Solares Geoengineering: «Man schafft ein Frankenstein-Klima»

Nr. 9 –

Für die ETH-Klimaforscherin Sonia Seneviratne lenken technische Eingriffe in die Erdatmosphäre nur davon ab, dass wir alles daransetzen müssen, aus der fossilen Energiegewinnung auszusteigen.

WOZ: Frau Seneviratne, Sie haben einen von Umweltforscher:innen lancierten offenen Brief unterzeichnet, der den Einsatz von solarem Geoengineering (SRM) verbieten will. Weshalb?

Sonia Seneviratne: Im Titel des Briefes heisst es «Vereinbarung zur Nichtnutzung», was ein Moratorium und kein Verbot ist. Im Kern soll verhindert werden, dass solares Geoengineering fälschlicherweise als klimapolitische Option betrachtet wird.

Sie fordern auch ein Forschungsmoratorium?

Nein, hauptsächlich geht es darum, die Entwicklung von Technologien und Patenten zu stoppen. Grundsätzlich denke ich aber, dass weitere Forschung zum Thema wenig bringt. Wir kennen die negativen Auswirkungen: Die bisherigen Forschungsresultate zeigen, dass SRM gefährlich ist.

Portraitfoto von Sonia Seneviratne
Sonia Seneviratne, Klimaforscherin

Wieso?

Es trägt nicht zur Lösung der Klimakrise bei. Die menschenverursachte Erwärmung des Klimasystems ist eine Folge der Treibhausgasemissionen, insbesondere der CO₂-Emissionen von fossilen Energieträgern wie Erdöl, Gas und Kohle. Diese Erwärmung findet vor allem an den Polen statt; in den Tropen ist sie weniger ausgeprägt. Aerosole in grossem Massstab in die Stratosphäre zu schiessen, würde nicht zu einer gleichmässigen Kühlung des globalen Klimas führen. Der Effekt wäre in den Tropen am stärksten, weil es dort am meisten Strahlung gibt.

Mit solchen Experimenten schafft man ein neues Klima – ich nenne es «Frankenstein-Klima». Studien zeigen, dass SRM auch Auswirkungen auf die Niederschläge haben kann, den Monsunregen beispielsweise, von dem mehrere Milliarden Menschen abhängig sind. Statt einer dauerhaften Lösung kreieren wir damit nur zusätzliche Risiken und Abhängigkeiten.

Was für Abhängigkeiten meinen Sie?

Nachdem es emittiert wird, bleibt CO₂ Hunderte bis Tausende von Jahren in der Atmosphäre, Aerosole hingegen nur ein paar Jahre. Mit SRM machen wir uns abhängig von zusätzlichen Technologien, in die man kontinuierlich viel investieren müsste. Man würde weiterhin CO₂ emittieren, die Treibhausgase in der Atmosphäre würden also weiter ansteigen. Wäre die Technologien plötzlich nicht mehr einsatzfähig – aufgrund eines Krieges etwa –, fiele auch der kühlende Effekt von SRM weg, und die Temperatur würde in kürzester Zeit extrem ansteigen.

Sie sprechen vom sogenannten Terminationsschock.

Genau, das wäre viel schlimmer als die kontinuierliche Erwärmung, die wir gerade erleben. Tiere und Pflanzen könnten sich in einigen Regionen einem rasanten Temperaturanstieg nicht anpassen, was ein Massensterben verursachen könnte.

Was wäre für Sie eine dauerhafte Lösung?

SRM versucht nur, die Symptome der Klimakrise, also die Erderwärmung, zu bekämpfen, ausserdem ist es wie erwähnt nicht einmal gut dafür geeignet. Die einzige echte Lösung der Klimakrise ist es, die Ursache anzugehen: Wir müssen die Treibhausgasemissionen massiv reduzieren und auf erneuerbare Energie umsteigen. Die Forschung zeigt überdies, dass das technisch möglich und finanziell machbar ist, weil die erneuerbaren Energien viel günstiger geworden sind.

Unser ganzer Fokus sollte auf dem Erreichen von netto null liegen. Deshalb sehe ich die ganze Diskussion rund um SRM als «red herring», als ein Ablenkungsmanöver von Akteuren, die keine Dekarbonisierung wollen, wie die fossile Industrie. Wir sollten nicht vergessen, dass die Regierungen dieser Welt jedes Jahr Tausende Milliarden US-Dollar Subventionen für fossile Energieträger bewilligen, wie der Internationale Währungsfonds berechnet hat. Unser jetziges Energiesystem ist also nicht günstig – im Gegenteil: Es wird dabei sehr viel Geld verschwendet.

Andere Formen des Geoengineering, etwa technische Methoden, um der Atmosphäre CO₂ zu entziehen (CDR), werden vom Klimarat IPCC als unabdingbar bezeichnet, um netto null zu erreichen. Sehen Sie diese auch als «red herring»?

In geringerem Mass als beim Thema SRM, aber teilweise schon, ja. Wenn man CDR als unabdingbar bezeichnet, sollte man erst einmal klarstellen, dass sein Beitrag relativ gering sein würde. Es gibt in der Tat zwar Bereiche, für die es sehr schwierig wird, netto null zu erreichen. Um diese Restemissionen aus der Atmosphäre zu bekommen, brauchen wir CDR-Techniken. Laut den Szenarien, die im letzten IPCC-Bericht evaluiert wurden, werden diese Restemissionen aber lediglich etwa zehn Prozent unserer jetzigen Emissionen betragen. Aktuell liegt die Menge an CO₂, die mit CDR-Technologien rückgebunden wird, weit unter einem Prozent.

Diese Dimensionen sollten klarmachen, dass unsere oberste Priorität die rasche Reduktion der verbleibenden neunzig Prozent sein muss. Wir dürfen kein Erdöl mehr verbrennen, keine Kohle, kein Erdgas. Ein Umstieg auf erneuerbare Energien würde uns ausserdem auch in vielen Bereichen weniger kosten, wie der neuste IPCC-Bericht vorrechnet.

Die Physikerin und Philosophin Annette Schlemm sagt: «Wenn wir kein Geoengineering wollen, müssen wir eine neue Gesellschaft wollen» …

Damit bin ich gar nicht einverstanden. Ich würde Geoengineering und gesellschaftliche Veränderungen nicht in einen Zusammenhang setzen.

Weshalb nicht? Sehen Sie soziale und ökonomische Forderungen ebenfalls als Ablenkungsmanöver?

Natürlich hat ein Teil des Problems der Klimakrise auch mit unserem ökonomischen System zu tun. Aber wenn wir unsere Emissionen nicht reduzieren, wird sich das Klima so verändern, dass es unseren Wohlstand beeinträchtigen und unsere Gesellschaft verändern wird. Weiterzufahren wie bisher, ist keine Option. Unsere Welt wird sich ändern, und es ist besser, wenn wir unsere Gewohnheiten etwas anpassen, als enorme Änderungen des Klimas und deren Risiken in Kauf zu nehmen.