Klimapolitik: Vorbild oder Schummlerin?
Im Februar müssen Mitgliedstaaten des Pariser Abkommens ihre neuen Klimaziele eingeben. Die Schweiz zeigte sich bisher wenig ambitioniert.
Der Termin ist von globaler Bedeutung, immerhin werden die nächsten Schritte im Kampf gegen die Klimakatastrophe festgelegt – doch hat ihn kaum jemand auf dem Schirm. Im Februar 2025 müssen alle Länder, die das Pariser Abkommen unterzeichnet haben, bei der Uno ihre neuen Klimaziele zur Verminderung von Treibhausgasemissionen einreichen – auch die Schweiz.
In der Sprache der Klimapolitik heissen diese Ziele «national festgelegte Reduktionsziele» oder englisch abgekürzt: NDCs. In der Schweiz ist bei deren Festlegung der Bundesrat federführend. Die aktuellen NDCs beinhalten das Ziel, die Schweizer Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 50 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Die NDCs müssen alle fünf Jahre aktualisiert werden und sind so etwas wie das Herzstück des Pariser Abkommens – und gleichzeitig dessen grösster Stolperstein.
Denn «Paris» legt nicht fest, wie stark welches Land seinen CO₂-Ausstoss reduzieren muss. Das bestimmen die Länder in ihren NDCs selbst. Das Klimaabkommen funktioniert also wie eine Hutkollekte nach einem Konzert: Alle dürfen so viel reinschmeissen, wie sie für angebracht halten. Dass dabei genug zusammenkommt, damit die Band davon leben kann, oder eben genug, um die Lebensgrundlagen der Menschheit nicht vollends zu zerstören, wird der Hoffnung überlassen. Das war der einzig mögliche Konsens, dem 2015 in Paris alle teilnehmenden Staaten zustimmen wollten.
Importierte Emissionen
Komplett frei von Regeln ist das Abkommen dennoch nicht. Es gilt der Grundsatz der «gemeinsamen, aber unterschiedlichen» Verantwortung. Demnach sind zwar alle Länder gemeinsam für die Klimakrise verantwortlich, aber nicht alle im selben Ausmass. Je mehr Klimagase ein Land ausgestossen hat und je besser es finanziell gestellt ist, desto mehr soll es beisteuern. Die äusserst reiche Schweiz müsste also entsprechend ambitionierte Klimaziele definieren. Tut sie bisher aber nicht.
Mit 4,8 Tonnen Treibhausgasen pro Kopf und Jahr liege die Schweiz unter dem Weltdurchschnitt, liest man in den aktuell noch gültigen NDCs der Schweiz. Laut der Website des Bundesamts für Umwelt (Bafu) belaufen sich die jährlichen Pro-Kopf-Emissionen hierzulande jedoch auf 13 Tonnen. Zwei Werte, die dermassen weit auseinanderliegen: Wie kann das sein?
Es gibt mehrere Möglichkeiten, den CO₂-Ausstoss eines Landes zu berechnen. So kann man sich beispielsweise an den insgesamt auf seinem Territorium ausgestossenen Treibhausgasen orientieren oder etwa daran, wie viel CO₂ seine Bevölkerung mit ihrem Konsum verursacht. In vielen Ländern liegen diese zwei Werte relativ nahe beieinander. Nicht so in der Schweiz: All die importierten Handys, T-Shirts und getrockneten Papayas, die wir konsumieren, führen irgendwo ausserhalb der Schweiz zu Emissionen. Nur eine Handvoll andere Länder verursachen mit ihrem Konsum pro Person mehr Emissionen im Ausland.
Die Berechnungsmethode, die im Rahmen des Pariser Klimaabkommens angewendet wird, basiert auf den «Territorialemissionen». Mit einschneidenden Folgen: Nicht nur die Schweizer Klimaziele, sondern auch die hiesigen Klimagesetze beziehen sich grundsätzlich nur auf jene Emissionen, die auf Schweizer Boden entstehen. Damit wird mehr als die Hälfte der Treibhausgasemissionen ignoriert, die der Konsum der Bevölkerung verursacht. Diese nicht adressierten «Importemissionen» sind das vielleicht grösste Loch in der Schweizer Klimaschutzgesetzgebung.
Das ist nur schwerlich mit dem Grundsatz der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung zu vereinbaren. Dieser Meinung ist auch Cyril Brunner: «Die territorialen Emissionen als ersten Ausgangspunkt zu nehmen, ergibt durchaus Sinn, weil es eine relativ einfach zugängliche Grösse ist», sagt der ETH-Klimaforscher. Gleichzeitig müsse den Ländern aber bewusst sein, dass die Territorialemissionen nur eine erste Annäherung sein können. «Damit es global realistischerweise aufgeht, muss man sich in einem zweiten Schritt fragen, wie man von den nationalen Emissionen zu einer fairen globalen Verteilung der Verantwortung kommt.» Hier spielen laut Brunner verschiedene Faktoren eine Rolle: Wie viel hat ein Land in der Vergangenheit ausgestossen? Wie wohlhabend ist es? Aber eben auch: Wie viele Emissionen verursacht es durch seinen Import im Ausland?
Sonderweg über Artikel 6
Immer wieder ist in den Medien von Schweizer Klimaschutzprogrammen im Ausland die Rede. In Georgien wird altes Frittieröl zu Biodiesel gemacht, in Thailand die Umstellung auf E-Busse unterstützt, und in Ghana werden effizientere Kochöfen verteilt. Übernimmt die Schweiz durch die Finanzierung solcher Projekte nicht Verantwortung für die vielen von uns im Ausland verursachten Emissionen?
Nein, im Gegenteil. Dass die Schweiz ärmere Länder bei der Dekarbonisierung unterstützt, ist zwar grundsätzlich zu begrüssen. Nicht aber, dass sie die im Ausland reduzierten Treibhausgastonnen einfach mit den erwähnten 4,8 Inlandtonnen pro Kopf verrechnet. Die reiche Schweiz erkauft sich damit die Möglichkeit, ihre im Inland verursachten Emissionen weit weniger stark zu reduzieren, als es nötig wäre. Und sie schlägt hier im europäischen Vergleich einmal mehr einen Sonderweg ein: EU-Staaten müssen all ihre Reduktionen auf dem eigenen Territorium umsetzen.
Der Emissionshandel zwischen den einzelnen Ländern ist im Pariser Klimaabkommen in Artikel 6 geregelt und wurde nach gut zehn Jahren an der COP29 in Baku letzten November endlich zu Ende verhandelt (siehe WOZ Nr. 45/24). Die NGO Carbon Market Watch schreibt dazu: «Die erzielte Einigung über die Kohlenstoffmärkte nach Artikel 6 birgt die Gefahr, Cowboymärkte zu einem Zeitpunkt zu erleichtern, an dem die Welt einen Sheriff braucht.»
Das Bafu liess in einer Medienmitteilung zum Abschluss der Konferenz hingegen verlauten: «An der COP29 konnten weiter griffige Umsetzungsregeln für den weltweiten Marktmechanismus verabschiedet werden.» Die Einschätzungen könnten kaum unterschiedlicher sein.
Kuriose Formen
Für die Einordnung der im Februar erwarteten Schweizer NDCs ist auch noch etwas anderes entscheidend: Das Pariser Abkommen enthält einen Mechanismus, der vorschreibt, dass die neuen Klimaziele im Vergleich zu den vorherigen immer ambitionierter sein müssen. Das kann mitunter kuriose Formen annehmen. In einer älteren Version der Schweizer NDCs wird beispielsweise folgender Fortschritt angepriesen: Neu werde man bis 2030 nicht mehr nur eine Treibhausgasreduktion von fünfzig Prozent anstreben, sondern von «mindestens» fünfzig Prozent.
Man darf gespannt sein, was die neuen NDCs beinhalten werden. Die zuletzt beschlossene Aufhebung der Nachtzugförderung und die schleppende Umsetzung des neuen Klimaschutzgesetzes tragen gerade nicht zu Emissionsreduktionen bei. Ausserdem betrifft das umfassende Sparprogramm, dass der Bundesrat voraussichtlich Ende Januar in die Vernehmlassung schicken wird, auch den Klimaschutz. Es dürfte für den Bundesrat also nicht leicht werden, ambitioniertere und verantwortungsvolle NDCs zu formulieren.
Der Beitrag erscheint zeitgleich in einer längeren Version beim Onlinemagazin «das Lamm».