Klimapolitik: 2038 muss das Benzin verschwunden sein

Nr. 45 –

Ist die Schweiz nicht viel zu klein, um effizient Klimaschutz zu betreiben? Nein: Alles eingerechnet, gehört sie zu den grössten Klimasündern der Welt.

Klimasünderin Hello Kitty: Durch Import von Konsumgütern (hier Handyhüllen in Bern) und Dreckstrom verursacht die Schweiz jährlich 110 Millionen Tonnen CO2-Ausstoss. Foto: Paul Mayall, Alamy

Am letzten Sonntag – kaum jemand hats gemerkt – ist das Pariser Klimaabkommen auch hierzulande in Kraft getreten. Damit verpflichtet sich die Schweiz, in den nächsten Jahrzehnten mit dem Verbrennen fossiler Energieträger aufzuhören: Nur so lässt sich das 2015 in Paris formulierte Ziel erreichen, die globale Erwärmung unter zwei Grad zu halten. Wie sich das Ziel umsetzen lässt, wird an der Klimakonferenz in Bonn diskutiert, die am Montag begonnen hat.

Die kleine Schweiz – auf die kommt es doch nicht an! So lassen sich die Inserate zusammenfassen, die die Erdölvereinigung kürzlich in verschiedenen Zeitungen schaltete. Unter dem Titel «Schweizer Anteil beim CO2-Ausstoss unterschreitet die Promillegrenze» prangert sie den «in Klimafragen allseits gegenwärtigen Alarmismus» an. Der CO2-Ausstoss durch Brenn- und Treibstoffe habe in der Schweiz letztes Jahr 33,85 Millionen Tonnen betragen: «Das ist ziemlich genau tausend Mal weniger als der weltweite CO2-Ausstoss, was zu einer Betrachtungsweise unter einem erweiterten, globalen Blickwinkel einlädt.»

Die Botschaft des Inserats: Was wir in der Schweiz tun, spielt ohnehin keine Rolle. Beim Betrachten von Statistiken kann man zu ähnlichen Schlüssen kommen: Der Pro-Kopf-Ausstoss in China hat bereits jenen in der Schweiz überholt.

Doch wer die Rolle der Schweiz in der Welt genauer analysiert, kommt auf andere Zahlen. Dramatisch andere.

Die Schweiz auf Platz sechs

Um beim Kleinen zu beginnen: Die Zahl der Erdölvereinigung ist unvollständig. Bei den knapp 34 Millionen Tonnen CO2 oder CO2-Äquivalenten (vgl. «Treibhausgase» im Anschluss an diesen Text) fehlen die Emissionen aus industriellen Prozessen, etwa der Zementherstellung, und aus der Landwirtschaft. Rechnet man sie ein, ist man laut Bundesamt für Umwelt (Bafu) schon bei fast 50 Millionen Tonnen. Mit dem internationalen Flugverkehr, den die Schweiz verantwortet (und der in den Klimaverhandlungen absurderweise keine Rolle spielt), kommen je nach Berechnung noch einmal 5 bis 10 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente dazu.

Und was geschieht, wenn auch die globalen Aktivitäten der Schweizer Wirtschaft berücksichtigt werden? «Der Schweizer Finanzplatz finanziert Emissionen im Umfang von 1100 Millionen Tonnen CO2 mit», sagt Klimaexperte Patrick Hofstetter vom WWF Schweiz. «Damit steht die Schweiz ungefähr auf Platz sechs der Länder mit den höchsten Emissionen – hinter China, den USA, Indien, Russland und Japan.» Denn Schweizer Banken, Versicherungen und Pensionskassen investieren im grossen Stil in Firmen, die zum Beispiel den Bau von Ölpipelines vorantreiben (siehe WOZ Nr. 41/2017 ).

Die Klimaallianz, der Zusammenschluss der klimapolitisch aktiven Schweizer NGOs, listet weitere Emissionsquellen der Schweiz auf, etwa die Importe von Konsumgütern und Dreckstrom: rund 110 Millionen Tonnen CO2.

Natürlich sei dieser Platz sechs eine unsichere Grösse, sagt Hofstetter. Man kenne ja die entsprechenden Zahlen der anderen Länder nicht. «Aber keiner der grossen Staaten hat einen ähnlich überdimensionierten Finanzsektor wie die Schweiz und investiert im Vergleich zu seiner Grösse so viel im Ausland. Darum halte ich Platz sechs für realistisch.» Allenfalls kämen Finanzplätze wie Luxemburg oder Singapur auf ähnliche Ränge wie die Schweiz.

«Wir haben diese Berechnungen nicht gemacht, um die Schweiz möglichst schlecht dastehen zu lassen», betont Hofstetter. «Sondern um zu zeigen, dass wir grosse Hebel haben, um etwas zu verändern.» Sprich: Wenn die SchweizerInnen ihren verschwenderischen Konsum beschränken und dafür sorgen würden, dass ihr Geld nicht mehr klimaschädlich investiert ist, hätte das einen Einfluss weit über die engen Landesgrenzen hinaus.

Nun gut: Die Schweiz will sich ja im Ausland engagieren. Offiziell hat sie sich das Ziel gesetzt, 2030 noch halb so viele Treibhausgase auszustossen wie 1990. Dreissig Prozent sollen in der Schweiz eingespart, zwanzig Prozent im Ausland kompensiert werden.

Die Idee hinter der Kompensation: Die Schweiz unterstützt ärmere Länder bei der Reduktion ihrer Emissionen. Sie könnte zum Beispiel in Indien ein Solarkraftwerk finanzieren, das ein Kohlekraftwerk ersetzt. Weil die Schweiz bezahlt, erhält sie – und nicht Indien – die eingesparten Emissionen gutgeschrieben. In ärmeren Ländern lasse sich mit gleich viel Geld mehr erreichen als in der Schweiz, so das Argument. Tönt logisch. Die Erdölvereinigung träumt sogar von einer reinen Auslandklimapolitik: «Wirkungsvoller und glaubwürdiger Klimaschutz kommt ohne Massnahmen im Inland aus.»

Es gibt kein Ausland mehr

Doch diese Art von Auslandengagement hat nichts mit dem zu tun, was die Klimaallianz fordert. «Die Kompensation im Ausland schafft perverse Anreize», sagt Patrick Hofstetter. «Global gesehen verlangsamt sie den Ausstieg aus den fossilen Energien. Ein Schwellenland könnte sich zum Beispiel wie die Schweiz verpflichten, bis 2030 die Emissionen um fünfzig Prozent zu reduzieren. Wenn es aber lukrative Angebote aus der Schweiz bekommt, reduziert es vielleicht nur dreissig Prozent und verkauft den Rest der Reduktionen an die Schweiz. Man darf die Reduktionen ja nicht beiden Ländern anrechnen. Aber – das kommt dann noch dazu – die Gefahr besteht, dass es trotzdem geschieht.»

Und vor allem: Wer auf Kompensationen im Ausland setzt, hat das Pariser Abkommen nicht begriffen. Laut Paris müssen die Emissionen aus fossilen Energieträgern spätestens in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf null sinken. Kein Öl, kein Gas, keine Kohle darf dann mehr verbrannt werden. Das betrifft alle Länder – da gibt es kein Ausland mehr, in dem man kompensieren kann. Trotzdem sind Kompensationen laut dem Abkommen noch möglich. Ein Widerspruch, sagt Hofstetter. «Die Schweiz hat in Paris stark dafür lobbyiert, dass das drinbleibt. Es ist ein alter Traum von Bundesrätin Doris Leuthard, die Schweiz auf dem Papier klimaneutral zu machen.»

Die Klimaallianz fordert: Die Schweiz muss sich im Ausland engagieren – aber nicht als Kompensation, sondern zusätzlich zu den nötigen Reduktionen im Inland. «Bei beidem reicht das, was die Schweiz tut, bei weitem nicht», kritisiert Hofstetter. Das gelte auch, wenn man nur mit den offiziellen Emissionen rechne, also Finanzsektor und Importgüter nicht anschaue: «Die Schweiz will ihre Emissionen im Inland um ein Prozent jährlich reduzieren. Um Paris-kompatibel zu sein, müssten es aber vier Prozent sein.»

Alle Länder müssen reduzieren – aber wie schnell? Das ist keine technische Frage, sondern eine der globalen Gerechtigkeit. Denn es sind die reichen Länder des Nordens, die die globale Erwärmung zu verantworten haben. Rechnet man die historische Klimaschuld mit ein, haben die Entwicklungs- und Schwellenländer in den nächsten Jahren mehr Emissionen zugute, das CO2-Budget des Nordens schrumpft entsprechend. Der WWF hat ausgerechnet: Sogar wenn man die historische Verantwortung erst ab 1990 berücksichtigt, ist das CO2-Budget der Schweiz bereits 2038 aufgebraucht. In zwanzig Jahren muss also die letzte Ölheizung, der letzte Benzinmotor, das letzte Flugzeug aus diesem Land verschwunden sein.

Noch vor Ende Jahr soll die Botschaft zum revidierten CO2-Gesetz vorliegen. Dann wird sich zeigen, ob der Bundesrat verstanden hat, wozu er sich in Paris verpflichtet hat.

Treibhausgase

Nicht nur Kohlendioxid (CO2), das bei allen Verbrennungsprozessen frei wird, heizt das Klima an. Weitere Treibhausgase sind Methan, das zum Beispiel in Wiederkäuermägen entsteht, Lachgas (unter anderem aus Kunstdünger) und synthetische Gase wie FCKW. Um einfacher vergleichen zu können, werden die anderen Gase ihrer Klimawirkung entsprechend in CO2-Äquivalente umgerechnet.