Film: Ein grosser Mythos
Screening im Rahmen der «Woche der Nominierten» am Donnerstag, 20. März 2025, 15 Uhr, im Filmpodium Zürich.
Manchmal hat man den Eindruck, dass Yvann Yagchi, der Filmemacher, etwas überfordert ist angesichts der Vielschichtigkeit dieses Konflikts. Als Sohn einer Palästinenserin in Genf aufgewachsen, reist er ins besetzte Westjordanland, wo er die Beziehung zu seinem Kindheitsfreund dokumentieren will. Dieser ist vor einigen Jahren in eine israelische Siedlung gezogen. Yagchi besucht ihn dort, dreht, skriptet, streitet – und dann zieht sich der Freund aus dem Projekt zurück.
Trotzdem ist nun «Avant il n’y avait rien» als bester Dokfilm für den Schweizer Filmpreis nominiert. Aus dem ursprünglichen Vorhaben ist ein langer Brief an den Freund geworden, in dem Yagchi die Geschichte der kaputten Freundschaft mit seiner eigenen Suche nach Herkunft verflicht. In Jerusalem übernachtet er im Haus seines Grossvaters, eines palästinensischen Intellektuellen, der 1948 von dort vertrieben worden war. Später wurde es einer jüdischen Einwandererfamilie aus Kurdistan zugeteilt, der Sohn führt es heute als Hotel. Yagchi erzählt ihm die Geschichte des Hauses – wessen Zuhause ist es nun?
Aus dem Off ordnet Yagchi mal ein, mal bleibt er stumm. Ist das nun inkonsequent? Oder gerade das Gegenteil? Als ihm ein junger Palästinenser die Gräber seiner Verwandten und Freunde zeigt, bleibt der Filmemacher stumm. Sie seien bei Widerstandsoperationen gestorben, sagt der Mann: Schweigen. Er wolle Yagchis Solidarität nicht, bloss weil er palästinensische Wurzeln habe, sagt er dann zum Dolmetscher: «Ich will seine Haltung hören.» Yagchi sagt nichts. Und wird gerade so der Komplexität gerecht.
Erste Eindrücke täuschen manchmal. Nuanciert und immer wieder poetisch stellt Yagchi die Nakba, das palästinensische Nationaltrauma, einem der grossen nationalen Mythen Israels gegenüber: der Erzählung, wonach es in diesem Land nichts gegeben habe, ehe zionistische Siedler:innen ab dem 19. Jahrhundert dort den Grundstein für einen Nationalstaat legten.