Literatur: Der Müssigsitzer von Wien

Nr. 9 –

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Buchcover von «Hermelin auf Bänken»
Patrick Holzapfel: «Hermelin auf Bänken». Roman. Rohstoff Verlag. Berlin 2024. 166 Seiten.

Mit dem schmalen Roman «Hermelin auf Bänken» ist dem in Wien lebenden jungen deutschen Autor Patrick Holzapfel ein berückendes Debüt geglückt. Nach dem Tod seiner Mutter setzt darin der Ich-Erzähler sein Studium in Wien aus, weil er Angst hat, die Verstorbene zu vergessen. Stattdessen verbringt er seine Tage auf den Parkbänken der Stadt. Er «bankiert», wie sein Freund sagt, in den Tag hinein, wird zum sitzenden Flaneur, zum «Müssigsitzer». Akribisch charakterisiert er die höchst unterschiedlichen Ausfertigungen der städtischen Bänke und führt Buch darüber, wie viel Zeit er jeweils auf ihnen verbringt und was ihm dabei durch den Kopf geht. Ansonsten geschieht nicht viel.

Der Trauernde lernt Obdachlose (in Wien «Sandler» genannt) kennen, darunter deren «König», der einen einst fürstlichen Hermelinmantel trägt. Mit dem «geschäftigen Treiben der Geradeausmenschen» will der Protagonist nichts mehr zu schaffen haben, das «ziellose Kommen und Gehen der Masse» irritiert ihn zusehends: «Niemand scheint je anzukommen, alle und alles befinden sich auf einer ewigen Durchreise.»

Er wird selbst zwar nicht zum Sandler, aber zum stillen Verweigerer und poetischen Beobachter unspektakulären Alltags. Er versetzt eine Kommilitonin, verletzt sich beim Zusammenprall mit einem Skateboarder, kümmert sich um einen alten Lampenschirmhändler und hält dabei stets Ausschau nach dem Hermelinsandler.

Der Reiz des Textes liegt in der sprachmächtigen und subtilen Gestaltung dieses Nachkommen von Herman Melvilles «Bartleby»: Holzapfel verführt so die Lesenden dazu, selbst innezuhalten und im verwunderten Beobachten dieses Nichtlebens den Blick aufs eigene Hamsterrad zu schärfen. Beinahe kommt sich der eigenwillige «Bankier» abhanden: «Meine ausbleibenden Handlungen verleihen mir das Gefühl, verschwinden zu können.» Doch nach rund einem Jahr findet er zurück – und das vollgeschriebene Notizbuch legt er der Mutter in die Grabnische.