«Ministry for the Future»: Carbon Coins und ein bisschen Gewalt

Nr. 9 –

In einer vierteiligen Produktion lotet das Neumarkt-Theater zusammen mit dem Collegium Helveticum die Sprengkraft von Klima-Science-Fiction aus.

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Bühnenfoto der Produktion «Ministry for the Future» in den Räumen der ETH Hönggerberg
«Wir schreiben das Jahr 2034 …»: Im Ministerium der Zukunft tagt das Plenum, um die Welt vor dem Klimakollaps zu bewahren. Foto: Eliot Gisel, Collegium Helveticum

«Tech won’t save you!», steht in Grossbuchstaben auf dem blauen Regenschirm am Boden. Die vermummte Gestalt dahinter liest aus einem dicken Buch dystopische Sätze zur Klimakatastrophe vor – nein, Technologie wird uns nicht retten. Und doch haben wir eben in der klirrenden Kälte mitten auf dem Campus der ETH Hönggerberg ein Badge mit Zugangscode erhalten. Als «Klimaschutzdienstpflichtige» sind wir aufgerufen, mit dem Ministerium für die Zukunft den Einsatz einer ebensolchen grosstechnologischen Intervention zu diskutieren: Geoengineering.

Die anklagende Stimme des Klimaaktivisten verfolgt uns, als wir dem blau gewandeten Sicherheitspersonal auf verschlungenen Pfaden ins Innere eines Gebäudes folgen. Ein letzter Sicherheitscheck in einem Zelt, dann verteilen wir uns auf die Stuhlreihen im Plenum rund um einen Kreis von Plastikkanistern mit Nummern drauf und Resten einer klaren Flüssigkeit drin. Als wären die Aerosole mit Schwefeldioxidpartikeln bereits in der Stratosphäre ausgebracht worden, um das Sonnenlicht zu reflektieren und so die Erdoberfläche zu kühlen.

Theater als Versuchsanlage

Das Szenario an diesem Abend: Wir schreiben das Jahr 2034, das Ministerium für die Zukunft wurde vor neun Jahren hier in Zürich gegründet, um im Namen künftiger Generationen die Welt vor dem Klimakollaps zu bewahren. Indien hat, nach einer Hitzewelle mit Millionen Toten, mit dem Versprühen von Aerosolen begonnen, in anderen Gegenden der Welt werden seither aussergewöhnliche Wetterphänomene verzeichnet, der Unmut ist gross, wie uns Yram Orphy (Sascha Özlem Soydan), die Präsidentin des Ministeriums, offenbart. Im Verlauf des Abends werden wir über einen möglichen Einsatz von Geoengineering und seine Regulierung entscheiden müssen.

Die Idee ist dem Science-Fiction-Roman «The Ministry for the Future» (2020; Deutsch 2021) von Kim Stanley Robinson entlehnt, einem wissenschaftlich haargenau recherchierten und komplex gewobenen Buch, das eine Vielzahl von Stimmen (auch nichtmenschliche) zu Wort kommen lässt und in eine Utopie mündet. «We are not doomed» (Wir sind nicht verdammt), versichert uns Orphy gleich zu Beginn. Zumindest, so möchte man anfügen, in dieser Inszenierung nicht, Teil eins der vierteiligen Koproduktion von Theater Neumarkt und Collegium Helveticum.

Der Versuch ist lobenswert: Wir müssen uns als Gesellschaft und Teil der Weltgemeinschaft mit Geoengineering auseinandersetzen, wenn wir handlungsfähig bleiben und uns die Entscheidung nicht von der Zukunft diktieren lassen wollen. Was kann Theater als Versuchsanlage dazu beitragen?

Die Kontroverse interessiert, das Plenum ist gut gefüllt mit Menschen zwischen zwanzig und achtzig. Mittendrin drei hochkarätige Expert:innen, die erklären und Auskunft geben: Thomas Stocker, Klimaforscher und über viele Jahre leitendes Mitglied des Weltklimarats; Claudia Mohr vom Paul-Scherrer-Institut, spezialisiert auf Aerosolchemie; Sandro Vattioni von der ETH, Experte rund um Eingriffe in das stratosphärische Sonnenklima. Aus dem Plenum kommen viele Fragen, dazwischen grätschen ein paar Agents Provocateurs, ein neoliberaler Marktturbo etwa. Insgesamt ist die Auseinandersetzung breit und differenziert, und die drei Expert:innen sind versiert (mitunter auch performativ besonders talentiert) im Herunterbrechen von Zusammenhängen für ein Laienpublikum.

Dabei legen die Beiträge aus dem Plenum nahe, dass hier vor allem ein akademisches, naturwissenschaftlich bewandertes Publikum versammelt ist. Was vielleicht auch mit einer hohen Einstiegshürde zusammenhängt: Wer traut sich schon die Teilnahme an einem interaktiven wissenschaftsorientierten Theaterabend zu, der ausschliesslich in englischer Sprache über die Bühne geht? Und weshalb ist das überhaupt nötig, wo die Protagonist:innen doch alle deutschsprachig sind?

Hoffnung ist eine Axt

Eine fundamentale Skepsis gegenüber Geoengineering ist – anders als in Robinsons Roman – auch unter den Expert:innen im Plenum deutlich spürbar. Wollen wir wirklich einer Symptombekämpfung das Wort reden, die eine Vielzahl unwägbarer Risiken birgt und letztlich doch nur die Notwendigkeit, keine Treibhausgase mehr auszustossen, hinauszuzögern vermag – in der Hoffnung auf neue technische Lösungen?

Orphy, die Präsidentin des Ministeriums, hält jedenfalls an Robinsons Utopie fest. Darin leiten ausgerechnet Banken den entscheidenden Wandel ein: mit Carbon Coins, einer Währung, die erhält, wer CO₂-Ausstoss vermeidet. Als Katalysator dient Gewalt: Sabotageakte gegen Flugzeuge und gezielte Exekutionen der grössten CO₂-Emittenten. Beides dürfte spätestens am vierten und letzten Theaterabend rund um das Ministerium für die Zukunft für viel Gesprächsstoff sorgen. Den aktuellen Abend beschliesst Orphy mit dem Hinweis darauf, dass nicht Technologie, sondern die richtige Geisteshaltung den Wandel zum Guten bringen wird, und zitiert dazu die US-Autorin Rebecca Solnit: Hoffnung ist eine Axt, mit der man im Notfall die Tür einschlägt.

«Ministry for the Future», Episoden 2–4 («Extinction», «Nomadism», «Foundation»), 28. März, 11. und 25. April 2025. Infos und Tickets: theaterneumarkt.ch.