Kunst und Verbrechen: Keine Macht dem Täter
Nach Florian Teichtmeisters Kinderpornogeständnis läuft die Debatte um seine Filme heiss. Doch wichtiger als der Umgang mit der Kunst wäre der Umgang mit Menschen – dem Täter wie den Opfern.
Was hat der gefeierte Sisi-Film «Corsage» mit Kinderpornografie zu tun? Auf die baren Umstände reduziert, Folgendes: Florian Teichtmeister, Darsteller des Sisi-Gatten Kaiser Franz Joseph im Film, wird am 8. Februar vor Gericht erscheinen müssen. Die Anklagepunkte: 58 000 Bilder von sexualisierter Gewalt an Kindern auf zahlreichen Festplatten, Speicherkarten, Endgeräten. Der Schauspieler hat via Anwalt ein Geständnis abgelegt. Unter den Bildern finden sich offenbar auch selbst angefertigte obszöne und gewaltgeladene Sprechblasencollagen mit Kindern, die Teichtmeister in Alltagssituationen und auf Filmsets heimlich fotografiert hat; für diese Collagen kann er allerdings juristisch nicht belangt werden.
Fragwürdiger Umgang
Für viele sitzen nun auch Teichtmeisters Filme mit auf der Anklagebank. Nach Bekanntgabe des Schuldeingeständnisses entfernten einige österreichische Kinos «Corsage» aus dem Programm, der öffentlich-rechtliche ORF kippte die Krimireihe «Die Toten von Salzburg», in der Teichtmeister einen Ermittler im Rollstuhl spielt, und alle weiteren Produktionen mit ihm aus der Mediathek. Auch der private Streaminganbieter Sky nahm «Corsage» aus seinem Sortiment. Das wichtigste Theater Österreichs, das Wiener Burgtheater, hat sein viel beschäftigtes Ensemblemitglied fristlos entlassen.
Dass man den geständigen Kinderpornografen nicht mehr auf der Bühne sehen wird: Dagegen gabs öffentlich keine Einwände. Gegen das Wegsperren seiner Filme wehrten sich Kunstschaffende, unter ihnen Elfriede Jelinek und Eva Menasse, in einem offenen Brief. Man solidarisierte sich mit Marie Kreutzer, der Regisseurin von «Corsage», und ihren «Bestrebungen, den Film und ihre Arbeit von den strafbaren und zutiefst zu verurteilenden Handlungen eines Darstellers zu trennen».
Die Wiener Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl wiederum verwies in einem Kommentar auf die rechte Instrumentalisierung des Falls (Stichwort «dekadente, linke Kulturszene») und forderte, dass alle sich zugunsten der Opfer «zurücknehmen» sollten. Für sie klar die wichtigste Frage: «Gibt es überall, wo sich Kinder aufhalten, ernstzunehmende Kinderschutzkonzepte?»
Tatsächlich lässt sich mit Strobls Ansatz eine komplexere Auseinandersetzung anmahnen. Anstatt nun die Filme mit Teichtmeister pauschal zu kriminalisieren, müsste man den Fokus auf den teils fragwürdigen Umgang mit dem Täter und den Opfern legen. Dazu gehört, dass man, spätestens seit Teichtmeisters Freundin im August 2021 die Polizei gerufen hatte – wegen kinderpornografischer Bilder, die sie auf seinem Handy gefunden hatte, aber auch wegen häuslicher Gewalt und exzessiven Kokainkonsums –, im Umgang mit ihm hätte vorsichtiger sein müssen. Sein Name durfte damals aus juristischen Gründen nicht öffentlich genannt werden. Doch zumindest in Film- und Theaterkreisen hätten alle gewusst, wer der «preisgekrönte Schauspieler» im Visier der polizeilichen Ermittlungen war, heisst es heute.
Es galt die Unschuldsvermutung. Trotzdem mutet es heute seltsam an, dass fast alle Teichtmeisters Beteuerungen, es sei nichts dran an den Vorwürfen, sie seien eine Racheaktion seiner Exfreundin, geglaubt und den ungeheuren Verdacht einfach weggewischt haben. Wenn man sich schon gutgläubig auf die informellen Auskünfte des Schauspielers abstützte, hätte man auch einmal mit seiner Exfreundin reden können. Noch seltsamer: Der Direktor des Burgtheaters, Martin Kušej, wusste von den Ermittlungen gegen sein Ensemblemitglied. Solange die Unschuldsvermutung galt, liess er Teichtmeister weiterspielen. Aber warum ausgerechnet in der Rolle eines schlingernden Schauspielers, der unter anderem deshalb Probleme kriegt, weil er Sex mit einer Sechzehnjährigen hat? Noch unverständlicher: dass Teichtmeister weiterhin auf Filmsets mit Kindern beschäftigt wurde.
Abkürzung Giftschrank
Nochmals anders liegt der Fall bei seinem Auftritt im Film «Corsage», Marie Kreutzers feiner feministischer Auseinandersetzung mit der Kaiserin Sisi. «Corsage» war bereits abgedreht, als 2021 die Ermittlungen begannen. Teichtmeister trat danach noch an einzelnen Premierenfeiern auf. In Interviews hat Kreutzer angemahnt, der Schauspieler sei «einer von mehreren Hundert Mitarbeitern»: «Wir würden ihm eine ungeheure Macht geben, wenn wir sagen, man kann diesen Film nicht mehr sehen.» Einen Film reflexartig aus dem Verkehr zu ziehen, ist tatsächlich viel einfacher, als einen reflektierten Umgang mit potenziell straffälligen Menschen zu finden – und ihre potenziellen Opfer zu schützen.
Mit derselben Konsequenz dürfte man auch keine Filme des verurteilten Vergewaltigers Harvey Weinstein mehr zeigen, keine Songs des mutmasslichen Kinderschänders Michael Jackson mehr spielen, keine Bilder des verurteilten Mörders Caravaggio aufhängen. Kunst zu canceln, ist eine vornehmlich symbolische Geste, Verantwortung zu übernehmen, ist komplizierter. Statt der einfachen Abkürzung mit dem Giftschrank wäre die schwierige «Gratwanderung» anzugehen, «die Opfer zu schützen, die Täter nicht zu schonen und dennoch die Arbeit vieler Unbeteiligter nicht in Kollektivhaftung zu nehmen», wie es im offenen Brief heisst und wie auch Strobl argumentiert. Denn letztlich lautet die Antwort auf die Frage, was ein Film wie «Corsage» mit Kinderpornografie zu tun hat: Nichts.