Film: Königin, Vater und Meer

Er habe das Gefühl, fällt der Vater seiner Tochter ins Wort, dass sie auf etwas Bestimmtes hinauswolle: «Was willst du eigentlich genau von mir wissen?» – «Darüber? Alles.» Vinci wirkt überrascht, aber auch ein bisschen traurig: «Das ist etwas viel, Leo. Sorry.»
«Bilder im Kopf» von Eleonora Camizzi – ihr Vater nennt sie Leo – handelt durchaus von diesem «darüber»: von der «paranoiden Schizophrenie», die ihm als Dreissigjährigem diagnostiziert wurde, nachdem er sich freiwillig hatte «einliefern» lassen, weil sich Leos Mutter vor ihm fürchtete. Zu Recht, wie er seiner Tochter gegenüber einräumt, deren Augen sich nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal mit Tränen füllen. Sie stellt weitere Fragen: warum er ist, wie er ist, und wie es sich anfühlt, in einer Gesellschaft zu leben, die mit Menschen wie ihm nichts anderes anzufangen weiss, als ihnen eine IV-Rente zu bezahlen und starke Beruhigungsmittel zu verschreiben.
Vinci gibt Auskunft, wo er kann. Verteidigt sich gegen offene und stumme Vorwürfe. Erzählt vom halben Penny, den er einst von der «Königin» geschenkt bekam, und von den fünf Diktatoren in seinem Kopf, die manchmal in so heftigen Streit geraten, dass er zu explodieren drohe. Dies zu vermeiden, sei eine seiner Hauptbeschäftigungen.
So wichtig wie der Inhalt des Gesprächs ist der Ort, an dem es stattfindet: ein weisser Raum ohne Möbel, ohne Tür und ohne Dekoration. Durch ein Fenster sieht man das Meer, vor dem ab und an Menschen in Badekleidung vorbeischlendern, während Leo und Vinci ganz in Weiss gekleidet sind. Weshalb genau dieses filmisch-experimentelle Konstrukt ein Gespräch ermöglicht, das trotz aller Barrieren und implizierten Verletzungen von Offenheit und sichtbarer Liebe geprägt ist, bleibt ein wunderbares Rätsel, das keiner Auflösung bedarf.
«Bilder im Kopf», in Solothurn mit dem «Visioni»-Preis ausgezeichnet und jetzt am Human Rights Film Festival in Zürich zu sehen, zeigt unter anderem, von welcher Schönheit der blosse Akt des aufrichtigen und sich eines Urteils vorerst enthaltenden Zuhörens sein kann.