Pop: Sanft verwildern

Während die Welt ihre Runden dreht, hält Zsela inne und hebelt die Zeit aus. Nach der EP «Ache of Victory» (2020) liess die US-Songwriterin ihr Debütalbum «Big for You» über vier Jahre hinweg entstehen – mit dem Vorhaben, wenig zu steuern, sondern eine Leichtigkeit im Sound zu bewahren, einen Sinn fürs Unkontrollierte. Die Musik sollte wild wachsen.
Entstanden sind zehn Songs, die die Fäden von aktuellem R ’n’ B mal mit elektronischen Elementen und Perkussion, mal mit akustischen Gitarren oder Streichern zusammenführen, auch Anleihen an Folk und Art Pop sind zu hören. Die Instrumentierung bleibt reduziert, das Tempo meist ruhig – und trotzdem klingt das über weite Strecken erstaunlich glühend und lebhaft.
Zuzuschreiben ist das Zselas dunkel schimmernder Stimme, die im Vordergrund steht. Sie experimentiert mit ihr, durchflutet sie erst mit Wärme, dann wieder klingt sie hypnotisch, fast geisterhaft – Zselas markantes Timbre überzieht die Songs wie Salzkaramell.
Inhaltlich widmet sich «Big for You» den Zwischenräumen der Liebe: Wieso verletze ich Menschen, die mir nahestehen? Wieso hat sich das Verliebtsein verflüchtigt? Antworten liefert Zsela keine. Vielmehr ist es die Lust am Ungewissen, am Prozess, die ihr Album prägt: Im Opener «Lily of the Nile» singt sie davon, mit einer Braut vor deren Trauung abzuhauen. «Fire Excape» erzählt von brausender Verknalltheit, «Brand New» vom Scheitern und Bereuen. In «Easy St.» experimentiert Zsela mit Spoken-Word-Poesie, in «Moth Dance» spielt sie mit den Zähnen ein Gitarrensolo.
Alles hier ist lange gereift und beim Hören doch erfrischend, auch dank Brüchen: Plötzlich wandelt sich das erst zurückhaltende Arrangement zur rauschenden Klangwand, oder der Sound verschwindet für einen kurzen Moment ganz. «Big for You» gleicht einer Suchbewegung: Während die Gefühle irrlichtern, verweilt die Uneindeutigkeit. Und dann? Spüren und warten, was als Nächstes kommt. Vorhersehbar ist hier nichts.