Theater: Pillen spicken mit Spitteler

Nr. 7 –

Bühnenfoto des Theaterstück «Nieder mit den Alpen!»: zwei Personen singen in ein Mikrofon
«Nieder mit den Alpen!». In: Luzerner Theater, Do, 13., Mi, 19. Februar 2025, jeweils 20 Uhr. Weitere Vorstellungen: 21. Februar und 12./13. März 2025.

Carl Spitteler, bis heute der einzige Schweizer Literaturnobelpreisträger, hat in der nationalen Erinnerungskultur keinen festen Platz. Kaum verwunderlich: Zu wenig passt er in die Erzählung der Schweiz. Spitteler plädierte gegen innere Spaltungen im Land und das Anbiedern an die deutsche Rechte. «Nieder mit den Alpen!», forderte er 1914 in seiner bekanntesten Rede, in der er der Schweiz mit ihrem provinzlerischen Denken ins Gewissen redete. Auch seine Literatur lässt sich keiner klaren Strömung zuordnen. Spitteler überschrieb vor allem mythische Stoffe und war dem bildstarken Epos zugeneigt. Nach seinem ersten Roman, «Imago», benannte seinerzeit Sigmund Freud seine Zeitschrift «für die Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften». Heute liest sich Spittelers Werk etwas sperrig und aus der Zeit gefallen.

Dieser Widerständigkeit nähert sich die Autorin Carina Thurner am Luzerner Theater an. Eine zarte Weltfremdheit sitzt in ihrem Text und in den Figuren Bert und CH, gespielt von Bastian Inglin und Thurner selbst. Gekleidet in eisig blaue Trachtenpyjamas, tragen beide in heroischer Einsamkeit durch den Abend. Sind sie in einem Bunker, oder ist es die Schweiz selbst? Ein Teppich aus Bildern und Motiven Spittelers erzählt von Unvermögen und Vereinzelung, Bert und CH schlucken Pillen und trauen sich nicht aus sich selbst hinaus. Die beiden arbeiten sich aneinander ab, geilen sich auf, beweinen und zelebrieren sich. Wütend und suchend wird hier ein Aufbruch verhandelt, der nicht passiert.

«Nieder mit den Alpen!» ist ein wuchtiger Abend, rätselhaft-zärtlich, kantig und schräg. Mit Spitteler teilt er vor allem die geistige Unabhängigkeit und den Versuch, auszubrechen. Da flattern die langen grauen Haare herum, ein kleines Fenster führt in eine unbekannte Weite. Und Spitteler selbst? Bleibt an diesem Abend in der Vergangenheit. Eher spürt man eine Bewegung nach vorne, eine junge Autorin, die nach einer Allegorie innerer und äusserer Isoliertheit sucht: Wo liegen nun die Berge, die wir brechen müssen?