Auf allen Kanälen: Kein Gespür für nichts
Die ARD wollte Thilo Mischke gegen alle Widerstände zum Moderator der Kultursendung «ttt» machen. Nach ihrem späten Rückzieher sehen die Verantwortlichen den Fehler überall, nur nicht bei sich selbst.
Am Ende war der Druck zu gross: Anfang Januar verkündete der deutsche Rundfunkverbund ARD, dass Thilo Mischke doch nicht neuer Moderator der Kultursendung «ttt – Titel, Thesen, Temperamente» werde. Was war geschehen?
Kurz vor Weihnachten präsentierte die ARD den Nachfolger des langjährigen Moderators Max Moor. Der preisgekrönte Investigativjournalist Mischke hat sich als Kriegsreporter und mit Reportagen über Rechtsextremismus einen Namen gemacht. Über seine Qualifikationen für eine Kultursendung machte der Sender keine Angaben. Mischke selber stellte sich auf Instagram damit vor, dass sein Kulturbegriff ein «sehr unterkomplexer» sei.
«ttt» gilt als eines der renommiertesten Kulturmagazine des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Die Aufgabe des wöchentlichen Formats: Kultur einem breiten Publikum zu vermitteln, zu analyvsieren und einzuordnen. Es spricht nicht für die ARD-Verantwortlichen, dass sie Mischke trotz dessen «unterkomplexem» Kulturbegriff – oder vielleicht sogar deswegen? – für diesen Prestigejob berufen wollten. Man stelle sich vor, sie hätten jemanden mit einem «unterkomplexen» Verständnis von Ökonomie zum Moderator eines renommierten Wirtschaftsmagazins gemacht.
Kruder Titel, krude Thesen
Doch dass die Personalie so viel Wirbel verursachte, hatte weniger mit Mischkes fehlendem Leistungsausweis als Kulturjournalist zu tun, sondern vor allem mit seinen sexistischen Büchern. «In 80 Frauen um die Welt» (2009) hiess das erste, in dem er von einer Wette berichtet: Wenn er es schafft, mit achtzig Frauen weltweit Sex zu haben, zahlen seine Freunde ihm die Weltreise. Später machte Mischke in Podcasts mit misogynen und nachweislich falschen evolutionsbiologischen Thesen auf sich aufmerksam. So behauptet er, die männliche Sexualität basiere «vielleicht auf Vergewaltigung», er nannte dies etwas «Urmännliches», und der Urmensch sei nur deshalb ausgestorben, weil er Frauen nicht vergewaltigt habe: «Frauen wurden hart wegvergewaltigt in der Urmenschenzeit.» Eine eindrückliche Sammlung solcher Mischke-Zitate stellten Annika Brockschmidt und Rebekka Endler in ihrem Podcast «Feminist Shelf Control» zusammen.
In einem offenen Brief erklärten daraufhin über 150 Autor:innen und Kulturschaffende, dass sie eine Zusammenarbeit mit Mischke als Moderator von «ttt» für sich ausschliessen. Doch auch dann hielt die ARD noch an ihm fest: Mischke, so hiess es, habe sich intensiv und kritisch mit den Vorwürfen auseinandergesetzt und sich von Inhalt und Titel seines Buchs «In 80 Frauen um die Welt» distanziert – als ob die Vorwürfe allein diesem Buch gegolten hätten.
Gegen internen Widerspruch
Rebekka Endler stellte auf uebermedien.de denn auch die zentrale Frage, «ob ein Mann, der im Jahr 2024 zu glauben scheint, dass sexualisierte Gewalt in der Natur des Mannes liege und gewissermassen durch feministische Aufklärungsarbeit wegerzogen werden muss», wirklich geeignet sei, eines der wichtigsten deutschen Kulturmagazine im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu moderieren. Diese Frage scheint man sich bei der ARD gar nie gestellt zu haben: Bis heute bleibt schleierhaft, aus welchen Gründen sich die Chefetage für Mischke entschieden hatte – laut der «Süddeutschen Zeitung» auch gegen wochenlangen internen Widerspruch von Teilen der «ttt»-Redaktion.
Selbst jetzt zeigen sich die ARD-Verantwortlichen nicht einsichtig, wenn sie ihren späten Rückzieher damit begründen, dass die «entstandene heftige Diskussion um die Personalie» die Themen von «ttt» überschatten würde. Nicht der designierte Moderator war also das Problem, sondern die Diskussion über ihn. Ähnlich haarsträubend die Aussagen der Programmdirektorin der ARD, Christine Strobl. Auch sie kritisiert die Diskussionen rund um Mischke und wünscht sich, «dass wir wieder zu einer Form zurückkommen, die nicht eine Debatte unmöglich macht», wie sie der Deutschen Presse-Agentur sagte.
Dabei hat genau das stattgefunden: eine auf Fakten basierende öffentliche Debatte um die fachliche Qualifikation eines Journalisten. Zugespitzt gesagt: Die ARD liess andere – unbezahlt – die notwendige «Eignungsprüfung» des Kandidaten machen, die man selber zuvor unterlassen hatte. Und jetzt beschweren sich die Verantwortlichen auch noch darüber.