Ein Traum der Welt: Bitte nicht übersetzen!

Nr. 4 –

Annette Hug sucht den Off-Schalter

In Paris habe ich wunderbare Worte entdeckt. Den Schriftzug «élgébété» verstand ich nicht auf Anhieb, vielleicht wegen des Weins. Wir sassen an einer Bar. Als mir das Spiel mit der englischen Abkürzung aufging, wurde auch «djender» klar, erinnerte aber weniger an Geschlechtertheorie als an Django Reinhardt. Das war mir noch so recht. In der Musik des französischen Gitarristen meine ich alles zu hören, was nach der Verheerung des Ersten Weltkriegs noch Lust machte, weiterzuleben: Jazz von amerikanischen Brassbands, deren Mitglieder nach dem Krieg nicht in die Segregation der USA zurückwollten, verbunden mit Rhythmen aus einer Wohnwagensiedlung vor Paris.

Aber im Januar 2025 ist etwas ganz anderes Thema: Automatensprache. Mein Handy musste ich neu einstellen, damit mich die Pariser Verkehrsbetriebe nicht in miserablem Deutsch ansprechen. Vor einem Jahr habe ich realisiert, dass immer mehr Übersetzer:innen gebeten werden, Automatentexte zu redigieren, jetzt sind wir schon weiter. In Apps wird alles automatisch übersetzt und nichts gegengelesen. (Annahme: Fremdsprachen lernt man nur, wenn man unbedingt muss, jetzt muss man nicht mehr.) Die Kreditkarte hat keine Einstellungen, also kann ich die Geldautomaten nicht daran hindern, mir zu sagen: «Geben Sie ihr Geheimzahl.» (Annahme: Es reicht, wenn man einigermassen merkt, was gemeint ist.) «Nehmen Sie ihr Gelg» ist interessant: Wie in aller Welt kommt ein Programm, das mit Wahrscheinlichkeiten operiert, auf dieses zweifache «g»?

«Das ist gar nichts!», sagt die Frau neben mir an der Bar. Sie erlebt gerade eine Invasion. Ihr liebstes Netzwerk wird von neuen Nutzer:innen überrannt. Bisher hat Rednote ausschliesslich auf Mandarin funktioniert. Als Chinesin in Paris konnte man sich bei Heimweh dahin zurückziehen. Da war man unter Leuten, die verstanden, dass der ursprüngliche Name Xiao Hong Shu ­(­小红书) zwar «Kleines rotes Buch» heisst wie das Propagandabüchlein mit Sprüchen von Mao Zedong, dass da aber nichts Maoistisches verbreitet wird. Im Gegenteil. Fast achtzig Prozent der Nutzer:innen sind Frauen, was westliche Kommentator:innen dazu verleitet, das Netzwerk auf Mode und Schminktipps zu reduzieren. Die hätten eben keine Ahnung, was unter chinesischen Frauen gerade abgehe, sagt die Kollegin. Und jetzt? Weil alle befürchten, dass Tiktok nun in den USA vom Netz geht, flüchten Benutzer:innen aus Protest zu Rednote. Plötzlich hats auch da eine Funktion für automatische Übersetzung. Aber menschliche Hilfe bleibt schöner. Kaum habe ich die App heruntergeladen, begrüsst mich ein (echter) junger Mann aus Chongqing. Er freut sich riesig über die neue Völkerverständigung und gibt Tipps: Das einfache Smiley sei sparsam zu verwenden, das bedeute im chinesischen Netz nicht «Lächeln», sondern: «Du nervst, ich hasse dich.»

Und während ich an dieser Kolumne arbeite, wird eine neue Version von Word installiert. Jetzt taucht immer, wenn ich zu einem neuen Absatz ansetze, das Icon eines «Copilot» auf. Er bittet mich, ein paar Stichworte einzugeben, damit er meinen Text schreiben kann. «Wie krieg ich diesen Copilot wieder weg?» Die Einleitung seiner Antwort klingt ganz vernünftig: «Ein Copilot kann manchmal mehr im Wege stehen als von Nutzen sein.»

Annette Hug ist eine menschliche Übersetzerin und Autorin.