Neuenburger Wahlen: Grün ist die Hoffnung
Die Linke könnte am Sonntag in der Neuenburger Kantonsregierung die Mehrheit zurückgewinnen. Das liegt an einem gemeinsamen Programm – und an Ständerätin Céline Vara.

Am vergangenen Wochenende wurde im Kanton Neuenburg Suppe gekocht. Das passte zu den winterlichen Temperaturen, die in La Chaux-de-Fonds nur knapp über dem Gefrierpunkt lagen. Der Anlass für die Suppenküche war aber vor allem politischer Natur: Es ist Wahlkampf im Westschweizer Kanton. Die heisse Mahlzeit verteilt haben in verschiedenen Orten die fünf Kandidat:innen der SP, der Grünen sowie des Parti ouvrier et populaire (POP), die in die Kantonsregierung wollen – und zwar gemeinsam.
«Die Momente auf der Strasse sind die guten Momente einer Kampagne», sagt Céline Vara am Montag danach. Schwieriger als die Suppenaktion sei ihr dichtes Programm in den letzten Wochen gewesen. Die Anwältin kandidiert nicht nur für den Staatsrat, sondern musste als Ständerätin auch an der Frühjahrssession im Bundeshaus präsent sein.
Varas politischer Werdegang beschleunigte sich unvermittelt: Nach vielen Jahren in der Partei- und Kommunalpolitik wurde sie 2017 Grossrätin des Kantons Neuenburg – und nur zwei Jahre darauf wurde sie als erste weibliche Grünen-Politikerin in den Ständerat gewählt. Nun ist man sich sowohl in den Medien als auch in der Politik einig: Wenn es der Linken gelingen soll, die Mehrheit in der Regierung zurückzugewinnen – dann mit ihr.
Gegen die Armut
Verloren ging diese Mehrheit bei den kantonalen Wahlen vor vier Jahren. In der Exekutive erlitt die Linke eine krachende Niederlage. Die FDP holte drei von fünf Sitzen und beendete somit die acht Jahre währende linke Vorherrschaft. Wobei: Eigentlich war es eine Vorherrschaft der SP. Diese stellte nämlich bis 2021 drei Mitglieder – zuletzt bei einem Wähler:innenanteil von 23 Prozent. In diesem Ungleichgewicht sowie in der Tatsache, dass die drei SP-Staatsrät:innen nicht unbedingt eine dezidiert linke Politik machten, sahen einige die Gründe für die Niederlage. Im Grossen Rat blieb der Vorsprung der Bürgerlichen derweil mit 52 von 100 Sitzen klein. Und erstmals wurden mehr Frauen als Männer in ein kantonales Parlament gewählt.
Anders als 2021 tritt die Linke in diesem Jahr von Anfang an geschlossen an. Nicht auf Ebene der Legislative, wo ebenfalls viele auf eine linke Mehrheit hoffen, sondern für die Wahl in den Staatsrat, wo es viel zu gewinnen gibt. «Dieses Mal haben wir eine echte Allianz gebildet, eine Allianz, in der keine Partei die Mehrheit hat», sagt Céline Vara. Ganz ähnlich tönt es beim POP. Dessen kantonaler Präsident und Grossrat Julien Gressot findet die Zusammensetzung der Kandidierendenliste fairer als 2013, als die Linke das letzte Mal geschlossen zu den Staatsratswahlen antrat. Neben den zwei bisherigen SP-Staatsrät:innen kandidieren zwei Grüne sowie eine Kandidatin des POP.
Gressot betont, dass die Zusammenarbeit nicht nur taktisch, sondern auch inhaltlich erfolge: «Abgesehen von der Liste ist für uns noch wichtiger, dass wir uns dieses Mal auf ein gemeinsames Legislaturprogramm geeinigt haben.» Das Programm, zu dessen Umsetzung sich alle Kandidierenden verpflichtet haben, enthält neben allgemeineren Zielen auch konkrete Massnahmen wie etwa die Deckelung der Krankenkassenprämien oder Preissenkungen im öffentlichen Verkehr. Damit sei man auch in der SP zufrieden, sagt Manuela Honegger, die Präsidentin der kantonalen SP-Frauen: «In den grossen Fragen haben wir Linke in Neuenburg sowieso die gleiche Haltung.» Honegger hält den Zusammenschluss für unabdingbar – insbesondere, um der steigenden Armut im Kanton zu begegnen.
Der grünste Kanton
Dass ausgerechnet eine Kandidatin der Grünen als Hoffnungsträgerin fungiert, mag angesichts der antigrünen Reflexe auf nationaler wie internationaler Ebene überraschen. Nicht aber, wenn man den lokalen Kontext kenne, meint Céline Vara. Ihr Kanton sei der grünste der Schweiz, was auch damit zu tun habe, dass die Grünen in Neuchâtel «geboren» seien. Tatsächlich wurde die erste grüne Partei der Schweiz 1971 von den Gegner:innen eines Autobahnprojekts gegründet. Seither haben sich die Grünen auf legislativer und exekutiver Ebene längst etabliert, waren in den nuller Jahren schon einmal mit Fernand Cuche im Staatsrat vertreten. Grüne Anliegen haben im welschen Kanton oft bessere Chancen als im Rest der Schweiz. Zuletzt erhielt die Umweltverantwortungsinitiative mit 42 Prozent Ja-Stimmen in Neuenburg so viel Unterstützung wie in keinem anderen Kanton.
Wie gut die Chancen der Linken diesmal tatsächlich stehen, weiss niemand so genau. Umfragen gibt es keine, an zuverlässigen Prognosen in den Medien mangelt es. Während Julien Gressot vom POP an einen linken Sieg glaubt, zeigt sich Manuela Honegger «hoffnungsvoll und optimistisch». Zurückhaltender klingt es bei Céline Vara: «Ich werde lieber positiv überrascht als enttäuscht.»
Einfach wird die Sache nicht, denn auf rechter Seite haben sich auch FDP, SVP und Mitte-Partei zusammengeschlossen. Eine Strategie, die nach hinten losgehen könnte, meint SP-Politikerin Honegger, die auch Politologin ist: «Die FDP-Wähler:innen in Neuenburg sind traditionell wertkonservativ, aber nicht xenophob wie die SVP.» Klarheit wird es wohl noch nicht am Sonntag, sondern erst nach einem zweiten Wahlgang am 13. April geben.