zählt zu den wichtigsten westdeutschen Historiker:innen der Aufstände, die er als «Revolution des Gemeinen Mannes» charakterisierte: Die Formel sollte unterstreichen, dass sich nicht nur Bäuer:innen, sondern auch Städter:innen und Bergleute erhoben. Eine wichtige frühe Darstellung stammt von Friedrich Engels, für den der Bauernkrieg der «grossartigste Revolutionsversuch des deutschen Volkes» war. Geschichtsphilosophisch deutete Engels diesen als «frühbürgerliche» Revolution. Der marxistische Philosoph Ernst Bloch, stets die Antennen auf utopische Regungen in der Menschheitsgeschichte gerichtet, veröffentlichte 1921 die Monografie «Thomas Müntzer als Theologe der Revolution».
Literarisch hat das italienische Kollektiv Luther Blissett der radikalen Reformation mit seinem Roman «Q» ein Denkmal gesetzt (Assoziation A, 704 Seiten). 2020 erschien zudem Éric Vuillards «Der Krieg der Armen» (Matthes & Seitz) auf Deutsch: Der französische Schriftsteller stellt dabei Müntzer ins Zentrum, kontextualisiert aber die Aufstände 1524/25 mit früheren bäuerlichen Bewegungen wie etwa derjenigen 1381 in England um den Rebellen Wat Tyler. Der Text des Prix-Goncourt-Preisträgers ist nur 64 Seiten lang, dafür aber umso entschiedener in der Parteinahme für die Aufbegehrenden.