Rassismus gegen Weisse?: Ein erfinderischer Staatsanwalt
Nach einem Konzertabbruch wollte die Junge SVP mit einem Prozess gegen die Brasserie Lorraine die Rassismusstrafnorm ad absurdum führen. Es ist ihr nicht gelungen – trotz abenteuerlicher Argumentation der Anklage.

Die Beine des Staatsanwalts wippten beim Prozess gegen die Brasserie Lorraine nicht umsonst nervös unter dem Tisch. Die Richterin am Regionalgericht Bern-Mittelland sprach die Genossenschaftsbeiz später vom Vorwurf der Rassendiskriminierung frei. Damit beendete sie am Montag ein Verfahren, in dem fern jeglicher gesellschaftlichen Realität über «Rassismus gegen Weisse» verhandelt wurde.
Angeklagt war eine Institution. Die «Brass», wie sie in Bern genannt wird, ist ein Treffpunkt für viele. Nicht nur, weil dort nichts konsumiert werden muss, sondern auch, weil das Betreiber:innenkollektiv bewusst einen diskriminierungsfreien Raum anstrebt.
Politisch motivierte Anzeige
Als sich im Sommer 2022 während eines Konzerts Gäste meldeten, weil sie sich wegen des Auftritts der kurzfristig eingesprungenen Reggaeband Lauwarm unwohl fühlten, traf das die «Brass» in ihrem Selbstverständnis. Die Verantwortlichen suchten in der Konzertpause das Gespräch mit der Band. Aus dem Publikum sei, so schilderte es die Band später, unter anderem kritisiert worden, dass die weissen Musiker teilweise Dreadlocks und Kleidung mit afrikanischen Mustern getragen hätten. Sie seien sich unsicher gewesen, ob sie weiterspielen sollten, sagte der Sänger der Band im Gerichtssaal. So habe man den Entscheid den Leuten von der «Brass» überlassen.
In einem Post in den sozialen Medien machte die Beiz den Vorfall publik – und sprach darin auch davon, dass sich Besucher:innen an der «kulturellen Aneignung» durch die Band gestört hätten. «Wir behaupten nicht, dass wir mit dem Abbruch des Konzerts das Richtige getan haben. Es jedoch einfach weiterlaufen zu lassen, hat sich auch falsch angefühlt», hiess es weiter. Daraus hätte sich eine notwendige Debatte über koloniales Erbe, strukturellen Rassismus und den Umgang mit kultureller Aneignung entwickeln können. Es wäre ein Diskurs gewesen, in dem sich nicht zuletzt die Mehrheitsgesellschaft kritisch hätte hinterfragen müssen. Stattdessen wurde das Lokal im Netz von einer Flut von effektiv rassistischen Hassnachrichten eingedeckt und medial etwa als «Skandal-Brasserie» verrissen.
Die Junge SVP nutzte die Empörung und reichte Anzeige wegen Rassendiskriminierung ein. Dass es den damals bereits wegen einer Kampagne gegen Sinti:zze, Rom:nja und Jenische wegen Rassendiskriminierung verurteilten JSVP-Kadern stets darum ging, den Straftatbestand der Rassendiskriminierung ins Absurde zu führen, verheimlichten diese nie. «Wir zeigen den Linken damit auf, wie unsinnig die Strafnorm ist», hatte Nils Fiechter damals gesagt.
Die Anzeige landete auf dem Tisch eines Staatsanwalts, für den «Rassismus gegen Weisse» offensichtlich mehr ist als ein rechter Kampfbegriff. «Weisse werden Opfer von Rassismus», betonte Marco Amstutz denn auch im Gerichtssaal. Während Verfahren bei mutmasslich rassistisch motivierten Straftaten gegen Minderheiten ansonsten oft verschleppt und eingestellt werden (siehe etwa WOZ Nr. 7/25), blieb die Staatsanwaltschaft hier am Ball. Der Band war das selber längst unwohl geworden – sie hatte sich an die Ermittlungsbehörden gewendet, um mitzuteilen, dass sie sich nicht rassistisch diskriminiert fühlen würde. Amstutz verdonnerte die «Brass» per Strafbefehl zu einer Busse von 3000 Franken. Die «Brass» erhob Einsprache.
Im Strafbefehl hiess es: Die «Haltung der Brasserie Lorraine, dass gewisse Personen oder Personengruppen gewisse Musikstile nicht spielen dürfen», verletze die Menschenwürde, «indem hellhäutigen (weissen) Personengruppen nur ein beschränkter Anspruch auf ihre sozialen und kulturellen Menschenrechte zugebilligt wird». Staatsanwalt Amstutz zeigte sich durchaus erfinderisch. So schrieb er, dass der Band gesagt worden sei, dass das Spielen von Reggaemusik «dunkelhäutigen Personen aus den entsprechenden Ländern wie bspw. Jamaika vorbehalten sei». Im Prozess musste der Staatsanwalt auf einen Einwand des Verteidigers der Brasserie Lorraine einräumen, dass dies seine eigene Interpretation des Geschehens gewesen sei.
Versäumte Hausdurchsuchung
Für den Urteilsspruch fiel das alles nicht ins Gewicht, denn das Gericht befasste sich letztlich einzig mit der Frage, ob die Brasserie Lorraine als juristische Person die richtige Beschuldigte ist. Im Strafrecht können juristische Personen nur dann belangt werden, wenn diese einen Organisationsmangel aufweisen und die verantwortlichen Einzelpersonen deshalb nicht eruiert und strafrechtlich verfolgt werden können. Genau das machte die Staatsanwaltschaft geltend.
Doch das Gericht widersprach. Es warf dem eifrigen Staatsanwalt vor, in diesem Bereich nicht eifrig genug gewesen zu sein. Er habe nicht ausreichend nachgeforscht, um herauszufinden, wer an jenem Abend den Entscheid zum Konzertabbruch getroffen hatte. Die erfolgte Befragung und die Ermittlungen durch die Polizei hätten nicht ausgereicht – eine Hausdurchsuchung wäre angebracht gewesen, befand die Einzelrichterin.
Eine Hausdurchsuchung wegen eines abgebrochenen Konzerts? Es war ein passender Schlusspunkt für diesen absurden Prozess.Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.