Nigel Farage und Reform UK: Rechte Starqualitäten

Nr. 3 –

Die britische Rechtsaussenpartei Reform UK hat derzeit Rückenwind und macht den Tories zunehmend Konkurrenz. Der Aufstieg hat viele Gründe – unter anderem die Entwicklungen in den USA.

Der Abend beginnt mit einer gewagten Behauptung. «Wir sind nicht die radikale Rechte», ruft Lee Anderson, Abgeordneter für die Partei Reform UK, in den Saal. «Wir sind bloss anständige, hart arbeitende Patrioten.» Dann beginnt er, das ganze Programm der neuen Rechten abzuspulen, von Klimabagatellisierung bis Hetze gegen Migrant:innen.

«Wir sollten uns niemals für unsere Geschichte und unsere Kultur entschuldigen», sagt er. «Und wer sie nicht respektiert, soll abhauen.» Tosender Applaus. «Netto null – was für ein Haufen Mist!» Gelächter. «Ich will diese Migranten nicht in meinem Land!» Zustimmendes Gegröle. Er schimpft auf die BBC und erklärt, dass er niemals die Rundfunkgebühren zahlen werde. Als Beweis für seine Entschlossenheit zieht er einen roten Mahnbrief aus seiner Tasche und zerreisst ihn. Das Publikum ist begeistert.

Der Anlass findet im «Athena» statt, einer Konzerthalle im Zentrum von Leicester, einer mittelgrossen Stadt in den englischen Midlands. Es ist die erste Parteikonferenz von Reform UK in diesem Jahr. Die Stimmung unter den etwa tausend Parteigänger:innen ist ekstatisch. Aus gutem Grund: Reform UK ist derzeit im Hoch.

Seit den Parlamentswahlen im Juli, als die Rechtsaussenpartei unter der Führung von Nigel Farage mehr als vier Millionen Stimmen und 14,3 Prozent Wähler:innenanteil gewann, geht es nur bergauf. Die Umfragewerte sind weiter nach oben geklettert, Reform liegt derzeit bei 25 Prozent (die Tories sind bei 22, Labour bei 26 Prozent). Gleichzeitig hat die Partei in den vergangenen Monaten Tausende Neumitglieder gewonnen. Laut eigener Aussage zählt Reform heute 180 000 Mitglieder – deutlich mehr als die Konservativen. «Wir sind jetzt die offizielle Opposition», sagte Farage gegen Ende letzten Jahres.

Zahlungskräftige Neumitglieder

Dass die radikale Rechte auf ihrem letztjährigen Wahlerfolg aufbauen kann, hat mehrere Gründe. Zum einen sitzen nunmehr fünf Reform-Abgeordnete im Unterhaus und haben so eine prominente Bühne für ihre Hetzerei. Allen voran Farage, der wohl effektivste Demagoge des Landes.

Am Event in Leicester wird er empfangen wie ein Rockstar. Unter begeistertem Applaus schreitet er den Mittelgang hinunter zur Bühne, schüttelt Hände und tritt dann aufs Podest, begleitet von sprühender Pyrotechnik. Die Standing Ovations dauern fünf Minuten.

Auch den Einsatz sozialer Medien versteht Farage besser als die anderen britischen Politiker:innen. Seine kurzen, spontanen Videos auf Instagram werden tausendfach geteilt, auf Tiktok hat er 1,1 Millionen Follower:innen.

Seine Starqualitäten kann Farage allerdings nur entfalten, weil er kräftige Unterstützung durch die etablierten Medien erhält. Bei jeder Gelegenheit wird er zu Radio- oder Fernsehinterviews eingeladen, immer wieder auch von der BBC, die er eigentlich verachtet. Viele rechtslastige Medien dienen den Reform-Leuten als Tribüne. Der «Daily Telegraph» beispielsweise, vormals ein altbackenes, aber angesehenes Tory-Blatt, driftet immer weiter in Richtung rechter Boulevardpresse ab und fällt durch Reform-freundliche Berichterstattung auf. Noch wichtiger für die Partei ist GB News. Der rechte Fernsehkanal – manche nennen ihn das britische Äquivalent zum rechtspopulistischen US-Sender Fox News – ist zwar erst wenige Jahre alt, übt aber einen zunehmend prägenden Einfluss auf die Debatten in Westminster aus. Nigel Farage hat dort sogar seine eigene wöchentliche Sendung.

Ein weiterer Grund für den Vormarsch von Reform UK liegt in ihrer Professionalisierung. Derzeit werden die Parteistrukturen ausgebaut, im ganzen Land entstehen Lokalverbände, Tausende Basisaktivist:innen wurden in den vergangenen Monaten rekrutiert. Unter den Neumitgliedern finden sich auch einige sehr zahlungskräftige Individuen. Der Immobilientycoon und Milliardär Nick Candy, ehemaliger Tory-Geldgeber, wurde im Dezember zum Reform-Schatzmeister ernannt. Er hat der Partei eine siebenstellige Summe versprochen und gibt sich zuversichtlich, mehrere seiner Milliardärskollegen zu einer Spende überreden zu können.

Am eigenen Ast gesägt

Auch die Schwäche der Tories gibt Reform Auftrieb. Erhebungen zeigen, dass die Neumitglieder von Farages Partei vornehmlich ehemalige Tories sind. Die Konservativen haben dies ein Stück weit selbst verschuldet: Seit Jahren bewegen sie sich immer weiter in Richtung Rechtspopulismus und beackern dasselbe Terrain wie Reform – womit sie aber gerade der rechten Konkurrenz mehr Legitimation verschafft haben.

Nicht zu unterschätzen ist schliesslich der internationale Kontext: Die Rückkehr Donald Trumps als US-Präsident hat bei der britischen Rechten Begeisterung ausgelöst. Der rechte Akademiker und Reform-Anhänger Matthew Goodwin sagt in Leicester explizit, dass Trumps Programm als Blaupause für Grossbritannien dienen könne. Sollte in einigen Jahren der Vorwurf erhoben werden, illegale Migranten könnten nicht deportiert werden, die «woke Ideologie» lasse sich nicht aus den Institutionen verbannen oder der «deep state» sei nicht zu bezwingen, dann gebe es eine klare Antwort: «Donald Trump hat es geschafft.»