Handel mit Russland: Europäisches Suchtverhalten
Die EU-Staaten wollen angesichts der russlandfreundlichen Politik der USA aufrüsten. Dabei verdrängen sie, wie sie mit ihren Rohstoffkäufen dem Aggressor weiterhin den Krieg finanzieren.

Noch immer befinden sich die Regierungen vieler europäischer Staaten in einer Art Schockzustand. Die transatlantische Achse, wesentliche Konstante der Weltpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg, zerbricht gerade vor aller Augen. Die US-Regierung unter Donald Trump macht immer weitere Avancen gegenüber dem einstigen Erzrivalen Russland. Gleichzeitig lässt Trump kaum eine Gelegenheit aus, die Ukraine zu diskreditieren. Und die EU bezeichnet er als Institution, die gegründet worden sei, um den USA zu schaden. Auf die USA ist kein Verlass mehr: weder bei der Unterstützung der Ukraine noch innerhalb der Nato.
Wie soll Europa, wie soll die EU auf all das reagieren? Ein Sondergipfel jagt den nächsten. Gemäss dem Kieler Institut für Weltwirtschaft müsste Europa jährlich 250 Milliarden Euro allein für die militärische Aufrüstung zusätzlich ausgeben, «um der russischen Militärgewalt wirksam entgegentreten zu können». Die Bedrohung durch Russland könnte also der Treibriemen einer unvorstellbaren Aufrüstung sein. Falls diese Gelder nicht durch eine stärkere Verschuldung freigemacht oder höhere Steuern erhoben werden, könnte das zu drastischen Kürzungen bei den Sozialausgaben, beim Klimaschutz oder bei der Entwicklungszusammenarbeit führen. Dabei hätte die EU seit Jahren einen zentralen Hebel in der Hand: Russlands Abhängigkeit von seinen Öl- und Gasexporten.
Mehr für Russland als für die Ukraine
Denn seinen Krieg gegen die Ukraine kann Wladimir Putin nur führen, weil der Staat seine riesigen Rohstoffvorkommen effizient ausbeuten und exportieren kann. So hat Russland fast ein Drittel seines Staatshaushalts auch 2024 allein durch Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft gedeckt. Damit kann das Regime die hohen Rüstungsausgaben tätigen, die Bevölkerung einigermassen bei Laune halten und Freiwillige mit hohen Geldsummen in den Kriegseinsatz locken.
Doch die EU hat es auch nach drei Jahren Krieg nicht geschafft, dem Regime mit wirksamen Sanktionen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Russland gelingt es derweil immer besser, sich auf die westlichen Sanktionen einzustellen. Zudem profitiert das Regime davon, dass Europa nach wie vor geradezu süchtig nach fossilen Rohstoffen ist. So sind viele Staaten der EU nicht bereit, ganz auf russisches Öl und Gas zu verzichten. Das zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA), einer Non-Profit-Organisation in Helsinki. Sie kommt zum Schluss, dass 2024 mehr Geld für Öl und Gas aus EU-Staaten an Russland floss, als diese der Ukraine an Hilfe zukommen liessen.
21,9 Milliarden Euro wurden 2024 aus den EU-Staaten nach Russland allein für direkt importierte Öl- und Gasprodukte überwiesen. 52 Prozent des russischen Flüssiggases (LNG) gingen direkt an die Staaten der EU. Die EU importiert heute gar noch mehr LNG von Russland als vor dessen Angriff auf die Ukraine. Mit Tankern wird es zu den Importterminals etwa nach Frankreich oder Belgien gebracht und von dort ins europäische Gasnetz eingespeist. Auch über Pipelines importiert Europa russisches Erdgas. Laut dem CREA-Analysten Vaibahv Raghunandan wird zudem russisches Flüssiggas von Häfen der EU weiter nach Asien exportiert.
Auch Rohöl trifft weiterhin über die Pipeline Druschba in Europa ein: 2024 lieferte Russland Rohöl im Wert von 4,9 Milliarden Euro an Ungarn, die Slowakei und Tschechien. «Die drei Länder wurden 2022 vom Rohölimportstopp der EU ausgenommen, weil sie damals sehr abhängig von russischem Öl waren», sagt Raghunandan. «Statt das in den letzten drei Jahren zu ändern, hat man diese Abhängigkeit sogar noch ausgeweitet.»
Die Schattenflotte
Russland ist es zudem gelungen, eine Schattenflotte aufzubauen, mit der es sein Rohöl weltweit zu Preisen über der von der EU festgelegten Obergrenze von 60 US-Dollar pro Fass exportieren kann. Die Schattenflotte besteht aus alten Tankern, die früher oft westlichen Besitzer:innen gehörten und von diesen via Briefkastenfirmen an Russland weitergegeben wurden. Weder die USA noch die EU hatten deren Verkauf an Russland nach dessen Angriff auf die Ukraine unterbunden. Versichert werden sie neu aus Russland. Indien und die Türkei gehören zu den grössten Abnehmern ihrer Fracht. So etwa wird in sechs Raffinerien der beiden Länder aus russischem Rohöl Diesel oder Kerosin produziert und legal in die EU geliefert. «Allein diese Importe der EU haben dem Kreml zusätzliche Steuereinnahmen von rund 3,2 Milliarden Euro beschert, die er für seinen brutalen Krieg gegen die Ukraine nutzen kann», sagt Raghunandan.
Russland profitiert zudem davon, dass EU-Staaten Öl aus Kasachstan kaufen: Grosse Mengen des Öls werden vom Ölfeld Tengiz mit der kaspischen Pipeline in den russischen Hafen Novorossijsk am Schwarzen Meer transportiert – und von dort mit Tankern nach Triest weitergeleitet. Auch hier kassiert der russische Staat dank einer signifikanten Beteiligung des Staatsunternehmens Transneft an der Pipeline Steuergelder sowie Hunderte Millionen Euro an Dividenden.
Damit nicht genug: Laut Eurostat, dem Statistischen Amt der EU, importieren die EU-Staaten weiterhin auch grosse Mengen an Düngemitteln, Eisen, Stahl und Nickel aus Russland.
Strengere Sanktionen nötig
Das CREA schätzt, dass strengere Sanktionen der westlichen Staaten die russischen Einnahmen aus fossilen Rohstoffen um jährlich 51 Milliarden Euro – rund ein Fünftel – reduzieren könnten. Dazu empfiehlt sie: Flüssiggas solle nur noch zu einem Minimalpreis gekauft werden; Gasimporte via die Pipeline Turkstream seien genauso zu verbieten wie die Importe von Rohöl durch die russische Pipeline Druschba; Schlupflöcher beim Import von Ölprodukten russischen Ursprungs sollen geschlossen und die Preisobergrenze für russisches Erdöl auf 50 Dollar pro Fass gesenkt werden. Diese Limitierung könne jedoch nur durchgesetzt werden, wenn es zudem gelinge, die Schattentankerflotte zum Stillstand zu bringen. Auch die Sanktionen gegen die Schiffe müssten also ausgeweitet werden.
Russland hat es bisher gut verstanden, Europas Abhängigkeit von seinen Rohstoffen zu nutzen. Europa sollte dieses Verhältnis umkehren. Russland ist schliesslich von Europas Käufen abhängig. Gas- und Ölpipelines lassen sich nicht so einfach neu verlegen. Und Russlands Flüssiggas wird laut CREA-Analyst Raghunandan zu 95 Prozent von Schiffen der EU transportiert und zumeist von europäischen Versicherungsgesellschaften versichert.
Ein weitgehender Verzicht auf russisches Öl und Gas würde es Europa ermöglichen, die Abkehr von fossilen Energien zu beschleunigen. In der Zwischenzeit könnte es auf andere Lieferanten ausweichen. Statt für Aufrüstung und Sozialabbau könnte die jetzige Krise für eine nachhaltige Wirtschafts- und Energiepolitik genutzt werden.
US-Geschäfte auch in Zug?: «Unglaubliche Möglichkeiten»
US-Präsident Donald Trump inszeniert sich gerne als Macher, der die grossen Deals einfädelt. Damit will er offenbar bei seinen Wähler:innen Eindruck schinden. Das am Freitag vorerst geplatzte Rohstoffabkommen mit der Ukraine wäre ein derartiges Supergeschäft für die USA gewesen.
Russland scheint diese Dealfixiertheit zu nutzen, um die USA ihrerseits mit Geschäften zu locken. So soll laut «Financial Times» der frühere Nord-Stream-2-Geschäftsleiter Matthias Warnig mit US-Investor:innen – unter Einbezug von Personen aus dem Umfeld der Trump-Regierung – über die Inbetriebnahme der Ostsee-Gaspipeline nach Ende des Krieges gegen die Ukraine verhandeln. Der Deal würde es den USA ermöglichen, Einfluss auf das Gasgeschäft zwischen Russland und Europa zu nehmen. Die Nord Stream 2 AG, die dem russischen Staatskonzern Gazprom gehört, hat ihren Sitz im Kanton Zug. Nach der russischen Vollinvasion in die Ukraine liess die deutsche Regierung die Inbetriebnahme der Pipeline, die nach Mecklenburg-Vorpommern führt, stoppen. Präsident des Verwaltungsrats der Nord Stream 2 ist immer noch der frühere deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder. Das Zuger Kantonsgericht hatte am 9. Januar beschlossen, die Nachlassstundung der Firma zu verlängern, weil diese argumentierte, sie stehe in intensivem Kontakt mit Finanzinvestor:innen.
Schon beim ersten Aussenministertreffen seit mehreren Jahren zwischen den USA und Russland waren Geschäftsbeziehungen ein zentrales Thema. An der Zusammenkunft vom 16. Februar in Riad nahm denn auch Kirill Dmitrijew, Chef des russischen Staatsfonds, teil. Er deutete etwa wirtschaftliche Partnerschaften bei Projekten in der Arktis an. Laut «New York Times» sprach US-Aussenminister Marco Rubio nach dem Treffen von «unglaublichen Möglichkeiten», die sich für die USA durch eine neue Partnerschaft mit Russland eröffneten. Trump schrieb später auf der Truth-Social-Plattform von «grossen ökonomischen Entwicklungsprojekten», die er mit dem russischen Präsidenten Putin diskutiere.