Auf allen Kanälen: Wenn Medien hetzen
In Grossbritannien wächst eine rechtsextreme Strassenbewegung heran, und das hat auch mit der willfährigen medialen Berichterstattung zu tun.
Vor einigen Wochen sagte Nigel Farage, dass er 600 000 Asylsuchende abschieben werde, wenn seine Partei Reform UK die nächsten Wahlen gewinne. «Und wer in ein Land zurückgeschickt wird, wo Folter oder Tod drohen?», fragte ein Journalist an der Pressekonferenz. Eigentlich egal, so der Rechtsaussenpolitiker: «Die britischen Bürger gehen vor.»
Die «Daily Mail» war begeistert. «Endlich ein Politiker, der es kapiert», stand am folgenden Tag auf der Frontseite des rechtskonservativen Blatts. Der «Daily Telegraph» druckte den Kommentar eines führenden Tory-Politikers ab, der schrieb, das Prinzip der Massendeportation sei gut, aber dem Plan von Reform UK fehlten die Details. Die öffentlich-rechtliche BBC fragte sich unterdessen: «Wie umsetzbar sind die Migrationspläne von Reform?»
So funktioniert die Normalisierung der radikalen Rechten. Ein Plan, der nach allen objektiven Kriterien grotesk und unmenschlich ist, wird behandelt, als sei er so plausibel wie eine Steuerreform. Manche freuen sich, andere debattieren Pro und Kontra oder klopfen die Idee auf Praktikabilität ab – der normale Politbetrieb eben. So sorgen weite Teile der britischen Medienlandschaft dafür, dass eine Partei am radikal-rechten Rand sukzessive als respektable politische Kraft legitimiert wird.
Farage überall
Derzeit ist Reform UK laut Umfragen die stärkste Partei in Grossbritannien. Gleichzeitig ist eine extremistische Strassenbewegung gewachsen, vorläufiger Höhepunkt war Mitte September die grösste rechtsradikale Demonstration in der britischen Geschichte. Die etablierten Medien, die in Grossbritannien überwiegend dem rechten Spektrum zugehören, haben diese Entwicklung in ihrer Berichterstattung nicht einfach widerspiegelt – sie haben sie mitverursacht.
In den vergangenen Jahren sei ein «Ökosystem» entstanden, das rechtes Gedankengut gefördert habe, schreibt die antirassistische Kampagne Hope not Hate. Besonders einflussreich ist der 2021 gegründete Sender GB News, der unzählige rechtskonservative Politiker:innen als Moderator:innen vor die Kamera stellt. Nigel Farage hat seine eigene Show: Täglich schwadroniert er eine Stunde lang über seine Lieblingsthemen, an erster Stelle die Migration. Auch etablierte Printtitel wie die «Daily Mail», der «Daily Express» oder «The Sun» haben seit 2022 Unmengen an Druckerschwärze darauf verwendet, die Ankunft von Bootsflüchtlingen an der englischen Küste zu einer nationalen Krise aufzubauschen. Diese hetzerische Berichterstattung ist mitverantwortlich dafür, dass Reform UK derzeit die Politiker:innen in Westminster vor sich hertreibt – und dass rechte Krawallmacher:innen vor Asylunterkünften aufmarschieren.
In den vergangenen Monaten ist die Parteinahme für Reform UK expliziter geworden. Jedem Auftritt, jedem Kommentar von Farage wird prominent Raum auf den Titelseiten gegeben, er selbst verfasst regelmässig Meinungsstücke in rechten Blättern. Vor den Lokalwahlen im Mai druckte «The Sun» die Schlagzeile: «Grossbritannien ist kaputt» – den damaligen Wahlkampfslogan von Reform UK.
Das unabhängige Bollwerk wankt
Und die BBC? Auch sie hat radikal rechte Standpunkte legitimiert, wie Untersuchungen zeigen. So kam eine im Januar publizierte Studie der Universität Cardiff zum Schluss, dass BBC-Sendungen zwischen 2014 und 2023 überproportional viele Kommentator:innen aus dem rechten Spektrum zu Wort kommen liessen. In den vergangenen Monaten nahm die Berichterstattung zu Reform UK so stark zu, dass sich die BBC vor dem Kultur- und Medienausschuss des Unterhauses rechtfertigen musste. Generaldirektor Tim Davie sagte Anfang September, der starke Fokus auf Reform UK reflektiere bloss die politischen Realitäten, «wir versuchen nicht, uns einzuschmeicheln».
Ein internes Dokument, das wenige Monate zuvor an die Öffentlichkeit gelangt war, lässt jedoch Zweifel aufkommen: Demnach plant die BBC-Führung, ihre Berichterstattung so zu ändern, dass sie das Vertrauen der Reform-Wähler:innen gewinnt.
Ob das viel nützt, ist allerdings eine andere Frage. Farage hat als verbissener BBC-Gegner wiederholt versprochen, die Rundfunkgebühren – die Haupteinnahmequelle der BBC – abzuschaffen. Kürzlich warnte der ehemalige BBC-Nachrichtenchef James Harding, wie «unverantwortlich» und «leichtsinnig» es wäre zu ignorieren, was für eine Gefahr Reform UK für die Zukunft einer unabhängigen BBC darstelle.