Literatur: Furios gegen die feudalen Herren
Auf knappstem Raum hat der französische Autor Éric Vuillard schon Adolf Hitlers Machtergreifung («Die Tagesordnung») oder den Ausbruch der Französischen Revolution in einem einzigen Tag («14. Juli») prägnant erzählt. Jetzt verdichtet der politisch und literarisch versierte Tausendsassa in «Der Krieg der Armen» das Porträt des ungebärdigen deutschen Theologen und Bauernkriegsanführers Thomas Müntzer (1489–1525) zum Bild einer ganzen Epoche und deren religiöser und sozialer Kämpfe.
Es ist fünfzig Jahre her, seit Werner Düggelin mit der Uraufführung von Dieter Fortes «Martin Luther und Thomas Müntzer» den Sozialrevolutionär Müntzer kritisch gegen den Reformator Luther in Anschlag brachte. Fortes radikale Kritik an Luther – dieser habe zwar die geistliche, nicht aber die weltliche Obrigkeit aus den Angeln gehoben – beschäftigt bis heute. Sprachlich oft radikal und wild, bringt uns Vuillard nun Lebensgier und -kampf dieses Anwalts der Ärmsten in szenischen Vergegenwärtigungen voller Verve und Wucht nahe.
Dabei skizziert er auch die Vorläuferbewegungen wie die Bauernaufstände im England des 14. Jahrhunderts oder den von der Kirche verratenen böhmischen Reformer Jan Hus. Erneut brilliert Vuillard mit atemlos bildstarkem Erzählen, wenn er etwa die Erfindung des Buchdrucks – Voraussetzung der Erhebung des Volkes – als schiere Urgewalt schildert. Gewiss, Thomas Müntzer war ein «Wahnsinniger»: anarchisch, visionär und unerbittlich in der Anklage gegen das Elend im Feudalismus. «Der vornehme Flügel seiner Sympathisanten bekam es mit der Angst zu tun», schreibt Vuillard. «Er redete von einer Welt ohne Privilegien, ohne Besitz, ohne Staat. Er hetzte heftig gegen die Unterdrückung auf.»
Als beklemmende Klammer für diesen hochaktuellen Text fungieren zwei Hinrichtungen: zu Beginn jene von Müntzers Vater – grundlos für den zehnjährigen Thomas – und am Ende seine eigene, nach der gegen die adlige Übermacht verlorenen Schlacht bei Mühlhausen mit 4000 toten Bauern.
Éric Vuillard: Der Krieg der Armen. Aus dem Französischen von Nicola Denis. Verlag Matthes & Seitz. Berlin 2020. 64 Seiten. 28 Franken