Literatur: «Aha! Ich muss gar nicht wie Thomas Mann schreiben!»
In ihrem Debütroman «Daily Soap» zerpflückt Nora Osagiobare die Schweiz. Ein Gespräch über Rassismus, Humor – und wie beides zusammengeht.

WOZ: Nora Osagiobare, Sie haben eine Satire über Rassismus geschrieben. In was für einem Gemütszustand schreibt man so etwas?
Nora Osagiobare: Oh, das ist eine gute Frage. Ich glaube, beim Schreiben bin ich immer ein bisschen entrückt von der Realität. Ich komme in einen total losgelösten Zustand, der eine gewisse Distanz schafft zur Materie. Das hat auch etwas Spielerisches. Ich hatte grossen Spass am Schreiben, musste immer wieder lachen.
WOZ: Dabei ist das Thema von «Daily Soap» an sich ja überhaupt nicht zum Lachen.
Nora Osagiobare: Oft sind das Tragische und das Komische zwei Seiten derselben Medaille: Wenn man genau genug hinschaut, kann man in fast allem einen Witz finden. Es gibt dieses Phänomen, dass Leute in völlig unpassenden Situationen zu lachen anfangen – das finde ich total nachvollziehbar. Humor ist nicht zuletzt eine Bewältigungsstrategie. Deshalb ist dieser vermeintliche Widerspruch für mich gar keiner.
Komödie im Turbosound
Nora Osagiobare, geboren 1992 in Zürich, studierte literarisches Schreiben in Biel und Wien.
In ihrem Debütroman «Daily Soap» erzählt sie eine rasante Geschichte voller Intrigen, Benzos, Verschwörungstheorien und Plot-Twists – mittendrin die junge Toni Osayoghoghowemwen, die eigentlich nur in Ruhe ihre Soap schauen möchte.
Nora Osagiobare: «Daily Soap». Verlag Kein & Aber. Zürich 2025. 288 Seiten.
Die Autorin liest in Zürich am Montag, 31. März 2025, am Human Rights Film Festival und am Mittwoch, 9. April 2025, im Literaturhaus.
WOZ: «Daily Soap» kommt als Seifenoper daher. Wie in diesem Format üblich, gibt es viele Figuren, Intrigen und Storylines. Auf der ersten Seite schaffen Sie deshalb eine Übersicht – indem Sie die Figuren nach steuerbarem Vermögen sortieren. Wieso gerade danach?
Nora Osagiobare: Vieles in dieser Geschichte dreht sich um Reichtum, der zur Schau gestellt oder kaschiert wird. Was übrigens eine sehr schweizerische Art ist, damit umzugehen. In Zürich, wo ich aufgewachsen bin und wo auch das Buch spielt, sieht man das sehr schön. Mit meinen Figuren versuche ich, die Ästhetik und das Verhalten von Menschen mit und ohne Geld darzustellen.
WOZ: Die ärmste Figur ist Anneli Killer-Osayoghoghowemwen, die Mutter der Protagonistin Toni. Sie ist Impf- und Abtreibungsgegnerin, überzeugt, dass die Terroranschläge vom 11. September 2001 ein Inside-Job waren, hat aber auch eine Sensibilität für Ungleichheiten. An einer Stelle bezeichnet sie Soaps als «gesellschaftliches Gaslighting». Was meint sie damit?
Nora Osagiobare: Als Kind habe ich Seifenopern so geschaut, wie man das wahrscheinlich sollte: als emotionalen Safe Space. Dabei ist das Format total reaktionär. Soaps legen ihren Zuschauer:innen nahe, dass alles okay ist, wie es eben ist, mit Ausnahme von ein paar intriganten Figuren, die es dann zu bekämpfen gilt. Ähnlich wie man in Bezug auf Polizeigewalt von einzelnen «bad apples» spricht – und dabei übergeht, dass das Problem systemisch ist. Anneli erkennt das.
WOZ: Im Gegensatz zu Zita Bodeca, die zuoberst auf der Vermögensliste steht: Sie will eine Soap drehen, um damit ein Rebranding ihres Modeunternehmens zu erreichen, das in einen Rassismusskandal geschlittert ist.
Nora Osagiobare: Frau Bodeca personifiziert die Pseudoversuche vieler Unternehmen, sich einen rassismus- oder sexismuskritischen Anstrich zu geben. Ich denke da etwa an die Credit Suisse, die mit eigenem Wagen an der Gay Pride teilnimmt. Dabei würde ich nicht einmal sagen, dass Frau Bodeca ein falsches Verständnis von Rassismus hat – sie hat einfach gar keins.
WOZ: Sie «sieht keine Farben, es sei denn, sie sind saisonal».
Nora Osagiobare: Das ist mein Lieblingssatz im Roman!
WOZ: Überhaupt zeichnen Sie ein ziemlich böses Bild von der Schweiz. Zum Beispiel haben Sie ein «Bundesamt für die Rationalisierung Andersfarbiger anhand von Cappuccino beziehungsweise Kaffee», kurz BARACK, erfunden. Immer, wenn eine neue nichtweisse Figur auftaucht, wird sie sofort nach Hautton klassifiziert. Wie sind Sie darauf gekommen?
Nora Osagiobare: Ich liebe Abkürzungen – und Überzeichnungen. Lustigerweise haben viele Nichtschweizer:innen, denen ich davon erzählt habe, geglaubt, dass es das BARACK wirklich gebe. So abwegig ist die Idee also leider vielleicht gar nicht.
WOZ: Die satirische Überzeichnung funktioniert also nur, weil in allem ein Stückchen Wahrheit steckt?
Nora Osagiobare: Ja, sonst wäre es einfach Nonsense. Ich war gerade in Ghana und habe dort einer Person, die noch nie in Europa war, zu erklären versucht, was an «Daily Soap» lustig ist. Keine Chance! Das BARACK zum Beispiel finden nur Menschen lustig, die das Ultraschweizerische dahinter verstehen: diesen Ordnungsfimmel, das Bünzlige, den Beamten, der seinen Caran d’Ache zückt, um jemanden fein säuberlich ins Hautfarbenregister einzutragen. Das ist wie ein Autotune der Realität: ziemlich trashig, verzerrt – und doch nicht ganz unwahr.
WOZ: Sie verzichten auf Erklärungen, auch auf theoretisches Vokabular, überzeichnen einfach. Lässt sich denn mit Humor Diskriminierung bekämpfen?
Nora Osagiobare: Vielleicht nicht strukturelle Diskriminierung. Mein Buch ist für Menschen, die offen sind für Diskussion, die ihre Denkmuster hinterfragen möchten. Über den Humor erreicht es aber auch Personen, die sich selbst nicht als Rassist:innen sehen und damit in eine Bequemlichkeit geraten sind. Wenn man ihnen mit Ernst oder Wut begegnet, reagieren sie mit Abwehr – auch wenn die Wut natürlich völlig legitim ist. An sie habe ich beim Schreiben aber eigentlich gar nicht gedacht.
WOZ: Sondern?
Nora Osagiobare: Mir ging es primär darum, Frust rauszulassen, so egozentrisch das klingen mag. Dann habe ich gemerkt, dass das Buch auch andere Menschen abholt, die rassistische Diskriminierung erleben. Und jetzt sehe ich, dass auch Personen, die selbst nicht von Rassismus betroffen sind, es total feiern. Besser hätte ich es mir gar nicht vorstellen können.
WOZ: Sie haben Ihr Buch Fran Ross gewidmet, die in ihrem 1970 erschienenen Kultroman «Oreo» etwas Ähnliches tut wie Sie: Sie thematisiert Rassismus und Sexismus, indem sie sie karikiert. Wie viel «Oreo» steckt in «Daily Soap»?
Nora Osagiobare: Viel, hoffe ich. Ich hatte lange das Gefühl, ich müsse ernst schreiben, weil Literatur eben ernst ist. Diesem Bild bin ich nie gerecht geworden. Erst als mir «Oreo» in die Hände fiel, das ja formal total ausufert, habe ich gemerkt: Aha! Ich muss gar nicht wie Thomas Mann schreiben! Dann ist es nur noch so aus mir herausgesprudelt. Umso tragischer finde ich, dass Fran Ross zu Lebzeiten keine Beachtung fand, obwohl sie eine der schlausten literarischen Stimmen ihrer Zeit war.
WOZ: Ihre Protagonistin trägt den Übernamen Oreo – eine despektierliche Bezeichnung für Menschen, die «aussen Schwarz und innen weiss» sind. Oreo hat einen Schwarzen und einen weissen Elternteil, wie Ihre Protagonistin auch.
Nora Osagiobare: Fran Ross dekonstruiert diesen Identitätskonflikt sehr raffiniert. Ich wollte ihn noch weiter auf die Spitze treiben. Ursprünglich hätte mein Roman «Manner» heissen sollen, nach den berühmten Wiener Waffeln. Die haben noch viel mehr helle und dunkle Schichten als Oreos, verdeutlichen also die Absurdität dieses Bildes. Tonis innerer Konflikt nimmt eine Wendung, die ich hier nicht spoilern will. Aber ihr Beispiel zeigt, was «weiss sein» bedeutet. Im Wesentlichen geht es um klischierte Verhaltensmuster: was man isst, wie man spricht, welche Musik man hört.
WOZ: Im Buch gibt es einen schwulen Sans-Papiers aus Nigeria, der als Pornodarsteller arbeitet, aber auch ein Riesenbünzli ist, Steppwesten trägt und sich übertrieben förmlich ausdrückt. Eine ironische Brechung identitätspolitischer Konzepte?
Nora Osagiobare: Ja, total. Keine meiner Figuren lässt sich ins Raster «gut oder böse» einteilen, wie das in Seifenopern sonst üblich ist. Die Soap, die Frau Bodeca im Roman erfolglos zu produzieren versucht, wäre das komplette Gegenteil davon geworden. Die Schwarzen Figuren hätten alle African-American-Slang geredet und sich übertrieben komplizierte Handshakes geben, während im Hintergrund die ganze Zeit Rap gelaufen wäre.
WOZ: Sie arbeiten sich viel an weissen und Schwarzen Kulturgütern ab. Wieso?
Nora Osagiobare: Von Schwarzen Menschen wird verlangt, dass sie bestimmte Verhaltensweisen oder Eigenschaften ablegen und sich der herrschenden Kultur angleichen. Diese Anpassung kann eine Strategie sein, sich alltäglichem Rassismus ein Stück weit zu entziehen. Allerdings geht sie mit einer Abwertung Schwarzer Kultur einher. Schwarze Frauen mit Cornrows müssen sich zum Beispiel anhören, dass das unprofessionell wirke, Rap gilt grundsätzlich nicht als intellektuell – um nur zwei Beispiele zu nennen. Das wollte ich auf die Schippe nehmen. Ich habe angefangen, eine Liste mit «weissen» Kulturgütern zu führen: Tupperware, Ritalin, Riz Casimir, Segways, solche Dinge eben.
WOZ: Segways werden im Buch als «whitewashing light» angepriesen. Sie «gehören zum peinlichsten Bodensatz weisser Kultur», heisst es einmal, «und ermöglichen unseren Brüdern und Schwestern eine Auszeit von nervigem Alltagsrassismus». Damit sind nicht nur dumme Blicke gemeint, sondern auch Polizeikontrollen – rassistische Gewalt als Spektrum?
Nora Osagiobare: «Spektrum» trifft es sehr gut. Mir war wichtig zu zeigen, dass rassistische Gewalt verschiedene Ausprägungen hat. Ich denke an die Szene, in der Toni mit schlimmen Kopfschmerzen einen Arzt aufsucht und man sie ewig warten lässt, während ein weisser Mann mit Sonnenbrand sofort behandelt wird. Es gibt Studien, die belegen, dass Schwarze Frauen im medizinischen Kontext sehr oft nicht ernst genommen werden. Auch das ist eine Form von Gewalt. Und Satire stösst an ihre Grenzen, wenn schon die Realität so absurd ist.
WOZ: Sie behalten Ihren bitterbösen Humor sogar, wenn Sie auf George Floyd verweisen. Wo hört etwas auf, lustig zu sein?
Nora Osagiobare: Meine grösste Sorge war, unwillentlich einen Roman zu schreiben, der Rassismus verharmlost. Auf jeden Fall muss die Sprechhaltung der Person, die einen Witz macht, klar erkennbar sein. Was gar nicht geht, ist, sich auf Kosten von Menschen lustig zu machen, die Diskriminierung erleben – für ein Publikum, das davon nicht betroffen ist.
WOZ: Als Person of Color schreiben Sie aus einer bestimmten Position, als weisse Leserin ist man in einer ganz anderen. Wie wünschen Sie sich, dass man dieses Buch liest?
Nora Osagiobare: Beim Lesen kann man auf jeder Seite mindestens einmal laut rauslachen. Aber eigentlich ist es ein bitterernster Roman. So soll er auch behandelt werden: Das Lachen soll einem auch mal im Hals stecken bleiben.