Literatur: Schreiben, wie Vermeer malte
Schon der Titel von Matthias Zschokkes neuem Roman, «Der graue Peter», verweist auf ein zentrales Thema des Autors: Seit je interessiert sich der 68-jährige Schweizer und Wahlberliner für die Sensationen des Gewöhnlichen; vordergründig unscheinbares Leben verwandelt er in schwebend schöne Literatur. Diesmal freilich legt Zschokke eine im Gewöhnlichen durchaus ungewöhnliche, handlungsreiche Geschichte vor, in Form einer Novelle.
Seinen Protagonisten Peter, einen in der Schweiz an der Sprachgrenze zur Romandie geborenen, in einer Berliner Bezirksverwaltung tätigen Beamten, charakterisiert der Erzähler als Inbegriff des Mittelmasses: «einer dieser aussichtslosen Fälle […] behütetes Kind aus dem Schweizer Mittelstand und Mittelland […] einer wie all diese unendlich vielen grauen Peters». Peter ist verheiratet, ein unauffälliger Staatsdiener, dem der tragische Verlust zweier Kinder nichts anzuhaben scheint, weil ihm, so lesen wir, «gewissermassen ein Empfindungschromosom fehlt», der seinem unspektakulären Alltag aber auch verblüffende, skurrile Beobachtungen und schräge Reflexionen abgewinnt.
Auf dem Rückweg von einer Dienstfahrt ins französische Nancy wird der graue Peter von einer verzweifelten Mutter am Bahnhof gebeten, ihren zehnjährigen Jungen, Zéphyr, zu betreuen, weil der Zug unerwartet nicht durchgehend bis Basel fährt, wo sein Onkel den Knaben erwartet. Peter übernimmt die Aufgabe, und nach einer Reihe überraschender Abenteuer und teils fast surrealer, auch befremdlicher Begebenheiten liefert der plötzlich zart und empathisch agierende Griesgram mit einem Tag Verspätung den meist schweigsamen, staunenden Zéphyr dem Onkel im Bahnhof Basel ab, wobei das absurde, jähe Ende nicht verraten sei.
Wenn der Erzähler im Buch sich selbstironisch zur Theorie versteigt, «es sei gleich spannend, wenn einer aus Mehl, Wasser und Öl einen Teig knete, wie wenn er ein Messer in die weisse Brust seines Geliebten stecke», sich dann vornimmt zu reden, «so wie Vermeer seine Bilder gemalt habe», und sich davor hüten will, «etwas Ausserordentliches erzählen zu wollen», dann hat der melancholisch-verschmitzte Autor damit seine eigene Poetik vollkommen umrissen.