Literatur: Die nächste Generation zieht weiter

Tash Aw liest in: Zürich Literaturhaus, Di, 14. Januar 2025, 19.30 Uhr. www.literaturhaus.ch
Die Vorfahr:innen entfliehen der Armut und erhoffen sich ein besseres Leben, die Nachkomm:innen ziehen weiter und schreiben darüber, so wie der malaysische Autor Tash Aw. Gleich zu Beginn von «Fremde am Pier» beschreibt er, wie rasch er sich überall einfügt, wie seine Identität östlich von Indien geradezu elastisch wird. Südostasien skizziert er als faszinierenden Kulturraum mit einer gleichsam schmerzlichen Migrationsgeschichte.
Als Tash Aw in England studiert und sich seine Kommiliton:innen mit britischem Understatement stolz über ihre Vorfahr:innen unterhalten, fällt ihm noch nicht einmal ein, wo seine Grossmutter aufgewachsen ist. Er beginnt zu suchen und setzt Puzzleteile aus Erzähltem, Verdrängtem und Verschwiegenem zusammen. Denn für die Vergangenheit hat man sich nicht zu interessieren. Zwar wird den Ahn:innen geopfert, an Hausaltären, auf denen ihre Porträts stehen – aber ihre Geschichte wird nicht erzählt.
Eine pragmatische Lebenshaltung? Nein, sagt der Vater des Autors, sie schwiegen aus Scham und auch aus Dankbarkeit, er sehe doch selbst, wie weit sie es gebracht hätten! Der materielle Komfort bietet Trost und Absolution zugleich, denn Armut bedeutet Schwäche, Abhängigkeit, Unterdrückung. «Du musst beweisen, dass du fleissig und wertvoll für die Gesellschaft bist, allerdings nicht so übertrieben, dass du zu einer Bedrohung wirst, deshalb lenk die Aufmerksamkeit lieber von dir ab.»
Doch schon die nächste Generation zieht weiter, und auf einmal trennen Geld, Klasse und ein schlechtes Gewissen sie von ihren Angehörigen, deren einziges Ziel im Leben es doch war, dass die Kinder nie in dieselbe schmachvolle Lage geraten. Dafür wurden Opfer in Kauf genommen, jahrelange Trennungen, emotionale Entbehrungen, Entfremdung und Zerrissenheit als Folge von arbeitsnotwendiger Flexibilität und sozialer Mobilität. Je mehr «chiku», je mehr Bitterkeit eine isst, desto mehr wird sie dafür bewundert – wie die Mutter des Autors, die spät im Leben Whisky aus Teegläsern trinkt, um sich endlich ein gutes Leben zu gönnen.