Pop: Das Leuchten im Dickicht

Das digitalisierte Leben liegt ausgeschüttet auf dem Boden. Wie weiter? «Seed of a Seed», Haley Heynderickx’ zweites Album nach dem Debüt vor sechs Jahren, sortiert es frisch. Die Singer-Songwriterin aus Portland beschreibt darauf ihre Suche nach einem Gegenraum zum ständigen Onlinesein.
Die Sehnsucht zieht nach draussen. Warm, holzig wirkt der Sound – geprägt von gezupften Gitarren und Heynderickx’ besorgt-dringlichem Gesang. Es eröffnet sich eine Landschaft, durch die die Songs mal streifen, dann galoppieren. Cello, Violine, Posaune und raschelnde Drums lösen einander ab. Klingt sanft, doch unter der Rinde kracht es bitter: In «Mouth of a Flower» erzählt Heynderickx von Gier, in «Spit in the Sink» von ständiger Erschöpfung, und in «Redwoods» ist das Ökosystem so zerstört, dass die Käfer das Gespräch verweigern. Es könnte beklemmend sein, dieses Album, aber da ist ein Leuchten im Dickicht. Bei allem Kummer, der in diesen Songs hörbar wird, scheinen «Sorry Fahey» und «Seed of a Seed» auch einen Weg zu bahnen, wo Glück wieder möglich ist. Eines, das tröstet – ein Anruf bei einem lieben Menschen, eine Tasse Tee oder eine Hand, die neben der eigenen liegt.
Die Songs fahren den Wänden zwischen dem digitalisierten Alltag und der Natur nach. Seltsam fremd wirkt diese jetzt, aber doch freundlich. Könnte man wieder in Kontakt kommen? Heynderickx lässt Melodien in unerwartete Richtungen schwenken, und Humor durchströmt ihre Texte: In «Gemini» fordert eine andere Version ihrer selbst (eine, die die Handysucht überwunden hat) sie dazu auf, die Aufmerksamkeit umzulenken – sie solle doch, sagt die Frau in der Ecke, verdammt noch mal anhalten, um sich den lila Klee am Strassenrand anzuschauen.
Das Album ist hektisch, dann wieder geduldig, holt Luft im Wald – eine intensive Lebendigkeit, der man rasch erliegt. «Seed of a Seed» erinnert daran, dass Bildschirme Verbindung versprechen, jene zur Natur dafür aber schnell aus dem Blickfeld gerät. Also: den Bezug nicht versickern lassen und schauen, was wachsen möchte.