Ein Traum der Welt: Mit dem Hammer
Annette Hug hört eine John-Henry-Playlist
«Bald kommt die Galaxy-KI!», schreibt mir mein Handy seit Neujahr. Samsung will meine Vorfreude wecken und erreicht das Gegenteil. In die steigende Unruhe passt eine alte CD mit sechzehn Versionen des amerikanischen Standards «John Henry». In den 1920er Jahren haben John und Alan Lomax in einem kalifornischen Gefängnis einen afroamerikanischen Worksong aufgenommen. Der Bluessänger Leadbelly, der da einsass, konnte sich noch daran erinnern, wie er als Kind die Gleis- und Tunnelbauer zum Takt ihrer Bohrhämmer dieses Lied hatte singen hören.
Bald wird künstliche sogenannte Intelligenz direkt im Betriebssystem des Mobiltelefons eingebaut sein. Ich soll mich freuen, dass dann Gespräche simultan übersetzt werden können und Texte sowieso. Dann werde ich ab und zu lachen, wie in Manila letzten Sommer, als mir Google häufig Artikel aus Pseudonachrichtenportalen zuspielte, für die eine KI aus echten Zeitungen Artikel abgesaugt, übersetzt und neu zusammengestellt hat. Zum Lachen war zum Beispiel, dass sich ein französisches «feuilleton littéraire» in eine «literary soap opera» verwandelte und ich mich einen Moment lang tatsächlich wunderte, wer da plötzlich Seifenopern schrieb. Aber ehrlich gesagt waren die Lacher selten, die Übersetzungen meist in einer langweiligen Art okay.
Sich mit dem Argument, Maschinen würden zu viele Fehler machen, gegen die KI-Übersetzungsmaschinen zu stemmen, ist eine John-Henry-Taktik. Der hat nicht klein beigegeben, als ihm sein Boss etwa 1870 in Tennessee (oder Kentucky oder Louisiana) einen dampfbetriebenen Bohrhammer vorsetzte. Im Zweikampf war der Mann besser und so schnell, dass sein Hammer Feuer fing. Dann brach er zusammen und starb.
Jetzt gibt es menschliche Übersetzer:innen, die sich gegen die rasante Veränderung ihres Berufs wehren. Die Fakten dazu sind von Monat zu Monat überholt. Viele von uns werden bald nicht mehr schreiben, sondern Übersetzungen von Maschinen auf Fehler kontrollieren. «Post-Editing» heisst das auf Neudeutsch und ist ein Scheissjob.
Literarische Übersetzer:innen kämpfen für einen Bereich, in dem Leute weiterhin ein Auskommen finden, um Sprachen in ihren sperrigen Eigenheiten und unendlichen Verästelungen zu pflegen, für das Übersetzen als Tätigkeit zwischen Menschen und für die Fähigkeit, singuläre Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen. Dagegen steht die Techidee von Sprache als Code, der alles vereinheitlicht, um Informationen ohne Hindernisse zu übermitteln.
«John Henry was a steel driving bastard», röhren die Drive-By Truckers in einer Rockversion von 2004, da gehts auch um Lohnkosten, aber das Englische «labor cost» tönt viel besser. Am schönsten ist Memphis Slim, dessen Stimme auch noch voll klingt, wenn er murmelnd den sanft hämmernden Bass begleitet. Um diese Stimme zu übersetzen, bräuchte es Endo Anaconda, der in der Lage wäre, den Rhythmus von «I will die with my hammer in my hand» in einem berndeutschen Satz weiterzuführen – und der ganze Song würde daraus neu entstehen.
Für die kämpferischen Übersetzer:innen kann John Henry kein Vorbild sein. Aber wie er seit 150 Jahren besungen wird, in immer neuen Versionen von Folk, Blues, Bluegrass, Cowpunk über Hip-Hop und vielleicht sogar Noise, davon ist vielleicht etwas abzukupfern.
Annette Hug ist Autorin und Übersetzerin, sie wirbt für das Manifest gegen seelenlose Übersetzung des französischen Kollektivs «Mit Herz und Nieren». Es findet sich auf www.enchairetenos.org.