Spannungen auf dem Balkan: «Das ist die rote Linie»
In Serbien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo werden nationalistische Stimmen immer lauter. Seit dem Wahlsieg von Donald Trump hoffen sie auf eine neue geopolitische Weltordnung.
Auf dem Ortsschild von Zvornik haben Unbekannte die lateinischen Buchstaben durchgestrichen. Der Name der Stadt an der bosnisch-serbischen Grenze prangt nur noch in kyrillischen Lettern auf dem Schild, der Schrift der bosnischen SerbInnen. In Zvornik trifft man sich abends im «The Pub», nur einen Steinwurf vom Grenzfluss entfernt. Die Kneipe ist auf der bosnischen Seite der Grenze, die BesucherInnen aber verstehen sich alle als SerbInnen.
«Für uns ist Donald Trump besser als Hillary Clinton», sagt Sinisa Kojic nach zwei Bier. «Vielleicht ist er verrückt, aber wenigstens hat er uns nicht bombardiert.» Der 35-Jährige spielt auf die Nato-Bombardierung Serbiens im Jahr 1999 an, bei der die meisten Angriffe von den USA unter Hillary Clintons Ehemann Bill ausgeführt wurden. Branislava Milic-Kojic, Sinisas Frau, nickt. «Ich glaube, Donald Trump ist schlecht für die Amerikaner, aber für uns ist es gut, wenn sie sich aus unseren Angelegenheiten raushalten.»
So oder ähnlich sehen das viele hier. Knapp ein Drittel der EinwohnerInnen Bosnien-Herzegowinas bezeichnen sich als SerbInnen. Die allermeisten von ihnen leben in der autonomen Republika Srpska, die knapp die Hälfte des Staatsgebiets Bosnien-Herzegowinas umfasst. Viele Menschen hier würden sich lieber heute als morgen vom Gesamtstaat abspalten.
Besorgte FriedenswächterInnen
Bei der Einfahrt in die bosnische Hauptstadt Sarajevo sind auf dem Ortsschild hingegen die kyrillischen Buchstaben durchgestrichen. Auf der rechten Seite des Flusses Miljacka liegt der Amtssitz von Valentin Inzko. Der Kärntner Slowene ist österreichischer Diplomat und wurde von der internationalen Gemeinschaft eingesetzt, um über den Friedensvertrag von Dayton zu wachen. Das Abkommen aus dem Jahr 1995 hat im Land Verfassungsrang, es soll den Frieden und die Existenz des bosnischen Staates wahren.
Die separatistischen Tendenzen in der Republika Srpska bereiten dem 67-jährigen Inzko Sorgen – seit dem Amtsantritt Donald Trumps scheinen sie zugenommen zu haben. «Bei den Serben gibt es einen Wettlauf darum, wer zuerst bei Trump empfangen wird», sagt er. «Lokale Politiker glauben, sie könnten sich künftig auf Trump verlassen – als wäre das Erste, woran er nach dem Aufwachen denkt, Bosnien-Herzegowina.» Die serbischen SeparatistInnen in Bosnien-Herzegowina hoffen, dass sich die USA aus der Region zurückziehen und stattdessen Russland weiter an Einfluss gewinnt. Denn der Kreml unterstützt offen die Abspaltungsbestrebungen der bosnischen SerbInnen.
Obamas Sanktionen
Der oberste serbische Separatist ist Milorad Dodik, der zu Wutanfällen neigende Präsident der Republika Srpska. Als eine seiner letzten Amtshandlungen als US-Präsident erliess Barack Obama Sanktionen gegen den Politiker. Dodik hatte im vergangenen September den Friedensvertrag von Dayton verletzt, indem er ein Referendum abhalten liess, das zuvor vom Verfassungsgericht in Sarajevo untersagt worden war. 99,8 Prozent der WählerInnen votierten dafür, die Gründung ihres Landesteils als Feiertag einzuführen. Nun darf Dodik nicht mehr in die USA einreisen, sein Vermögen ist dort eingefroren worden.
Diplomat Valentin Inzko hält diese Sanktionen für richtig. «Die Abspaltung steht im Programm der regierenden Partei in der Republika Srpska. Das muss man ernst nehmen, das politische Klima wird dadurch vergiftet.» Für Inzko steht fest, dass ein Referendum über die Abspaltung der Republika Srpska von Bosnien-Herzegowina international nicht geduldet werden würde. «Das ist die rote Linie. Sonst müsste die internationale Gemeinschaft eingreifen. Darüber herrscht Konsens.»
Diese rote Linie droht Dodiks Regierungspartei Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) aber zu überschreiten. Weil der Präsident der Republika Srpska die Interviewanfrage der WOZ unbeantwortet lässt, erörtert die Vizevorsitzende der SNSD im Wahlkreis Sarajevo-Zentrum die Position der Partei. «Es wäre eine gute Sache, wenn sich die Bosniaken, Kroaten und Serben auf diesem Gebiet, das wir Bosnien-Herzegowina nennen, trennen würden», sagt Nevenka Pusara. «Ohne eine dauerhafte Trennung wird es auch keinen dauerhaften Frieden geben.» Auch sie hofft auf Donald Trump. «Ich weiss nicht, was Trump bringen wird, aber was die Familien Clinton und Bush den Serben angetan haben, spricht doch für sich. Schlimmer wird es für sie unter Donald Trump nicht werden.» Seit Trumps Wahlsieg werden die Rufe nach einem Referendum über die Unabhängigkeit der Republika Srpska wieder lauter.
Alte Kriegsrhetorik
Dabei ist Bosnien-Herzegowina nicht das einzige Land, in dem serbische NationalistInnen eine neue Chance wittern. Auch zwischen Serbien und dem Kosovo wurde in den vergangenen Wochen wieder die Kriegsrhetorik der neunziger Jahre aus den Schubladen geholt. Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an, sieht das Land weiterhin als sein Staatsgebiet. Serbiens Präsident Tomislav Nikolic drohte, Truppen in den Kosovo zu schicken, «wenn Serben im Kosovo sterben». Der kosovarische Präsident Hashim Thaci behauptete daraufhin, dass Belgrad die SerbInnen im Kosovo bewaffne, um «ein Szenario wie auf der Krim» vorzubereiten und sich den mehrheitlich von SerbInnen bewohnten Norden des Landes einzuverleiben.
Der Hintergrund für die gegenseitigen Drohungen und Anschuldigungen wirkt wie eine politische Farce. Es geht um einen Zug, der Mitte Januar von Belgrad in das von SerbInnen bewohnte Nordmitrovica im Kosovo fahren sollte. «Kosovo ist Serbien» stand aussen am Zug in 21 verschiedenen Sprachen geschrieben. Die Regierung in Pristina schickte Spezialkräfte an die Grenze, um den Zug – notfalls mit Gewalt – zu stoppen. Der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vucic lenkte letztlich ein und liess den Zug vor der kosovarischen Grenze stoppen.
Die serbischen NationalistInnen testen derzeit aus, was mit dem neuen US-Präsidenten alles möglich ist. Auch die serbischen Boulevardmedien befeuern den Konflikt, als sei ihnen nach achtzehn Jahren ohne Krieg langweilig geworden. «Putin warnt: Albaner und Kroaten planen einen Angriff auf die Republika Srpska und den Nordkosovo», titelte etwa die Tageszeitung «Informer» Anfang Februar. «Die Albaner planen einen Krieg. Serbien soll gezwungen werden, den Kosovo anzuerkennen», schrieb das auflagenstärkste Blatt «Kurir».
Ein möglicher Lichtblick zeigte sich indessen am vergangenen Montag: Serbische ArbeiterInnen haben die Mauer in Mitrovica abgerissen, die bei der Brücke über den Ibar-Fluss den serbischen Norden vom albanischen Süden getrennt hatte. Die Mauer war von serbischer Seite errichtet worden und hatte damit den – eigentlich seit Jahren vereinbarten – freien Verkehr über die Brücke infrage gestellt. Pristina und Belgrad haben den Abriss der Mauer begrüsst: Es sei ein erstes Zeichen der Entspannung.