Bosnien-Herzegowina: Dodiks bittere Rache

Nr. 13 –

Schon lange droht der Präsident der Republika Srpska mit der Abspaltung des Teilgebiets von Bosnien-Herzegowina. Nun könnte Milorad Dodik die gesamte Region in den Abgrund ziehen.

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«Ich werde sie alle umbringen, bei meiner Mutter, alle», sagt Nenad Stevandić am 14. März. Er steht vorn am Rednerpult im Parlament der Republika Srpska (RS), einer der zwei Einheiten des Gesamtstaats Bosnien-Herzegowina. Stevandić sagt das, während er sich zu einem Kollegen dreht und sich über den lautstarken Widerstand der Opposition im Saal ärgert. Dabei merkt er nicht, dass sein Mikrofon eingeschaltet ist.

Stevandić ist Parlamentspräsident und ein enger Verbündeter Milorad Dodiks, des Präsidenten der RS. Stevandić wird verdächtigt, während des Jugoslawienkriegs von 1992 bis 1995 Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Schon lange kursieren Aufnahmen von ihm im Netz. Darauf ist er mit rotem Béret und Maschinenpistole zu sehen, wie er Zivilist:innen bedroht. Zeug:innen sagen aus, dass er Folterungen und Morde zu verantworten habe. Seine Drohungen im Parlament sind also ernst zu nehmen.

Erst wenige Tage vor der Debatte wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft von Bosnien-Herzegowina Haftbefehle gegen Dodik, Stevandić und den Premierminister der RS, Radovan Višković, erlassen hat. Sie sollen einem Richter vorgeführt werden, weil ihnen der Sturz der verfassungsmässigen Ordnung des Landes vorgeworfen wird. Seit Jahren kündigt Dodik die Abspaltung der RS von Bosnien an. Jetzt geht er aufs Ganze.

Im Plenarsaal herrscht eine aufgeheizte Atmosphäre. Die Regierung der RS will zahlreiche Gesetze erlassen, die die Arbeit der Bundesbehörden Bosnien-Herzegowinas auf ihrem Territorium verbieten. Die Bundespolizei, die Bundesstaatsanwaltschaft sowie die Bundesgerichte müssten demnach ihre Arbeit in der RS einstellen. So wäre es auch nicht möglich, die Sezessionisten zu verhaften, ist sich Dodik gewiss. Die Opposition läuft gegen dieses Vorhaben Sturm. Am lautesten stellt sich Nebojša Vukanović der Regierung entgegen. Einmal ruft er: «Kommen Sie zur Besinnung! Sie reissen das gesamte Land in den Abgrund.» Nur einen Tag nach der Szene zündet ein Unbekannter sein Auto vor seinem Haus an.

Angst und Anspannung

Was dieser Tage im 1992 von Jugoslawien unabhängig gewordenen Land geschieht, ist ein Politkrimi, der den 3,7 Millionen Einwohner:innen die Sprache verschlägt und Angst macht. Vor 35 Jahren wurde Bosnien-Herzegowina Opfer der jugoslawischen Zerfallskriege. Damals plante der Präsident Serbiens, Slobodan Milošević, einen grossserbischen Staat zu schaffen, indem er sich einen Teil des kleineren Nachbarn Bosniens einverleibte. Was an Grausamkeiten folgte, war in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr vorgekommen: Internierungslager, Massenmorde und organisierte Vergewaltigungen, Folterungen und millionenfache Vertreibungen bis zum Völkermord in Srebrenica, wo über 8000 Männer innerhalb weniger Tage ermordet wurden.

Der komplizierte Staat

Bosnien-Herzegowina wurde 1992 unabhängig und erhielt mit dem Dayton-Abkommen nach dem Krieg 1995 eine neue Verfassung. Der Staat besteht aus zwei Teilen, der Föderation Bosnien-Herzegowina, in der mehrheitlich Bosniak:innen und bosnische Kroat:innen leben, sowie der Republika Srpska mit mehrheitlich bosnischen Serb:innen.

Der Bundesstaat, die beiden Teilgebiete sowie ihre Kantone verfügen über je eigene legislative und exekutive Organe. Geleitet wird der Gesamtstaat von einem dreiköpfigen Präsidium, das aus je einer Person mit bosniakischem, serbischem und kroatischem Hintergrund zu bestehen hat. Die ethnisch-föderalistische Struktur befördert nationalistische Parteien.

Über allem schwebt der Hohe Repräsentant der Uno, der das Dayton-Abkommen überwacht. Er kann demokratisch gewählte Amtsträger:innen entlassen, Gesetze beschliessen und neue Behörden schaffen. Das Amt übt derzeit der deutsche CSU-Politiker Christian Schmidt aus.

«Die Menschen haben Angst, dass das alles wieder kommt», sagt Harun Cero, der als Politologe in Sarajevo arbeitet und sich bei der Einschätzung der Situation hin- und hergerissen zeigt. Die Menschen seien angespannt. Cero fürchtet nicht, dass es einen Krieg gibt. Denn hierfür reichten aufseiten der RS schlicht die Kapazitäten nicht. Und dass es Serbien noch einmal wagt, Bosnien mit über 100 000 Soldaten anzugreifen wie 1992, glaubt er nicht. Das würden die Europäer:innen nicht zulassen. «Neben der russischen Aggression gegen die Ukraine können sie nicht noch einen weiteren Krieg auf ihrem Kontinent zulassen», sagt Cero. Vielmehr sorge er sich, dass es zu Anschlägen und lokalen Auseinandersetzungen kommen könnte. Vor einem Jahr machte der bosnische Verteidigungsminister publik, dass Wagner-Söldner aus Serbien eingeschleust worden seien – diese könnten jederzeit losschlagen.

Fall eines Hoffnungsträgers

Milorad Dodik bestimmt die Geschicke der RS seit neunzehn Jahren und stürzt Bosnien von einer Krise in die nächste. Er droht schon lange damit, sich unabhängig vom Gesamtstaat zu machen oder sich Serbien anzuschliessen. Dabei galt Dodik einst als politischer Hoffnungsträger auf dem Balkan. Kurz nach dem Daytoner Friedensvertrag von 1995, der den Krieg zwischen Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Serbien beendete, suchten US-Diplomat:innen nach neuen Partnern, um das Land aufzubauen. Dodik, der als überzeugter Antinationalist galt und als Oppositioneller im RS-Parlament gegen die serbischen Grossmachtträume kämpfte, versprach in Bosnien eine Zeitenwende. Im Fernsehen trat er selbstbewusst auf und sagte seinen Landsleuten: «Ich weiss, was in Srebrenica geschehen ist. Das war Völkermord.»

So bestimmten westliche Diplomat:innen Dodik 1998 zum Premierminister der RS – obwohl seine Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) nur über zwei Sitze im Parlament verfügte. Doch dem Neuen war kein Erfolg beschieden. Themen wie wirtschaftliche Reformen oder eine EU-Ausrichtung des Landes zogen nicht bei den Wähler:innen. Die einstigen Förder:innen liessen ihn sang- und klanglos fallen.

Einer der bekanntesten Journalisten Bosniens, Senad Avdić, begleitete Dodiks Karriere über viele Jahre. «Er befand sich in einer miserablen Lage, besass kaum Geld. Nach 2001 verschwand er für einige Jahre von der Bildfläche – und schwor bittere Rache», so Avdić. Tatsächlich kam Dodik mit einer extrem nationalistischen Wahlkampagne erneut als Premierminister der RS an die Macht. Seine Politik richtete er nun vorwiegend darauf aus, möglichst viel privates Vermögen anzuhäufen. Hierfür gründete er mit seinem Sohn sowie zahlreichen Geschäftspartner:innen eine Menge Unternehmen im Bau- und Immobiliensektor, im Dienstleistungs- und IT-Bereich sowie in der Agrar- und Lebensmittelindustrie. So ist es kaum möglich, dass auch nur ein staatlicher Auftrag nicht bei Dodiks Firmenimperium landet. «Dodik ist mit Sicherheit Milliardär», sagt der Oppositionelle Nebojša Vukanović, der sich schon früh als Einzelkämpfer gegen die grassierende Korruption engagierte.

Vukanović reiste in den vergangenen zehn Jahren durch ganz Europa, um Dodiks ausländische Briefkastenfirmen, Unternehmen, Villen und Wohnungen aufzuspüren, die der Geldwäscherei dienen. Er machte publik, dass Dodik in der Schweiz, in Ungarn, Slowenien, Serbien und Russland Immobilien, Firmen und gut gedeckte Konten besitzt. Doch weder die bosnischen Behörden noch die westliche Politik interessierten sich dafür. Im Gegenteil: Im Westen galt Dodik trotz seiner immer aggressiveren Rhetorik als Stabilitätsfaktor. Zudem habe er an entscheidenden Stellen in Bosniens Sicherheitsdiensten und im Rechtssystem seine Leute installiert. «Und zahlreiche Beamte der EU stützen Dodik, weil sie selbst an seinen Geschäften teilhatten», sagt Vukanović bei einem Treffen im stattlichen Fernsehgebäude in Sarajevo.

Bisher hatte Dodik mit seiner Politik der Drohungen Erfolg. So trieb er 2011 schon einmal das Land in eine ernste Krise, als er ein Referendum in der RS ankündigte, um sich vom gemeinsamen Justizsystem von Bosnien-Herzegowina zu lösen. Daraufhin reiste die EU-Aussenbeauftragte, Catherine Ashton, zu Dodik. Das Ergebnis des Treffens war, dass dieser massgeblichen Einfluss auf die Besetzung von Richterinnen und Staatsanwälten erhielt. Schon damals war klar, dass das in Zukunft zu noch grösseren Problemen führen würde.

Immer wenn Dodik unter Druck gerät, sei es wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten oder Korruptionsskandalen, lenkt er mit einem nationalistischen Thema davon ab. So auch 2023, als er Gesetze im Parlament verabschieden liess, die die Entscheidungen des Hohen Repräsentanten der Uno für nichtig erklärten. Dieser wacht über die Einhaltung des Friedensvertrags von Dayton. Anfang 2025 wurde Dodik von einem Gericht erstinstanzlich verurteilt, weil er sich Beschlüssen des Hohen Repräsentanten widersetzt hatte. Die Strafe lautete auf ein Jahr Gefängnis und sechs Jahre Verbot von politischer Betätigung. Dieses Urteil führte zur jüngsten Eskalation.

«Niemand wird ihn verhaften»

Seither bereitet Dodik im Parlament weitere Gesetze vor, die die Abspaltung der RS beschleunigen sollen. Gleichzeitig reist er mit einer schwer bewaffneten Eskorte kreuz und quer durchs Land, um seine Macht zu demonstrieren. Wer seiner habhaft werden wolle, müsse sich auf Widerstand gefasst machen, verkündete er im Fernsehen.

Dodiks Partei stellt den Innenminister des Gesamtstaats, seine Gefolgsleute besetzen wichtige Positionen im Justiz- und Polizeiapparat von Bosnien-Herzegowina. Diese hintertreiben den Versuch, ihn zu verhaften. So weigerte sich der Chef der Bundespolizei (Sipa), den Zugriff zu befehlen, weil er um die Sicherheit seiner Polizeibeamten besorgt sei. Mittlerweile trat er auf Dodiks Wunsch hin zurück und wechselte in die Regionalpolizei der RS. Damit ist die Sipa führungslos, die Leitung muss neu besetzt werden. Der Chef der Bundesstaatsanwaltschaft, Milan Kajganić, ebenso ein Mann Dodiks, stellte die Arbeit seiner Behörde auf dem Gebiet der RS ein. Dodiks Leute in Bosniens Geheimdienst OSA lassen ihm Informationen über weitere Schritte zukommen.

Bosniens bekanntester Investigativreporter, Avdo Avdić, meint bei einem Gespräch in einem Restaurant in Tuzla lächelnd: «Niemand wird ihn verhaften. Der Staat ist zu sehr von seinen Gefolgsleuten durchsetzt. Zudem schützt ihn sein langjähriger Koalitionspartner, der hochkorrupte Dragan Čović von der kroatisch-nationalistischen Partei HDZ.» Auch dieser verfolge das Ziel, den bosnischen Gesamtstaat so schwach wie möglich zu machen, um in seinen kroatischen Gebieten walten zu können, wie es ihm beliebe, sagt Avdić.

In diesem Moment leuchtet Avdićs Smartphone auf, ein Informant im Aussenministerium meldet sich bei ihm: Die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas habe dem bosnischen Aussenminister mitgeteilt, die im Land zur Friedenssicherung stationierten Eufor-Soldat:innen würden nichts unternehmen, um die Separatisten zu verhaften. Auch der Hohe Repräsentant dürfte von seinen umfangreichen Befugnissen keinen Gebrauch machen, weil er wisse, dass ihn weder die USA noch Deutschland noch Frankreich stützen würden, meint Avdić. «Das wird sich jetzt über Monate hinziehen. Alle werden sich daran gewöhnen. Das Land wird still geteilt und somit langsam weiter zerstört.»

Derweil kann man in der bosnischen wie auch in der internationalen Presse lesen, dass Dodik nun im politischen Endspiel angekommen sei. Es scheint ein Endspiel ohne Ende.