Auf allen Kanälen: Von Deepseek lernen

Nr. 6 –

Ein neuer KI-Chatbot aus China hat die US-Techbranche alarmiert. Für Europa sind das gute Neuigkeiten.

stilisiertes Logo der Firma DeepSeek

«Der Schrecken der US-Tech-Giganten», «Chinas KI-Durchbruch schockiert den Westen», «Deepseek führt die USA vor» – weltweit waren zuletzt solche Schlagzeilen zu lesen. Deepseek, ein Start-up aus China, hat an Glaubenssätzen der US-amerikanischen Techbranche gerüttelt. Denn der kürzlich veröffentlichte Chatbot DeepSeek-R1 kann es offenbar nicht nur mit den neusten Modellen der grossen US-Techfirmen aufnehmen. Die chinesischen Entwickler:innen haben ihn angeblich auch für einen Bruchteil der Kosten trainiert, die für Konkurrenzmodelle aus den USA anfallen, und mit weit weniger Rechenleistung.

Wer den Wettlauf um die künstliche Intelligenz anführen will, braucht riesige Rechenzentren, die stärksten Hochleistungschips und das dafür nötige Geld. So zumindest lautete bislang die vorherrschende Ansicht. Je grösser, desto besser. Die USA, die ihre technologische Vormachtstellung auf keinen Fall abgeben wollen, folgen diesem Credo konsequent: Gleich nach seiner Amtseinführung lancierte Donald Trump das Riesenprojekt Stargate, durch das in den kommenden Jahren 500 Milliarden Dollar in US-amerikanische KI-Infrastruktur fliessen sollen. Um China auf Abstand zu halten, hatte schon Trumps Vorgänger Joe Biden den Export von Chips in die Volksrepublik immer stärker eingeschränkt.

Anleitung zum Bombenbau

Dass es einem bisher kaum bekannten chinesischen Start-up dennoch gelungen ist, zu den KI-Grössen Open AI, Anthropic, Google und Meta aufzuschliessen, war für das Silicon Valley ein herber Schlag, auf den auch die Börsen mit gewaltigen Kursverlusten reagierten. Keine sechs Millionen US-Dollar will Deepseek für das Training seines Modells aufgewendet haben. Open AI hat das Training seines Vorzeigebots Chat GPT nach eigenen Angaben rund hundert Millionen Dollar gekostet. Hinzu kommt: Anders als bei Chat GPT ist bei Deepseek der Quellcode offen einsehbar. Jeder kann das Modell herunterladen, weiterentwickeln und verändern – auch das macht es so attraktiv.

Natürlich ist nicht alles unproblematisch. Deepseek unterliegt Chinas Zensur: Kritischen Fragen zu Taiwan oder dem Tiananmen-Massaker von 1989 weicht der Chatbot aus. Die Zensur lässt sich zwar leicht umgehen, aber zugleich können findige Nutzer:innen die KI auch einfacher als andere Bots dazu bringen, etwa Anleitungen zum Bombenbau auszuspucken.

Auch der Datenschutz wirft Fragen auf, jedenfalls dann, wenn man die Software nicht herunterlädt und lokal auf dem eigenen Computer betreibt. Chatverläufe, hochgeladene Dateien, E-Mail- sowie IP-Adressen und selbst der Rhythmus, in dem man auf der Tastatur tippt, werden auf Servern in China gesammelt und gespeichert. Davon, dass der chinesische Staat sich darauf Zugriff verschaffen kann, gehen Expert:innen aus. Italien und Irland haben bereits mehr Transparenz im Umgang mit Daten gefordert. Die italienische Datenschutzbehörde hat die App vorerst ganz gesperrt.

Europas Potenziale

Und dennoch: Für die Schweiz und Europa ist der Erfolg von Deepseek eine freudige Nachricht. Denn er hat gezeigt, dass der Vorsprung der USA bei der künstlichen Intelligenz gross sein mag, aber trotzdem auch andere mitmischen können. Zwar dürften Grossinvestitionen, Hochleistungschips und riesige Rechenzentren im Wettlauf um die klügste KI weiter eine entscheidende Rolle spielen. Doch wenn ein Start-up aus China beschränkte Ressourcen durch clevere Programmierung wettmachen und zur US-amerikanischen Konkurrenz aufschliessen kann, warum sollte das dann nicht auch europäischen Unternehmen gelingen? Das Potenzial wäre vorhanden. Das zeigt etwa das französische Unternehmen Mistral AI, einer der europäischen KI-Vorreiter. Oder auch die Spitzenforschung an Universitäten und Hochschulen wie der ETH Zürich.

Dass es für die Schweiz und Europa wichtig wäre, bei einer solchen Technologie vorne mitzuspielen, steht ausser Frage. Das beschränkt sich nicht auf Sprachmodelle wie Deepseek. Doch auch hier sollte Europa auf leistungsstarke Pendants «made in Europe» setzen – wenn es etwa in Sachen Datenschutz oder der Frage, wie die Verbreitung von Falschinformationen und Hetze reguliert werden soll, nicht von den übermächtigen US-Konzernen und deren chinesischer Konkurrenz abhängig bleiben will.